kontext 6: neurophysiologisch basierte selbstzerstörungsprogramme
da ich weiß, dass hier auch menschen mitlesen, die immer wieder mit suizidalen krisen und impulsen konfrontiert sind, möchte ich hier einen kleinen einschub machen und einen ansatz vorstellen, mit dem solche impulse erstens besser zu verstehen, zweitens aber durch dieses verständnis womöglich auch therapeutisch besser zu bearbeiten sind. basis dafür sind neuere neurowissenschaftliche ergebnisse zu den grundlagen der menschlichen empathiefähigkeiten, die sog. spiegelneurone.
aus dem sehr empfehlenswerten buch von j. bauer (literaturliste) dazu folgender abschnitt:
„Geradezu unheimlich muten psychologisch angebahnte Selbstzerstörungseffekte an, die nach Erfahrungen sozialer Zurückweisung auftreten. Die bekannteste Spielarte solcher Programme ist der Suizid. (...)
Erst in den letzten Jahren hat man herausgefunden, dass auch Menschen mit schweren körperlichen Gewalterfahrungen (die betonung auf „körperlich“ halte ich für eine nicht plausible einschränkung, anm. mo), bei denen die erlittene Tat zu einer Zerstörung der persönlichen Integrität und des Selbstwertgefühls geführt hat, intuitive (!) (so im original) Impulse erleben, sich umbringen zu müssen. Bei Personen, die eine traumatische Erfahrung gemacht haben, ist das Risiko nachgewiesenermaßen objektiv erhöht, impulsiv Suizidhandlungen zu begehen. Weshalb Suizidalität? (...)
Die Antwort könnte darin liegen, dass die negative Erfahrung, die einer Person zugestoßen ist, in ihr ein Handlungsprogramm aktiviert hat und dass dieses Programm nun zu Ende führen möchte, was die erlittene Erfahrung nicht zu Ende gebracht hat: die Zerstörung der eigenen Person. Die Aktivierung eines Programms, das – in der eigenen Vorstellung – den vollständigen Ablauf einer Sequenz aufscheinen lässt, die durch eine Erfahrung nur angedeutet bzw. in die Wege geleitet wurde, dies ist die geradezu typische Leistung der Spiegelsysteme. (der spiegelneurone, mo) (...)
Was bedeutet die Tat eines Menschen, der einem anderen schwere Gewalt zugefügt hat? Welche Handlungsprogramme treten im Opfer nach einem erlittenen Gewaltakt in Resonanz? (...) Das „Programm“ einer Gewalttat hat die Botschaft: Du bist nichts wert, ich kann dich behandeln wie eine wertlose Sache (sic!), man darf und sollte dich zerstören.
Im Verlauf einer Überwältigungstat (wie z.b. einer vergewaltigung, mo) geht das Handlungsprogramm des Täters, über die unvermeidliche spiegelnde Aktivierung neuronaler Handlungsprogramme im Opfer, vom Täter auf das Opfer über. Dieser Vorgang läuft komplett unbewusst ab. Auch seine Folgen sind unwillkürlich und dem Bewusstsein entzogen: Wie Traumatherapeuten immer wieder feststellen, spürt das Opfer nach der erlittenen Gewalt eine intuitive Tendenz, selbst das auszuführen bzw. zu Ende zu bringen, was die Tat suggerierte (...).
derartige neurowissenschaftliche ergebnisse haben durchaus massenhafte relevanz, wenn man sich einmal überlegt, welch eine epidemische verbreitung psychotraumata durch gewalt weltweit besitzen. ebenso sind die spiegelneurone beim thema autismus sehr relevant. aber dazu ein anderesmal.
monoma - 27. Aug, 22:31