assoziation
ein unrühmliches beispiel für die macht und mögliche instrumentalisierung psychiatrischer diagnosen ist gerade hier zu lesen:
"Eine alte Frau wird entmündigt. Ihre Betreuer verkaufen gegen ihren Willen das Haus. Jetzt versuchen die Behörden mit allen Mitteln zu verhindern, dass über den Fall berichtet wird."(...)
"Anna S. ist 67 Jahre und das, was man gemeinhin als "Messie" bezeichnet - ein Mensch, der nichts wegwirft, der alles behält, was ihm in die Hände gerät. Meist brauchen solche Menschen Hilfe, um den Alltag zu bewältigen."
nun, ältere menschen, die alleine leben - was ein ausdruck von sozialer isolation mit all ihren möglichen konsequenzen sein kann, nicht muss - und dazu auch noch vom "messie"-syndrom geprägt sind, können vermutlich tatsächlich hilfe gebrauchen. vielleicht auch psychotherapeutischer art. was aber hier passiert ist, scheint darauf hinauszulaufen, dass es sich ein paar staatlich bestellte betreuerInnen recht einfach machen wollten:
"Die Geschichte von Anna S. beginnt 2004. Weil die alte Dame ihr mehrere tausend Quadratmeter großes Grundstück offensichtlich verwahrlosen lässt, fühlen sich die Beamten des Amtes Pinneberg-Land auf den Plan gerufen. Sie schalten das Amtsgericht Pinneberg ein. Die Richter lassen zwei Gutachten von der etwas schrulligen Frau erstellen. Laut dem "Hamburger Abendblatt" bescheinigt das erste der Frau ein "gesundes Misstrauen", das zweite dagegen "paranoide Schizophrenie"."
zwischen den beiden in den gutachten genannten zuständen besteht imo eine fließende grenze, deren genauer verlauf eigentlich nur bei einer ausführlichen und längeren beschäftigung mit dem jeweiligen menschen festzustellen ist. von der problematik der diagnostischen konstruktion "schizophrenie" einmal ganz abgesehen. das jemand im alter nicht mehr unbedingt in der lage ist, ein großes grundstück zu verwalten, ist eigentlich nichts ungewöhnliches. und der begriff der "verwahrlosung" wird hier auch nicht genauer definiert - auch wilde gärten können schön sein, hingegen von kleinkarierten nachbarn als belästigung und "schmutzig" empfunden werden. das ist das eine.
das andere ist, dass natürlich im alter gehäuft vorkommende organische funktionsstörungen und degenerationsprozesse allgemeiner art sich auch im verhalten äußern können.und wir wissen nichts weiter von der biographie der frau, in der sich mit einiger wahrscheinlichkeit vermutlich muster und ereignisse finden lassen, die aktuelles verhalten verständlich machen könnten. wenn sie nun von der allgemeinen wahrnehmung als "müll" bezeichnete dinge im garten herumliegen lässt - gut, wenn das ein gewisses maß überschreitet, ist es imo schon gerechtfertigt, genauer hinzuschauen. was hier auch getan wurde - mit der folgenden konsequenz:
"Anna S. wird unter rechtliche Betreuung gestellt, das Gericht stellt ihr die beiden Betreuer zur Seite (...)
Einer völligen Entmündigung kommt eine solche Betreuung noch nicht gleich: Die Vormundschaft wird vom Gericht nur auf den Lebensbereich angewandt, in dem sich der jeweils Betreute nicht mehr selbst helfen kann, beispielsweise in Finanzangelegenheiten.
Für Anna S. bedeutete das: Ihre Betreuer kümmerten sich um ihre Schulden, die sich Zeitungsberichten zufolge auf 40.000 Euro belaufen haben sollen. Nach Angaben ihres Anwalts hatte Anna S. viel Geld auf der Bank, und sie besaß verschiedene Immobilien wie das Haus in Kummerfeld, das ihr besonders ans Herz gewachsen war. Doch Annika L. und Rolf S. entschieden, ausgerechnet dieses Haus zu verkaufen - gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Betreuten. Käufer war die Gemeinde Kummerfeld - und damit indirekt die Behörde, die die rechtliche Betreuung für Anna S. vorschlagen hatte. Die Kommune will das Grundstück nun komplett neu bebauen lassen."
ein schelm, wer böses dabei denkt? ist die obige konstellation schon gelinde gesagt problematisch, so wird die ganze geschichte durch die folgende entwicklung komplett zu einem - ja, skandal ist das wort, was sich im ersten moment aufdrängt:
"Die "Pinneberger Zeitung" und ihr Mutterblatt, das "Hamburger Abendblatt", begannen, einen Skandal zu wittern. Eine Reihe von Artikeln erschien, in denen das seltsame Grundstücksgeschäft in Frage gestellt wurde: "Bereichert sich ein Dorf auf ihre Kosten?" lautete eine der Überschriften. In dem Beitrag wurde der von Anna S. engagierte Rechtsanwalt mit den Worten zitiert, möglicherweise habe die Betreuung ja nur dazu gedient, leichter an das begehrte Grundstück heranzukommen.
Auch Kummerfelds Bürgermeister, Hanns-Jürgen Bohland, kam zu Wort: "Wir haben uns wirklich nicht um das Grundstück gerissen." Alles sei nach Recht und Gesetz gelaufen, versicherte er."
sicher doch. in diesem schönen land verläuft bekanntlich immer alles nach "recht und gesetz". so auch das folgende:
"Nach den ersten Zeitungsberichten im Januar beantragte Rolf S. laut "Hamburger Abendblatt" im Februar vom Amtsgericht, die Betreuung auszudehnen - und hatte Erfolg: "Der Aufgabenkreis der Betreuer wird um den Bereich der Vertretung gegenüber Presse, Fernsehen und gegenüber dem Behindertenbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein erweitert", verfügten die Pinneberger Richter. (...)
Mit anderen Worten: Künftig dürfen Medienvertreter nur noch direkt mit den beiden Betreuern sprechen. Was andernfalls passieren kann, erfuhr das "Hamburger Abendblatt" umgehend. Mit Hilfe eines Berliner Medien-Anwaltes setzten die Betreuer eine einstweilige Verfügung durch: Bei der Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000 Euro wird der Zeitung unter anderem verboten "in die Antragsteller/Antragstellerin (also die Betreuer und die Betreute) identifizierbarer Weise über den Rechtsstreit zwischen - gelöscht - und der Gemeinde - gelöscht - oder die Betreuungsverhältnisse zu berichten..." - ein umfassender Maulkorb für die Presse also."
mit einer sehr interessanten begründung:
"Die plötzlich erweiterte Betreuung begründen die Richter damit, dass bei Anna S. eine paranoide Schizophrenie vorliegt, "in der sich die Betroffene von Personen und Institutionen beeinträchtigt fühlt".
na, überlegen Sie einmal, was sich damit alles so "regeln" ließe - aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie sich dann selbst auf einmal paranoid fühlen.
die ganz geschichte macht sehr deutlich das grundsätzliche dilemma sichtbar, das ich weiter unten schon mal genauer umschrieben hatte: psychiatrische diagnosen können reale, für einen menschen bzw. das jeweilige umfeld tatsächlich gefährliche und bedrohliche krankhafte prozesse erfassen - aber in ihrem jetzigen status quo, der meist sehr interpretierbar ist, können sie genausogut zu allerlei schweinereien übelster art benutzt werden. und zwar ganz nach "recht und gesetz". die obige richterliche begründung jedenfalls folgt ziemlich genau dem muster, mit dem bspw. auch in totalitären systemen unliebsame kritikerInnen der verhältnisse kalt gestellt werden.
wie wäre es mit gleichem recht für alle? ein bißchen weiter unten findet sich heute bei "spon" diese schlagzeile:
"7000 Soldaten sollen WM schützen
Die Verteidigungsminister will zur Sicherung der Fußball-WM in Deutschland deutlich mehr Soldaten bereit stellen als bisher gedacht. Nun ist von bis zu 7000 Soldaten die Rede.(...)
Konkret stellt die Bundeswehr Sanitätskräfte, ABC-Abwehreinheiten, Pioniere, Feldjäger mit Sprengstoff-Spürhunden und Hubschrauber sowie Flugzeuge bereit."
nicht nur "die" verteidigungsminister, sondern auch der innenminister diese landes ist nicht nur begeistert von derlei maßnahmen, sondern gleichzeitig werden auch weiterhin alle möglichen öffentlichen orte mit kameraaugen bepflastert und der hype um die "innere sicherheit" (welches innen hier wohl gemeint ist?) nimmt seit jahr und tag kein ende.
wußten Sie schon, dass paranoide menschen selbst zu verfolgern werden können, die dann bei den verfolgten wiederum paranoia auslösen können? was dann den "anfangsverdacht" bzw. wahn des paranoiden verfolgers wiederum verstärkt, was dann natürlich...eine prächtige spirale ohne ausweg.
von welchen "personen und institutionen" fühlen sich eigentlich bestimmte politiker so "beeinträchtigt"? wenn´s die raf noch geben würde, ließe sich darin etwas reales erkennen. aber ein zugegeben recht großes sportliches event mit abc-schutz, luftaufklärung und sprengstoffspürhunden? sind hier nicht so langsam alle relationen verrutscht? ist ein herr schäuble eigentlich mal nach dem attentat auf ihn hinsichtlich in diesem speziellen fall sehr nachvollziehbarer paranoider symptome untersucht worden? gleiches recht für alle (als erste nötige maßnahme)?
"Treblinka - hier endet der polnische Pädagoge Korczak mit seinen Kindern - beginnt als drittes Vernichtungslager im Juli 1942. Erster Lagerkommandant ist Dr. Irmfried Eberl, der den Gashahn schon in Brandenburg und Bernburg betätigt hat. Eberl, der Ende August oder Anfang September wegen Unfähigkeit entlassen wird, schreibt am 30. Juli an seine Frau, in Treblinka habe ein Tempo eingesetzt, `das geradezu atemberaubend ist. Wenn ich vier Teile hätte und der Tag 100 Stunden, dann würde das wahrscheinlich auch noch nicht ganz reichen.´
Sein Nachfolger wird Franz Stangl, unter Christian Wirth Büroorganisator, Ortspolizist und Standesbeamter in Hartheim (...). Als Stangl in Treblinka eintrifft, findet er Hunderte von verwesenden Leichen neben den Bahnschienen und einen Zug mit meist toten, aber auch noch lebenden Juden auf dem Bahnhof. Eberl ist mit dem Töten nicht mehr nachgekommen, sind an einem einzigen Tag doch manchmal bis zu 20.000 Menschen zu töten. Stangl: `Am Abend, so sagten sie, ließ Eberl nackte Jüdinnen auf dem Tisch tanzen. Ekelhaft - es war alles ekelhaft.´ Er, der eine Zeitlang sogar seine Familie nachkommen läßt, ist da `menschlicher´: Stangl läßt in den Gang zu den Gaskammern (`Schlauch´genannt) Kübel aufstellen, weil den Frauen in ihrer Todesangst der Kot abgeht.
In Treblinka frieren im Winter die auf ihre Vergasung wartenden Menschen mit den Füßen am Boden fest, und im Sommer scheint nie die Sonne, weil sie von der Wolke aus dem Krematoriums-Schornstein verdunkelt wird. Stangl (...) pflegt im weißen Reitanzug die ankommenden Transporte hoch zu Roß in Empfang zu nehmen, läßt überall Blumen pflanzen, errichtet einen kleinen Zoo und bringt es fertig, nach der Tötung eines Transportes von fünf- bis sechstausend Menschen seine Mittagspause zu halten. (...)
Die ehemaligen Euthanasie-Helfer zeigen, was sie während ihrer Euthanasie-Tätigkeit an Verrohung erfahren haben. Willi Mentz, der in Grafeneck die Kühe gemolken und die Schweine gehütet und danach in Hadamar die Zentralheizung bedient hat, bekommt in Treblinka den Spitznamen `Frankenstein´. Weil das Erschießen seine typische Tätigkeit ist, wird er auch schlicht der `Schießer´ genannt. Franz Rum dagegen hat in der Berliner Zentrale (der "t4", anmerk. mo) die einlaufenden Meldebögen fotokopiert. Da er die auftretenden Dämpfe nicht vertrug, treibt er nun in Treblinka die Opfer mit der Peitsche in die Gaskammer. August Miete, der in der Grafenecker Landwirtschaft begann und im Hadamarer Krematorium verrohte, spricht Häftlinge ohne jede Erregung an, erklärt ihnen, daß sie zu gut oder zu schlecht aussähen, daß sie zuviel nachdächten oder zu faul seien - und erschießt sie. Er trägt den Spitznamen `Todesengel´ (nach dem Krieg wurde er Geschäftsführer einer Spar- und Darlehensgenossenschaft in Westfalen). Gustav Münzberger (...), ein Handwerker der Anstalt Sonnenstein , entwickelt in Treblinka seine eigene Form von `Humanität´. Im Gerichtsurteil heißt es:
`Er mußte dafür sorgen, daß in größter Eile möglichst viele zur Vergasung bestimmte Männer, Frauen und Kinder, die im Schlauch auf ihren Tod warteten, in die Gaskammern gepreßt wurden, so daß die einzelnen Kammern bis zum letzten Quadratzentimeter ausgenutzt wurden...
Kinder, die im allgemeinen Gedränge von ihren Müttern getrennt wurden, ließ er durch die Ukrainer über die Köpfe der Erwachsenen hinweg in die Gaskammer werfen, damit diese möglichst rationell ausgenutzt wurden und die Abfertigung so schnell wie möglich ging. (...)
Wenn er auf eine möglichst letzte Ausnutzung der Gaskammern bestanden habe, so sei das auch im Interesse der wartenden Juden geschehen; denn je schneller die Vergasungen erfogt seien, umso kürzer seien die Leiden und Ängste der noch nicht vergasten Juden gewesen. Diese hätten insbesondere während des strengen Frostes im Winter sein Mitleid erregt, da sie nackt und frierend bei mitunter 20 Grad Kälte im Schlauch auf ihre Abfertigung hätten warten müssen. Er habe sich dann besonders eifrig für eine schnelle und rationelle Füllung der Gaskammern eingesetzt, um den nackten Menschen den Aufenthalt in der schneidenden Kälte zu verkürzen.´"
(ernst klee, "`euthanasie´ im ns-staat´; siehe literaturliste, s. 377/378)
*
"Und so blickt die Welt immer wieder fasziniert und entsetzt auf das eine oder andere von Stacheldraht umzäunte Karree, in dem man eine Eisenbahnrampe, zahlreiche säuberlich aneinander gereihte Baracken und ein Krematorium mit großem Schornstein ausmachen kann, man starrt auf dieses seltsame Gebilde und denkt an den seltsamen Zweck, dem diese Anlage gewidmet war. Während man also diese Gesamtskulptur betrachtet und vergeblich mit historischen Kategorien zu entschlüsseln sucht, betreibt man in Wirklichkeit Psychopathologie, die sich hier zwar in historischen Formen manifestiert, letztlichendlich aber nicht in historischen Kategorien auflösen lässt.
Historisch sind zweifellos die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die diese psychopathologische Manifestation ermöglicht haben. Es ist jedoch eine absolut ahistorische, zeitlos ewige psychopathologische Universalie, die hier ein historisches Symptom produziert. Und das mit dem Symptom ist wortwörtlich, buchstäblich gemeint: Ich kann keinen einzigen vernünftigen Grund finden, warum psychisch kranke Personen ihre Krankheit nicht im Medium des gesellschaftlich historischen Geschehens artikulieren und realisieren (materialisieren) sollten, sei´s als Kunstwerk, exakte Wissenschaft, politisches Projekt oder eben als Menschentötungsfabrik. (...)
Das Symptom wird auf der Bühne der Geschichte und mit geschichtlichen Mitteln aufgeführt. Es stimmt einfach nicht, dass der Wahnsinn immer nur am wahnsinnigen Menschen haften bleibt und ausschließlich in den dafür zuständigen Institutionen verwaltet und unter Verschluß gehalten werden könnte. Das ist allenfalls eine beruhigende Mystifikation. Die große und weltmächtige Seite des Wahnsinns wird weitgehend ignoriert, man tut so, als gäbe es diese Seite nicht, man will nichts davon wissen und nichts damit zu tun haben. Man hält dem Wahnsinn sozusagen die gesellschaftliche Bühne frei, bis zum nächsten Auftritt."
(j. e. mertz, "borderline..." literaturliste, s.201/202)
*mit dem "psychotischen kosmos" wird in der literatur zur shoa an einigen stellen das geschehen in den bzw. das ganze system der deutschen kz bezeichnet.
ich bin übrigens der meinung, dass die nazis bestimmte macht- und herrschaftsstrukturen mitsamt ihren pathologischen grundlagen nur besonders deutlich und kenntlich realisiert haben - ihre eigentlichen erschaffer jedoch waren sie nicht (bis auf die besondere eigenart der industriellen massenvernichtung - aber auch die hat imo eine basis, die nicht erst auf einmal mit den nazis in der welt war. und die auch nicht nach der militärischen zerschlagung des ns verschwunden ist).
ein weiterer, eher spontaner beitrag zum tagesthema hier (welches auch in der nächsten zeit noch raumfordernd sein wird - ich schätze, es werden mindestens noch zwei fortsetzungen in der psychopathie-reihe folgen) - beim eher aus langeweile zustandegekommenen blättern in alten konkret-ausgaben kam mir etwas unter die augen, was bei mir allerhand finstere gedanken ausgelöst hat - und ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich mich alleine damit herumplagen sollte.
*
haben Sie schon mal den namen paul c. martin vernommen? nein? macht auch nichts weiter - das wissenswerte steht im wiki-link, und mir war der name vor heute abend auch nur vage durch den "bild"-"zeitungs"-kontext im gedächtnis. was bei wikipedia allerdings so unter dem wort "kolumnist" verbucht wird, lässt sich konkreter fassen: herr martin hat zumindest zeitweise auch im "penthouse" kolumnen verfasst. und eine davon ist in der ausgabe 1/1993 von konkret auf s. 61 dokumentiert - die kolumne dürfte ende 1992 im original erschienen sein, ist aber trotz ihres fortgeschrittenen alters von zeitloser und wünschenswerter klarheit, wobei der text auch von jedem anderen tatsächlich überzeugten anhänger von freedomanddemocracy verfasst sein könnte, der über den nötigen zynismus verfügt - bitte sehr:
"Nicht daß Sie glauben, ich scherze: Die größten Profite, die nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt mit Aktien zu erzielen waren, von denen haben Sie noch nie etwas gehört. Es war das `Doppel-Plus mit dem Doppel-P´: Das sensationelle Geld, das die Herren Papadopoulos und Pinochet den Anlegern bescherten. Papadopoulos war jener griechische Putschist, der 1967 Panzer auffuhr und für Ruhe, Ordnung und ein Rechtsregime sorgte. Pinochet ist jener chilenische Putschist, der im September 1973 den Sozialisten Allende zum Abgang per Suizid zwang.
Die Börsen von Athen und Santiago erlebten daraufhin Orgasmen. Die Kurse selbst der obskursten Nebenwerte explodierten. Vierfaches, achtfaches, selbst zwanzigfaches Geld war an der Tagesordnung. Und jeder durfte ganz dabeisein. Denn selbst der Kleinsparer Obermoser aus Hinterpfaffenhofen hätte aus zehn Mille hart Erspartem 100.000 Mark oder auch das Doppelte machen können - und das vollständig ohne Risiko. Es gibt auf der Welt keinen sichereren Aktientip als ein Militärregime, ein `rechtes´ notabene. Wenn die Linksoppositionellen im KZ verschwinden, wenn Schweden die diplomatischen Beziehungen abbricht und wenn der Heimatdichter aus den Slums der Hauptstadt den Nobelpreis für Literatur erhält, Anleger, dann ist das Eure Stunde.
Bitte jetzt nicht komisch werden. Gefühle haben an der Börse nichts zu suchen und mit Geldverdienen nichts zu tun.
Legen Sie sich auf Wiedervorlage, wann immer die Zeitungen über einen Rechtsruck jammern, über einen Militärputsch gar. Es genügen auch schon Überschriften wie `Demontage des Sozialstaats´ oder `Streik abgebrochen´ oder auch nur `Umverteilung von unten nach oben´ und `Ellenbogengesellschaft´. Wo immer man wieder starke Schultern aufrecht tragen kann, wo es wieder zackig wird, wo die Worte `Arbeit´, `Leistung´ und `Gewinne´ wieder Klang erhalten, da liegt die Börse richtig.
Wo immer sich die Weltgeschichte hinbewegt, das oberste Prinzip für alles Investieren kann nur lauten: dorthin gehen, wo das Kapital noch sicher ist, dorthin, wo es Geld verdienen kann, verdienen darf."
...
die kriterien der aktuellen icd-10 für die antisoziale bzw. dissoziale persönlichkeitsstörung lauten wie folgt:
F60.2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung
Eine Persönlichkeitsstörung, die durch eine Missachtung sozialer Verpflichtungen und herzloses Unbeteiligtsein an Gefühlen für andere gekennzeichnet ist. Zwischen dem Verhalten und den herrschenden sozialen Normen besteht eine erhebliche Diskrepanz. (was, wie schon heute nachmittag erwähnt, dann ein problematisches kriterium wird, wenn die herrschenden sozialen normen selbst bereits soziopathische züge aufweisen, anmerk. mo) Das Verhalten erscheint durch nachteilige Erlebnisse, einschließlich Bestrafung, nicht änderungsfähig. Es besteht eine geringe Frustrationstoleranz und eine niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten, eine Neigung, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen für das Verhalten anzubieten, durch das der betreffende Patient in einen Konflikt mit der Gesellschaft geraten ist.
und zum begriff der soziopathie, der den gleichen defekt (das wort benutze ich hier ganz bewusst) bezeichnet, lässt sich folgende - und imo treffende - zusammenfassung bei wikipedia finden:
"Seitdem gilt der Begriff für die neuropathologisch bedingte Unfähigkeit, soziale Kompetenzen wie Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und Unrechtsbewusstsein zu entwickeln."
frage: schafft der kapitalismus den soziopathen, oder schafft sich der soziopath im kapitalismus das ihm adäquate (und am besten angepasste) sozioökonomische system? oder ist es eine art dialektisches wechselspiel?
haben Sie übrigens schon den hier früher empfohlenen film the corporation gesehen?
*edit am 04.03: tja, da ist mir das gestern erwähnte begriffswirrwarr selbst auf die füße gefallen (nicht das erste mal) - so wird zwar im psychiatrischen mainstream eben das wort soziopathie als synonym für die antisoziale ps genutzt (während die psychopathie noch darüber hinaus teils als synonym für so ziemlich alle persönlichkeitsstörungen fungiert) - während ich aus gründen, die teils bereits in den gestrigen beiträgen schon enthalten sind, den ansatz plausibel finde, der die psychopathie als abgrenzbare und eigenständige untergruppe der antisozialen ps ansieht. wobei es vielleicht zu überlegen ist, ob dem begriff soziopathie nicht eher der vorzug zu geben ist: einmal ist die historie dieses wortes nicht ganz so belastet, zum anderen aber stellt sie die besonders frappierende und ausgeprägte eigenschaft des gesamten antisozialen spektrums in den vordergrund, nämlich das leiden lassen der sozialen umwelt unter dem ausagieren der eigenen störung, während das wort psychopathie eher den individuellen aspekt hervorkehrt - und damit auch die assoziationen zu sehr auf diesen aspekt lenkt, unter vernachlässigung des beziehungsgefüges.
ob also die oben zitierte kolumne im strengen sinne innerhalb eines soziopathischen kontextes zu verstehen ist, lässt sich schlicht und einfach nicht belegen - hingegen gibt es imo genügend gründe dafür, die aussagen des textes als deutlich antisozial zu sehen, selbst nach dem zugehörigen diagnostischen modell. und auch, wenn sich viele indizien dafür finden lassen, innerhalb kapitalistischer strukturen tatsächlich gehäuft personen mit sozio-/psychopathischer struktur zu vermuten, so geht doch das reale antisoziale verhalten (und die zahl der derart agierenden) aller wahrscheinlichkeit nach weit über das vorkommen der echten soziopathen hinaus. was dann eben auch die strukturellen eigenheiten des kapitalismus sozusagen ins rechte licht rückt - und genau das ist u.a. eben auch thema des oben empfohlenen films.
anders: um antisozial zu handeln, muss ich kein sozio-/psychopath im bisher skizzierten sinne sein - dazu reicht eine chronische funktionelle dominanz des objektivistischen modus aus, die in bestimmten formen irgendwann unweigerlich zu ähnlichen einbußen an empathie und sozialem verhalten führt, wie es bei soziopathen als prägende und neurophysiologisch basierte eigenschaft zu beobachten ist.
so eine feststellung in einem interview mit dem ex-model heidi klum:
SPIEGEL: Was ist mit dem Vorwurf, dass Ihre Show zur Magersucht verführt?
Klum: In diesem Job wird eine Scheinschönheit verkauft, die es so gar nicht gibt. Das ist wie ein Kunstwerk, wie Schauspiel. Ich weine vor der Kamera, obwohl ich nicht traurig bin. Ich komme gerade vom Job, bin geschminkt und verschönert durch tolle Roben, durch tolles Haar, Make-up, die Nägel sind gemacht.
SPIEGEL: Es gibt Sie eigentlich gar nicht.
fake-"schönheit" im vollen als-ob-modus. interessant dabei die tatsache, dass frau klum diese treffende beschreibung ihres business als antwort auf die frage gibt, ob "Ihre Show zur Magersucht verführt" - stellt die als-ob-qualität in den ihren augen eine art rechtfertigung dar?
jedenfalls widerspricht sie nicht nur nicht der feststellung ihrer nichtexistenz, nein, sie findet das, was sie tut, auch noch gut:
SPIEGEL: Haben Sie mehr Freude oder mehr Ärger mit der Show?
Klum: Freude. Ich bin stolz auf die Show. Sie zeigt, wie es ist, und sie ist Entertainment. Die Foto-Shoots, die gemacht werden, kommen auch so in Wirklichkeit vor, das ist alles schon sehr professionell.
nun besitze ich aus diversen gründen kein tv und würde auch aller wahrscheinlichkeit nicht auf die idee kommen, mir ein derartiges produkt anzuschauen. trotzdem wage ich die behauptung, mir eine gewisse vorstellung davon machen zu können - und vor diesem hintergrund fallen mir zwei dinge auf:
erstens: die heuchelei der kritik von medien und einer öffentlichkeit, die eine totalitäre verbreitung unerreichbarer virtueller "schönheitsideale" ansonsten duldet, toleriert und kein problem dabei sieht. das inzwischen auch zunehmend männer in dieses aufgrund produzierter psychophysischer bedingungen funktionierende diktat gezwungen werden (ein grund dafür, warum seit ca. zehn jahren auch männer mit den klassischen, bisher frauen "vorbehaltenen" essstörungen wie anorexia, bulimie etc. zu tun haben), ist historisch imo ein neues phänomen und keinesfalls irgendwie als indiz für emanzipation zu werten.
zweitens aber: sowohl die interviewende seite und erst recht frau klum scheinen weder ein bewußtsein dafür zu besitzen noch ein problem mit dem zu haben, was sie da eigentlich treibt: die produktion von reinen scheinwelten. mit wahrscheinlich fatalen konsequenzen.
klum freut sich offensichtlich noch darüber, nur als kunstprodukt zu existieren.
und das mit derlei ein millionenpublikum erreicht werden kann - ebenso wie mit anderen fakes und fiktionen - ist ein weiteres nachdrückliches indiz für den befund der als-ob-gesellschaft.
nur das von dieser gesellschaft produzierte elend, das morden und sterben bleibt handfest und körperlich real. es ist imo keine allzu gewagte spekulation, die rasante verbreitung von als-ob-zuständen vor dem hintergrund dieser realitäten als eine wahrscheinliche reaktion darauf zu sehen.
edit: hinweise von anderer seite nach diesem beitrag und auch eigene gedanken machen eine ergänzung dringend notwendig:
wie schon in früheren beiträgen - v.a. solchen, die sich mit dem scheinantagonismus subjektivität - objektivität befassen - betont, sind die simulativen menschlichen fähigkeiten, die der objektivistische modus produzieren kann, nicht per se "böse" oder destruktiv - ohne sie wäre bspw. das, was wir als kunst (incl. literatur und auch musik) bezeichnen, nicht denkbar. es sind bestimmte - und primär gesellschaftlich erzeugte - bedingungen, unter denen dieser modus bösartig wird. und wenn simulationen und fakes zunehmend im sozialen bereich auftauchen, und gar in zwischenmenschlichen beziehungen - dann kann sich dieser modus aufgrund seiner funktionsart nicht anders als destruktiv auswirken. die fluchtfunktion bspw. - wie sie in der formel von "brot und spielen" (neuer auch als tittytainment) populär ist - bezeichnet funktional das ausweichen in simulative, fiktionale und virtuelle als-ob-realitäten - vor welchen realitäten da ausgewichen wird, lässt sich tag für tag den nachrichten entnehmen.
wir haben dieses ausweichen "in den kopf" innerhalb von infantizidalen und teils lebensbedrohlichen zuständen alle mehr oder weniger bereits als kinder gelernt - in unterschiedlicher individueller ausprägung, sicher. aber die grenzen zu den offen pathologischen formen des objektivistischen modus sind in dieser welt und unter diesen sozialen bedingungen offensichtlich mehr denn je fließend.
momentan habe ich weniger ruhe und zeit zum schreiben, als ich mir wünsche - und das wird vermutlich leider auch noch eine zeit so bleiben. ärgerlich, wenn der kopf eigentlich voll ist mit gedanken, der körper dazu mit teils entsprechenden gefühlen, aber eben auch gefühlen, die ganz anderes verlangen. die übliche zersplitterung eben, die ich trotzdem keinesfalls als normal bezeichnen will.
*
weitere fragmente also zu einem unübersichtlichen thema. beginnen wir mit einer - für mich - recht neuen entdeckung: einer regelrechten ideologie des objektivismus, begründet von der - na, das passt schon - kapitalistischen ikone namens ayn rand, zu deren biographie auch hier mehr zu lesen ist. ihre heutigen apologeten versammeln sich im netz unter namen wie objektivismus.de bzw. objektivisten.de und präsentieren da ganze sammlungen tragikomischer psychophysischer verwirrungen. so wird bspw. in der "epistemologie des objektivismus" zum zusammenhang zwischen "vernunft" und emotionen folgendes postuliert:
"Emotionen sind ein Produkt der Gedanken
Eine Emotion ist eine Reaktion auf ein Objekt das man wahrnimmt (oder das man sich vorstellt), wie etwa einen Menschen, ein Tier, ein Ereignis. Das Objekt an sich hat jedoch keine Macht, ein Gefühl im Beobachter hervorzurufen. Das kann es nur tun, wenn der Beobachter zwei intellektuelle Elemente hinzufügt, die die notwendigen Bedingungen für Emotionen sind: Identifikation und Bewertung. Emotionen sind Bewusstseinszustände mit körperlichen Begleiterscheinungen und intellektuellen Ursachen. Die vier Schritte in der Erzeugung einer Emotion sind Wahrnehmung (oder Phantasie), Identifikation, Bewertung und Reaktion. Weil der menschliche Verstand mit der Zeit seine Bewertungen zu automatisieren lernt, fehlt es den Menschen häufig an einem expliziten Gewahrsein der Zwischenschritte „Identifikation“ und „Bewertung.“
Die Vernunft ist für den Menschen das einzige Mittel zum Wissen
Emotionen sind automatische Konsequenzen der vorausgegangenen Schlussfolgerungen eines Verstandes, ungeachtet dessen, wie dieser Verstand in dem Prozess zu ihnen zu gelangen, ge- oder missbraucht wurde. Jedes Erscheinen eines Konflikts zwischen Verstand und Emotion ist in der Tat eine Kollision zwischen bewussten und unterbewussten Gedanken.(...)"
mal davon abgesehen, dass hier ohne einen hauch von bedenken lebendiges (menschen, tiere) und unlebendiges/abstraktes (ereignisse und objekte im eigentlichen sinne) undiffrenziert insgesamt als objekte bezeichnet werden, ähnelt die dahinterstehende vorstellung von psychologie sehr pawlow´s reiz- und reaktionsschema, welches hier modifiziert wird durch ein paar - ausschließlich! - intellektuelle aktionen des wahrnehmenden. das ist, die heutigen erkenntnisse der neurowissenschaften berücksichtigend, schlicht unsinn. das verhältnis dürfte - wenn überhaupt eine hierarchie gesetzt werden kann - potenziell eher umgedreht sein: emotionen bilden die basis für jegliche tätigkeit des objektivistischen bewußtseins. dazu negieren die objektivisten komplett die körperlichen wahrnehmungsmodi, ohne die das objektivistische bewußtsein keinerlei input besitzen würde. um es klipp und klar zu sagen: das dahinter stehende menschenbild ist ein absolutes veraltetes, stammt aus den geisterbahnen der mechanistischen philosophie und ist tendenziell aufgrund seiner falschen gewichtungen lebensfeindlich. warum? weil hier eine komplett verdrehte gewichtung zwischen emotionen und vernunft als absolutes gesetzt wird. das wegdefinieren der die objektivisten augenscheinlich störenden gefühle gelingt nicht total - falls sie nicht völlige autisten sind, kommen sie immerhin nicht drumrum, die existenz von emotionen anzuerkennen. aber sie werden ausschließlich als sekundäre anhängsel des verstandes gewertet, die keinerlei echte relevanz hinsichtlich ihrer aussagekraft oder der informationen besitzen, die sie transportieren. mühsam wird eine art fragiler waffenstillstand zwischen beiden konstruiert, so wie es die objektivisten vorführen:
"Richtig ist, dass der Objektivismus davon ausgeht, dass Gefühle keine Quelle von Erkenntnis sind und keine Handlungsanleitungen sein dürfen. Aber Vernunft und Emotionen schließen sich nicht gegenseitig aus, sie stehen nicht in einem feindlichen Verhältnis zueinander. Gefühle sind ebenso wichtig wie die Vernunft, aber sie dienen unterschiedlichen Zwecken, über die wir uns im klaren sein müssen, wenn wir ein glückliches Leben führen wollen. Nathaniel Branden schreibt in einem Beitrag für die Zeitschrift The Objectivist Newsletter aus dem Jahre 1962, dass die Frage: "Aber was ist mit der emotionalen Seite der menschlichen Natur?" tatsächlich bedeutet: "Aber was ist mit meinen irrationalen Wünschen?"
aber natürlich nicht. empathische gefühle dürfen keine handlungsanleitung sein; liebevolle - und auch destruktive - gefühle sind keine quelle der erkenntnis - wie weit ist die westliche kultur eigentlich heruntergekommen, damit ein derartiger mist hier offiziell als angesehene philosophische richtung, der bis heute bspw. in den usa relevante teile der dortigen ökonomischen und administrativen "eliten" beeinflusst, durchgehen kann? woher der wind weht, macht die frage im letzten satz deutlich: "irrationale wünsche" - erstmal muss definiert werden, ob es hier um negative oder positive irrationalität geht, zweitens aber fehlt der hinweis auf die jeweilige kulturelle bedingtheit dessen, was so als irrational bezeichnet wird. drittens aber werden "irrationale wünsche" häufig gerade dann als "irrational" (im verbreiteten sinne = "irgendwie schädlich, verrückt") wahrgenommen, wenn der wahrnehmende mensch das in seiner oder ihrer sozialisation gelernt bzw. vermittelt bekommen hat - meistens von bezugspersonen, die ihren eigenen emotionen bereits ordentlich entfremdet sind. und viertens ist die wahrnehmung (im eben definierten sinne) "irrationaler wünsche" keinesfalls zwangsläufig, sondern stellt in vielen fällen bereits einen ausdruck für das ins trudeln geratene psychophysische gleichgewicht innerhalb eines menschen dar - das "innere" wird dann als diffus bedrohlich, seltsam, verunsichernd und un-logisch - eben "irrational" - erlebt. alles in allem scheint diese art von philosophie hauptsächlich eine reaktion auf nichtverarbeitete traumatische prozesse darzustellen. zu offensichtlich ist die ständige abwehr und zwanghafte niederhaltung all dessen, was von den objektivisten als "emotional" und "irrational" bezeichnet wird. und die "unterschiedlichen zwecke"? aus der täglich zu bewundernden objektivistischen praxis dürfen wir schließen, dass gefühle im "privaten" bereich zu bleiben haben, der "verstand" aber ganz emotionslos die gesellschaftlichen belange zu regeln habe. die frage, warum gefühle offensichtlich auch destruktiv sein können / werden können, was darin für informationen über die aktuellen menschlichen verhältnisse stecken - die frage kommt offensichtlich niemandem der objektivisten in die ach so klaren köpfe. stattdessen gibt´s pure ideologie :
"Kapitalismus ist das System der Objektivität
Objektivität ist realitätsorientiertes Denken, während Tugend realitätsorientiertes Handeln basierend auf diesem Denken ist. Der Kapitalismus, das System des freien Handels, erlaubt es jedem Produkt oder jeder Dienstleistung, einen auf dem ökonomischen Gesetz von Angebot und Nachfrage beruhenden objektiven Marktwert zugewiesen zu bekommen. Alle Bestrebungen zu Monopolisierung oder Preisabsprachen können nicht lange anhalten, weil der freie Wettbewerb die Preise wieder auf eine vernünftiges Niveau zurückdrängen wird. Darum sind sowohl ökonomische Werte als auch die mit ihnen verbundenen Gewinne im Kapitalismus objektiv. Da eine freie Gesellschaft mit der Zeit immer sachkundiger wird, bewegen sich die ihren Produkten zugewiesenen Marktpreise von lediglich gesellschaftlich objektiv, in Richtung philosophisch objektiv. In anderen Worten, der Appeal eines Produkts muss letztlich dem individuellen Menschenleben dienen oder der Bedarf des Markts daran wird schließlich austrocknen. Wirtschaftliche Macht sollte nicht mit politischer Macht verwechselt werden, da erstere nur freiwilligen Handel beinhaltet, während letztere mit der Initiierung physischer Gewalt oder der Drohung damit verbunden ist."
das "realitätsorientierte denken" lässt sich aktuell z.b. in der diskussion über die folter beobachten - siehe den letzten beitrag. und zu einer reinen märchenstunde wird´s dann zum ende: was für einen "produktappeal" haben denn die tausenden von überflüssigen bis offen schädlichen produkte, die ein völlig durchgeballerter kapitalismus heute per massenmedialer manipulation durch werbung als "notwendigkeiten" auf den markt schmeisst? das objektivistische raster, welches hier einen anscheinend objektiv-vernünftigen konsumenten postuliert, kennt offensichtlich keinerlei synthetisch produzierten pseudobedürfnisse, mit denen oft genug psychophysische defekt- und mangelzustände kompensiert werden sollen. und das die wirtschaftliche macht nur "den freien handel" beinhalten sollte und natürlich niemals mit physischer gewalt arbeitet (nein, direkt selbst machen sie sich ihre sauberen hände natürlich meistens nicht schmutzig...) - eine derartige behauptung lässt sich schon als gesteigerte realitätsflucht bezeichnen.
so. wer zeit und muße hat, sich durch den objektivistischen wahn durchzuarbeiten, kann die eigenen gedanken gerne an dieser stelle kommentierend veröffentlichen. mir reicht´s für den moment ersteinmal.
*
ich hatte im letzten beitrag ziemlich weit unten hinsichtlich der folter vom typus der sadistischen psychopathen geschrieben, die von denen, die ihre methoden überlebt haben, als primär am perversen lustgewinn (durch das leiden anderer) interessierte gekennzeichnet werden. wie gesagt, gibt es solche leute (theweleit hat ihrem möglichen funktionsmodus in Das Land, das Ausland heißt ein ganzes kapitel gewidmet), und wie ebenfalls gesagt, sind sie es, bei denen heutige psychiatrische diagnosen bezgl antisozialer persönlichkeiten noch am ehesten passen würden. es war allerdings nicht meine absicht, sie von den normalen folterern so zu unterscheiden, wie´s den anschein haben könnte. ich bin bei meinen worten selbst ein ganzes stück weit dem gleichen ewigen irrtum verfallen, dem wir alle hier mehr oder weniger unterliegen: das objektivität grundsätzlich etwas mit vernunft, sachlichkeit, ruhigem überlegen zu tun hätte. diese definition suggeriert einen gegenpol zu den wild schäumenden emotionen und leidenschaften, wie wir sie - mehr oder weniger unbewußt und unberechtigt - mit dem begriff der sadistischen psychopathie assoziieren.
der irrtum liegt kurz gesagt darin, dass der objektivistische modus durchaus auch in einer verpackung ankommen kann, die unseren vorstellungen von objektivität nicht nur nicht entspricht, sondern sie sogar ad absurdum führt. und das hängt mit der als-ob-qualität zusammen, die der objektivistische modus - wie es seiner funktionsweise entspricht - unter bestimmten bedingungen perfekt produzieren kann: pseudoemotionale simulationen. das im letzten beitrag skizzierte modell von mertz berücksichtigend, müssen wir davon ausgehen, dass so ziemlich jede uns bekannte emotion auch in form einer simulation auftreten kann. ein beispiel dafür, welches unter den heutigen gesellschaftlichen bedingungen leider sehr relevant ist, wäre der hass. hass als echter affekt kann durchaus rationalen emotionalen motivationen entspringen: hass als enttäuschte/gewendete liebe, hass als spontane reaktion auf unmögliches zwischenmenschliches verhalten, als reaktion auf extreme unterdrückung usw. dieser hass wird sehr wohl in aller regel als etwas wahrgenommen, was eine primäre körperliche grundlage besitzt - ein gefühl, was sich an ganz verschiedenen stellen des körpers in verschiedenen arten manifestieren kann. er bezieht sich auf etwas reales, womit hier gemeint ist, dass er sich auf in weitestem sinne soziale und interpersonale beziehungssituationen bezieht. er besitzt sekundär eine objektive qualität in dem sinne, dass er zeitweise für eine wahrnehmungsreduktion sorgt (bzw. gleichzeitig einer solchen entspringt), und damit die wahrnehmung anderer aspekte des gehassten menschen bzw. der auslösenden situation sehr erschwert bis unmöglich machen kann. trotz allem lässt sich dieser hass keineswegs als gleichgültigkeit interpretieren, sondern als ausdruck eines - wenn auch ins negative gewendeten - realistischen interesses an einem konkreten anderen.
und gerade letzteres lässt sich vom abstrakten, offen objektiv daherkommenden hass nicht sagen. hier tritt der objektivistische modus in seiner mehr oder weniger gewohnten form auf: mit vernunft und sachlichkeit begründen gerade mit vorliebe ideologien jeglicher coleur, warum diese oder jene menschen - in ihrer unterstellten funktion als träger von "schädlichen" ideen - allgemein hassenswert zu sein haben. und in der folge, wie ein blick in die historie zeigt, auch der leider verdienten vernichtung zugeführt werden müssen. das ist einer der wichtigsten punkte, in denen sich faschistische (als prinzip, nicht als ideologie begriffen) systeme weltweit ähneln - egal, ob sie "politisch", religiös oder sonstwie begründet werden. immer wird ein objektivistisches raster zugrundegelegt - falsche "rasse", klasse, religion, falsches geschlecht -, welches den realen - und meistens bedeutet das auch: widersprüchlichen menschen - als abstraktion aufgepfropft wird in dem sinne, dass sich die objektive wahrnehmung der so "hassenden" alleine auf die proklamierten "objektiven" eigenschaften der jeweiligen opfer focussiert - und diese derart zu verabscheuungswürdigen nicht-mehr-menschen werden lässt, zu "parasiten", "insekten", "schädlingen", "verrätern", "ungläubigen". was aber mit solchen zu geschehen hat, wissen wir spätestens bei betrachtung des letzten jahrhunderts ganz genau. an diesem punkt trifft sich der nazi-bürokrat eichmann mit dem tscheka- gründer dscherschinski, an diesem punkt treffen sich aber bspw. auch ein george w. bush und ein bin laden - sie hassen sich als abstraktes, genauso wie sie untereinander beliebig zeitweise koalieren können, wenn es denn der sache dient - eine sache, die im übrigen inhaltlich ebenso beliebig austauschbar erscheint. für machtmenschen ist die struktur wichtig, die ihnen das ausagieren ermöglicht - inhalte sind prinzipiell zweitrangig (auch, wenn das ein widerspruch zu der immer behaupteten aufopferung für die jeweilige sache zu sein scheint - die diese machtsysteme tragenden menschen sind meiner meinung nach grundsätzlich auch in anderen systemen denkbar, solange diese auf hierarchien und unterordnung beruhen.)
dieser hass (sollen wir das wirklich hass nennen?) kommt sozusagen entkörpert daher, bezieht sich letztlich nicht auf konkretes tun oder nichttun (auch, wenn hier die aufhänger gesucht werden), sondern auf fiktive, imaginierte eigenschaften der gehassten (das diese fiktionen - außer bei totalem realitätsverlust vielleicht - immer auch einige körnchen realität enthalten, hängt mit der im letzten beitrag skizzierten arbeitsweise des objektivistischen modus zusammen, der als werkzeug der subjektivität immer nur den wahrnehmungsmässigen input verarbeiten kann, der wiederum primär körperlich erzeugt wird. wenn diese wahrnehmungsfunktionen nun funktionell oder strukturell begrenzt und / oder geschädigt sind, werden sie dementsprechend mehr oder weniger verzerrte und seltsame realitäten produzieren - vielleicht immer noch das nachdrücklichste beispiel dafür sind "die juden" in der wahrnehmung der nazis).
diese abstrakte - hm, qualität plaziert diesen hass außerhalb jeder menschlichen beziehung - was gerade durch die abstraktion geschieht. auch kriege machen das sehr schön deutlich:
"Ganz eigenartig war Silvester hier. Es kam ein englischer Offizier mit weißer Fahne herüber und bat um Waffenruhe von 11 bis 3 Uhr zur Beerdigung ihrer Toten. (...) Sie wurde gewährt. (...) Die Waffenruhe aber wurde ausgedehnt. Die Engländer kamen aus ihrem Graben heraus in die Mitte, tauschten Zigaretten und Fleischkonserven, auch Photographien aus mit den Unsern, sagten, sie wollten nicht mehr schießen. So herrscht vollständige Ruhe, die einem seltsam vorkommt. Wir und sie gehen und stehen auf der Deckung, über dem Graben. - (...)
Silvester riefen wir uns die Zeit zu und verabredeten, um 12 Uhr Salven zu schießen. Der Abend war kalt. Wir sangen Lieder, sie klatschten Beifall (wir liegen 60 - 70 Meter gegenüber), wir spielten Mundharmonika, dazu sangen sie, und wir klatschten. Dann fragte ich, ob sie nicht auch ein Musikinstrument da hätten, und dann kriegten sie einen Dudelsack vor (...) sie spielten ihre schönen elegischen schottischen Lieder darauf, sangen auch. Um 12 Uhr dann knatterten Salven von beiden Seiten in die Luft! Dazu ein paar Schüsse unserer Artillerie, ich weiß nicht, wohin die schossen, die sonst so gefährlichen Leuchtkugeln prasselten auf wie ein Feuerwerk, mit Fackeln wurde geschwenkt und Hurra geschrien.(...)"
(aus einem deutschen feldpostbrief vom 3. januar 1915 an der westfront, zitiert nach "innenansicht eines krieges. deutsche dokumente 1914 - 1918"; dtv; münchen 1973; s. 91/92; isbn 3-423-00893-8)
zur emotionalen vernunft gekommen...als reale menschen hatten sie keinen grund, sich zu hassen und zu töten - in dieser realität konnten sie sich persönlich sympathisch oder unsympathisch, liebenswert oder bescheuert oder auch alles gleichzeitig finden - als abstraktes hingegen nahmen sie sich gegenseitig als "franzosen", "deutscher" usw. wahr - und konnten sich im namen einer "höheren sache" (reine fiktionen - nationen, kaiser, könige, götter, staaten) mehr oder weniger unbelastet (das ist sehr relativ, ich weiß) gegenseitig ermorden - "wir führen hier nur unsere befehle aus" - und müssen dazu ganz objektiv an die sache herangehen. mittlerweile lassen sich auch wahrscheinliche ursachen dafür benennen, die derlei psychophysische funktionswechsel zumindest zu begünstigen scheinen - aber dazu ein anderes mal.
der eher selten auftretende typ des psychopathen (im "klassischen" sinne begriffen) scheint mit seiner offen egozentrischen maxime des eigenen lustgewinns am leiden anderer dieser abstraktion zu widersprechen. dieser eindruck jedoch täuscht imo: er funktioniert genauso objektiv, genauso fern jeder sphäre authentischer beziehungen - aber seine objektivität funktioniert anders; er arbeitet in einem ständigen psychotischen zustand, mit einem außer rand und band geratenen objektivistischen modus, der - aus gründen, die ich hier nicht weiter ausführen kann -, zur erlangung eines - wenn auch krankheitswertigen - psychophysischen gleichgewichts zur produktion von anscheinend ganz und gar subjektiven, ganz und gar emotionalen (und oft auch sehr überzeugenden) simulationen tendiert. im gegensatz bspw. zum im letzten beitrag beschriebenen selbstverständnis des folterers aus der türkei, der an seine ideologie geglaubt hat, dürften einem psychopathen derartige pseudoinhalte völlig egal sein. er benutzt sie und das jeweilige system eher offen für seine ganz persönlichen zwecke, die wiederum von seiner objektivität diktiert werden. ich hoffe, der unterschied - der für die jeweiligen opfer allerdings belanglos ist, aber zum verständnis der phänomene trotzdem wichtig erscheint - ist klar?
*
beim anblick der überschrift des letzten beitrags musste ich irgendwann grinsen - über unsere sprache, die - offen und verdeckt gleichzeitig - doch letztlich zwangsweise immer auch viel reales über uns aussagt: "bleiben Sie doch mal sachlich" - das können wir wortwörtlich nehmen, als aufforderung, uns selbst zu einer sache, zum objekt zu machen - den objektivistischen modus einzuschalten und mittels der daraufhin einsetzenden wahrnehmungsreduktion alles störende (und / oder bedrohliche, meistens gefühle) für den fordernden und für uns selbst auszuschalten. vielleicht denken Sie dran, wenn Sie das nächstemal dazu aufgefordert werden.
*
eigentlich wollte ich jetzt noch mehr zu den möglichen ursachen für das ungleichgewicht zwischen subjektivität und objektivistischem modus schreiben, dazu auch noch mehr beispiele für situationen, in denen der letztere dominiert - z.b. ist es eine interessante erkenntnis, dass sowohl unter der folter als auch bspw. in den nazi-kz und auch im gulag diejenigen menschen am wenigsten psychische schäden (in diesem fall müssen wir von den körperlichen trennen) aufwiesen bzw. -weisen, die sich einen starken glauben - entweder ideologisch oder religiös - bewahren konnten. mit anderen worten: unter realen und extremen gewaltbedingungen eine eigene starke fiktion gegen die objektivierenden fiktionen ihrer peiniger setzen konnten. und damit die realen schmerzen relativieren und überleben konnten. ein beispiel dafür wären in den nazi-kz die zeugen jehovas, die nichtsdestotrotz den charakter einer sehr hierarchischen und dogmatischen sekte bis heute nicht verloren haben. das ganze thema weist deutlich in den bereich psychotraumata und zur frage, was eigentlich psychophysisch durch gewalt in menschen ausgelöst wird.das erwähnte phänomen jedenfalls ist imo ein hinweis darauf, dass der objektivistische modus in existenziell bedrohlichen situationen in verschiedenen formen auf den plan treten kann - als überlebenshilfe. die frage ist allerdings, welcher preis dafür gezahlt werden muss, wenn diese gewalt nicht als vereinzeltes erlebnis, sondern strukturell permanent über jahrhunderte und durch generationen hindurch vorhanden ist. es besteht ein an anderen stellen hier schon erwähnter starker verdacht darauf, dass in einer solchen situation in vielen menschen dieser modus ständig hyperpräsent ist und schließlich sogar dominant wird - was sich dann insgesamt auch im jeweiligen selbstverständnis und den welt- und menschenbildern ganzer kulturen ausdrücken kann. sie werden ver-rückt. (und wenn heutzutage politikerInnen, manager, soldaten, aber auch bankangestellte, arbeiter in waffenbetrieben und ökologisch schädlichen produktionsbereichen ihr tun jeweils als vernünftig und von sachzwängen diktiert darstellen, dann sollten wir das wörtlich nehmen und endlich begreifen, dass der wahnsinn in seinen übelsten und destruktivsten formen schon lange unter dem label der vernunft angetreten ist. das ist zwar ungemütlich, weil er uns damit direkt auf die pelle rückt - aber es wird uns nichts anderes übrigbleiben, wenn wir denn tatsächlich belegen wollen, eine intelligente, lernfähige und fühlende spezies zu sein).
ebenso sind die möglichen beziehungen zwischen diesem modus und dem phänomen, was heute als dissoziation bezeichnet wird, einer näheren betrachtung wert. aber gerade zum letzteren thema fehlt mir so einiges an wissen - ein wissen, was aktuell übrigens immer mehr wird und inhaltlich darauf hinausläuft, dass dissoziative zustände erstens bis heute bei uns allen wesentlich verbreiteter und normaler sind als bisher angenommen; und zweitens die sog. multiplen oder dissoziativen persönlichkeiten historisch keine neue erscheinung sind, sondern unter anderen beschreibungen und namen tatsächlich schon sehr, sehr lange in der geschichte bekannt sind (was, nebenbei gesagt, auch ein weiteres indiz für die stimmigkeit der psychohistorische betrachtungsweise der menschlichen geschichte darstellen würde). mir drängen sich dazu viele fragen auf, auf die mir aber antworten fehlen: stellen dissoziative zustände nur eine weitere erscheinungsform des objektivistischen modus dar? (dagegen spricht allerdings aus meiner sicht einiges); fördern dissoziationen den objektivistischen modus? stellen sie zwei getrennte wege der "traumabewältigung" dar? da dissoziationen psychotraumatologisch mit extremformen von gewalt assoziiert sind: stellen sie den letzten "rettungsanker" dar, nachdem der objektivistische versuch der gefahrenbewältigung gescheitert ist? wie aber sind in diesem verhältnis alltägliche trancephänomene zu sehen, die ebenfalls dissoziative zustände darstellen? ist der objektivistische modus nicht doch auch als trancezustand (= wahrnehmungsreduktion) zu begreifen? fragen über fragen. falls Sie dazu ideen haben - nur raus damit!
das thema der weit verbreiteten mafiösen (und ähnlicher banden-) strukturen in vielen gesellschaften rund um die welt scheint sprachlos zu machen? ich dachte eigentlich, dass hier mehr widerspruch kommen würde - etwa auch zum punkt meiner impliziten (und bewußt provozierenden) aussage, dass es eine strukturelle übereinstimmung zwischen der als normal angesehenen durchschnittlichen kapitalistischen ökonomie und dem gibt, was so allgemein mit "mafia" bezeichnet wird (ich benutze das wort hier als metapher für die organisierte kriminalität). die fließenden grenzen zwischen beiden sektoren jedenfalls, die - wie im artikel neulich gezeigt - belegbar sind, deuten imo auf eine deutliche innere verwandtschaft hin - und wie die zustande kommt, ist eine sehr wichtige frage.
wie die aktuellen ereignisse rund um die folterflüge der cia deutlich machen, beschränkt sich diese eigenart der fließenden grenze natürlich nicht nur auf die pure ökonomie. das etwas unpräzise wort mentalität kommt mir in den sinn - ich kann diesbezgl. keine wirklichen unterschiede zwischen dem verhalten von bestimmten politikerInnen, sog. geheimdiensten (und dem rest der repressionsapparate), unternehmensführungen und der mafia erkennen. und das ist etwas, was mir auch in der ökonomie- und gesellschaftskritik von links absolut zu kurz kommt.
ohne ganz konkreten bezug zu obigen themen (aber durchaus mit indirektem), hat arno gruen vor vielen jahren folgendes geschrieben:
"Die Angepaßtheit an die etablierten Werte und Formen unter Mißachtung des eigenen Innenlebens ist eine unerschöpfliche Quelle alltäglicher Gewalt. Solange Erfolg definiert wird als Kontrolle und Beherrschung und Erfolg wiederum den Selbstwert definiert, sind alle Unterschiede der gesellschaftlichen Struktur ziemlich bedeutungslos: Das Selbst bleibt in jedem Fall verstümmelt. Ein Wechsel der politischen Ideologie ändert weder etwas an der Verstümmelung des Selbst noch an der daraus resultierenden Gewalt."
(arno gruen, "der wahnsinn der normalität", s.100 - siehe literaturliste)
hier hat gruen imo kurz und knapp den entscheidenden grund für die relative erfolglosigkeit aller bisherigen revolutionen (worunter auch auch das fällt, was in historischen rückblicken bspw. auf die russische revolution gerne als "pervertierung" bezeichnet wird) skizziert. linke ansätze, die die relevanz der strukturen des menschlichen gehirns und nervensystems sowie die daraus resultierenden wahrnehmungs(un)fähigkeiten und -möglichkeiten als eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste basis für das gesamte menschliche soziale leben nicht in betracht ziehen, nicht wahrnehmen oder ignorieren wollen, können keinerlei tatsächlich emanzipative entwicklung in gang bringen. sie können vielleicht, in besonderen historischen situationen und unter besonderen umständen, voraussetzungen dafür schaffen, dass eine gesellschaft weniger traumatische gewalt erlebt, dass die intellektuellen reflektionsmöglichkeiten durch bspw. breite alphabetisierung überhaupt erst in den bereich des möglichen kommen können u.ä. - aber sie können und konnten bisher nicht die grundsätzlichen tiefenstrukturen erreichen, in denen die prozesse ablaufen, die u.a. hier im blog ständig thema sind. und das liegt auch an einer falschen theorie bzw. an einer unhinterfragten akzeptanz des kulturellen kontextes, in dem theorien entstehen - genau dieser kulturelle kontext jedoch ist geprägt von den jeweiligen vorherrschenden psychophysischen strukturen innerhalb von relevanten mehrheiten der menschen einer gesellschaft:
"Karl Marx glaubte an eine Befreiung und Erneuerung des Menschen durch Umverteilung der Produktionsmittel. Er analysierte zusammen mit Friedrich Engels anhand brillianter Details die ökonomische Struktur des Kapitalismus, der Habgier und Besitz (-denken, mo) fördert. Doch er ging davon aus, daß Ohnmacht Schwäche sei, die der Mensch überwinden müsse, und erklärte die Eroberung der Dinge - auch die der Natur - zum obersten Ziel des Menschen. Damit verewigte er die Ideologie des machtorientierten Selbst sowie das soziale Übel, das er bekämpfen wolte. Er hat den Machtkämpfen eine neue Richtung gegeben, aber nicht die Ursachen verändert. Und noch schlimmer: indem er die menschlichen Möglichkeiten - auch die Moral (diesen punkt sehe ich bekanntlich anders, anmerk. mo) - nur unter ökonomischen Gesichtspunkten behandelte und nichts anderes zuließ, versperrte er den Weg zur Erkenntnis der tatsächlichen Wurzeln des Machtstrebens."
(gruen, "der wahnsinn...", s.100)
zu ergänzen wäre dazu noch, dass der wissenschaftliche anspruch, den marx selbst auch an sich stellte, deutlich unreflektiert alle fragwürdigkeiten des naturwissenschaftlichen weltbildes transportiert - u.a. eine verschärfte objektivistische wahrnehmung - , welches zu seiner zeit faktisch als konkurrenzlos betrachtet wurde. die reduktion auf die pure ökonomie jedoch als quasiwurzel allen (sozialen) übels stellt nach wie vor einen kapitalen und erkenntnisverhindernden fehler dar. viele jahre in der autonomen linken haben mich immer wieder dazu gebracht, mich mit der tatsächlichen definition von radikalität zu beschäftigen: radix, die wurzel - radikal = an die wurzel gehend (nebenbei gesagt, ist das übrigens auch der grund dafür, warum das wort rechtsradikalismus eigentlich einen widerspruch in sich darstellt...).
keineswegs radikal ist es imo, zwar den offensichtlichen wahnsinn der aktuellen und historischen gesellschaftlichen machtverhältnisse anzuprangern und zu analysieren, bei der analyse jedoch immer genau an den punkten aufzuhören, an denen es meiner meinung nach tatsächlich interessant wird: bei dem, was diejenigen motiviert und antreibt, die diese machtverhältnisse ständig neu erschaffen, reproduzieren, brauchen, verteidigen, tolerieren und auch ignorieren. wie mit stillem gehorsam gegenüber einem unausgesprochenem kollektiven verbot bleiben viele angeblich linke kritiken an dieser stelle stehen und begnügen sich mit nichterkärungen und mythen aus dem kollektiven bestand der bürgerlichen gesellschaft: das "der mensch an sich" schlecht sei, "böse", egoistisch, zu machtmißbrauch neige und deswegen streng kontrolliert gehöre und dergleichen mehr - alles "erklärungen", die in diskussionen zum standard rechtskonservativer bis (neo-)faschistischer "argumentation" gehören. das das tatsächlich existierende "böse" hingegen jedoch eine wahrnehmung des/der wahrnehmenden darstellt, bzw. besser eine durch wahrnehmung übermittelte information, einen wahrnehmungsinhalt (der in diesem speziellen fall quasi sofort mit einer moralischen wertung gekoppelt daherkommt) - diese tatsache scheint nicht allzusehr im bewußtsein verbreitet zu sein. auch nicht im linken. denn dann müssten eigentlich sofort weitergehende fragen gestellt werden: fragen z.b. nach den tatsächlichen ursachen für das spezielle verhalten derjenigen, die in meiner wahrnehmung als bösartig erscheinen. ebenfalls ist es nötig, nach den grundlagen dafür zu fragen, warum mir eigentlich etwas als bösartig vorkommt. das aber würde bereits eine qualität von selbst(körper)gefühl und -bewußtsein voraussetzen, die gerade durch die herrschenden verhältnisse nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu verhindert wird. und in der logik der macht geradezu verhindert werden muss. denn genau hier sitzt ihre wichtigste und vermutlich eigentliche basis - als bedürfnis von entsprechend deformierten, verletzten und eingeschränkten körpern bzw. hirnen und nervensystemen (als basis unserer individualität/unseres selbstgefühls). genau hier liegt die tatsächliche - und materielle - wurzel aller hierarchischen verhältnisse, in denen macht als selbstzweck(!) den allerhöchsten wert besitzt. anders: machtbedürfnisse lassen sich als ausdruck eines fehlschlagenden versuchs psychophysischer selbstregulation innerhalb eines menschen verstehen. und der fehlschlag ist auf dauer unausweichlich. (es sei denn, die menschliche struktur an sich formt sich durch psychophysische bzw. genetische mutation selbst zu einer der macht ideal kompatiblen struktur um - diesen schwer beunruhigenden gedanken hatten wir schon einmal hier - punkt 5 .)
dadurch lässt sich auch zb. verstehen, warum ökonomische armut alleine zwar begünstigend, nicht jedoch primär auslösend für bösartiges antisoziales verhalten ist - rechtsextreme, faschistische, rassistische, sexistische und allgemein autoritäre einstellungen (als ausdruck von objektivierungsprozessen innerhalb der individuellen und kollektiven wahrnehmung) sind quer durch alle ökonomischen klassen hindurch anzutreffen und tatsächlich eher mit konzepten wie den psychoklassen von deMause zu begreifen, als mit der rückführung auf ökonomische klassenzugehörigkeiten. ebenfalls wird dadurch begreiflich, warum sich zb. in der endphase der weimarer republik ein recht umfangreiches und wiederholtes wechseln der mitgliedschaften von autoritären kommunisten und nazis ergeben hat - beide organisationen zogen durch ihre strikt hierarchische und autoritäre formierung natürlich die jeweils dafür disponierten persönlichkeiten an, die sich dann jeweils ebenso natürlich nur nach dem oppurtunitätsprinzip an die jeweils "erfolgreicher" scheinende seite hielten - ideologien sind in derlei strukturen tatsächlich beliebig austauschbar. (das eher intuitive begreifen dieser zusammenhänge dürfte damals auch wilhelm reich in seine eskalierenden konflikte mit der kommunistischen parteiführung getrieben haben).
"Hilflosigkeit kann aber nicht durch Machterwerb und Herrschaftsausübung bewältigt werden. Jede Theorie, die dies anstrebt, tut dem einzelnen Menschen und seiner Entwicklung Gewalt an. Die linke Gesellschaftstheorie nimmt zwar für sich in Anspruch, den Menschen aus dem Gang seiner Geschichte erklären zu können. Sie tut dies aber auf Kosten des Individuums, weil sie Macht nur unter dem Blickwinkel der Macht analysiert. Das mag sich tautologisch anhören, ist aber der entscheidende Punkt, da sie den Menschen alleine durch die Macht wirtschaftlicher Kräfte determiniert sieht. Georg Plechanow, der frühe Theoretiker und Propagandist des russischen Sozialismus, glaubte, daß er in seiner Untersuchung der historischen Prozesse die Rolle des Individuums beschreiben würde, tatsächlich aber leugnete er die Rolle, die das Individuum für den Fortgang der Geschichte spielt: `Die menschliche Natur kann heute nicht länger als die letzte und allgemeinste Ursache des historischen Fortschritts angesehen werden: Wenn sie unveränderlich ist, kann sie nicht den wechselvollen Gang der Geschichte erklären; kann sie sich aber wandeln, dann geschieht das ganz offensichtlich durch den historischen Fortschritt selbst."
(gruen, "der wahnsinn...", s.101)
der letzte satz von plechanow muss heute ergänzt werden: natürlich fällt der "historische fortschritt" nicht vom himmel, sondern kann seine basis nur innerhalb der menschen haben - das ist ein wechselseitiges verhältnis, bei dem aber die möglichkeiten für verändertes individuelles verhalten primär und ausschlaggebend sind - ändere ich nur die gesellschaftlich äusseren strukturen, so habe ich es dennoch mit im schlimmsten fall mit einer mehrheit von menschen zu tun, für die die gerade abgeschafften strukturen einen gewissermaßen authentischen ausdruck ihrer deformierten individuellen bedürfnisse dargestellt haben - die basis für alle konterrevolutionären und reaktionären bewegungen. das, was in einer mechanistischen marxistischen interpretation gerne als gesellschaftlicher "überbau" bezeichnet wird, dürfte real tatsächlich die basis aller emanzipatorischen veränderungen darstellen.
ich finde es immer sehr bedauerlich, das viele von sich selbst als links verstehenden bis heute auf die lektüre von solschenizyns "archipel gulag" verzichtet haben - mag er auch heute mit seinen monarchistischen und reaktionären ansichten ein ideales angriffsziel darstellen, so ist dieses buch von ihm - der sich bis zu seiner verhaftung und auch noch danach selbst als begeisterter marxist ansah, bei seiner verhaftung offizier der roten armee im kampf gegen die nazis - doch die nachdrücklichste und eindrucksvollste widerlegung etlicher autoritär-kommunistischer mythen, von denen der stalinismus nur einen teil bildet. unter anderem macht er auch mit einer sehr detaillierten analyse der struktur der stalinistischen polizei- und justizapparate einerseits sowie mit der beschreibung der rolle und funktionen der in den arbeitslagern regelrecht privilegierten offen kriminellen bevölkerungsteile andererseits sowie der fast schon als "ideal" zu bezeichnenden gegenseitigen ergänzung und inneren anziehung beider gruppen etwas deutlich, was für die heutige linke nur lehrreich sein kann: nämlich die erkenntnis, dass ein als "eigentlich" als befreiend-emanzipatorisch gedachtes modell unter vernachlässigung der tatsächlichen basis der sozialen katastrophe und falscher und mechanistischer prämissensetzung (hier: die ökonomie) zwangsläufig in die simulation von befreiung führen muss - ein als-ob-sozialismus. tatsächlich hat das bolschewistische system faktisch von beginn an, verschärft im offenen stalinismus, genau die art von selektion gezeigt, die auch offen im faschismus, und versteckter in den heutigen kapitalistischen "demokratien", abläuft: machtmenschen bevorzugt! genauer: leute mit autoritären bis offen psychopathischen zügen und zwanghaft-bürokratischen neigungen, gerne auch offen kriminelle antisoziale (der unterschied zwischen offenen diktaturen und den repräsentativen demokratien scheint mir u.a. hier zu liegen - in letzteren wird heute zumindest teilweise die simulation von sozialeren verhaltensweisen verlangt. aber da das ohne tatsächliche erfahrungsbasis stattfindet, können jederzeit entwicklungen hin zu autoritären systemen auftreten - die ansätze dazu sind jeden tag in den nachrichten zu betrachten.)
"Wo die Ideologie der Macht gilt, wird das Selbst von seinem inneren Kern und damit auch von den Wurzeln seiner historischen Erfahrung abgeschnitten - unabhängig von der speziellen Färbung dieser Ideologie und der jeweiligen Organisation der Produktionsmittel."
(gruen, "der wahnsinn...", s.101)
die in allen bisher bekannten historischen gesellschaftsystemen mehr oder weniger offene mißachtung des tatsächlich individuellen menschen; die anbetung von halluzinierten und konstruierten bildern von göttern, völkern, nationen und führern; die offene geringschätzung und herabsetzung von subjektivität und subjektiven erfahrungen (die nur dann tatsächlich verzerrt sein können, wenn sie von anfang an angegriffen werden und derart ein elementares misstrauen gegenüber den eigenen wahrnehmungen erzeugt wird); die verherrlichung einer konstruktion von objektivität, das unwissen über das menschliche psychophysische funktionieren und die adäquaten und notwendigen entwicklungsbedingungen unserer spezies; die willkürliche und unhaltbare spaltung und hierarchisierung von körper, psyche und "geist"; ein fehlender begriff und überhaupt eine fehlende vorstellung von psychophysischer gesundheit - dieses und einiges mehr unterstreicht die tiefe wahrheit des obigen satzes von arno gruen.
in verschiedenen beiträgen ( hier und hier ) ging es ja bereits um dieses thema, und ich muss sagen, dass mein interesse an diesen strukturen gerade nach einem hinweis bei lloyd deMause auf eine psychoanalytische untersuchung hinsichtlich möglicher zusammenhänge zwischen den traditionellen familienstrukturen / der kindererziehung und der existenz der klassischen mafia noch einmal gewachsen ist. das gesellschaften nach phasen von repressiven bzw. diktatorischen regimes und/oder durch innere und äussere kriegerische gewalt sowie weit verbreiteter rückschrittlicher behandlung von babys und kindern erzeugten epidemisch verbreiteten individuellen und kollektiven traumata dazu neigen, soziale strukturen auszubilden, die deutliche spuren von typischen traumafolgen zeigen oder sogar von ihnen geprägt sind, hatte ich in einem meiner oben verlinkten beiträge schon einmal näher skizziert. ein paar fragen, die mir zunehmend im kopf herumgehen, lauten vor diesem hintergrund ungefähr so:
kann es sein, dass a) die als "normal" und "legal" (was innerhalb dieser "legalität" alles so als "normal" angesehen wird, lässt sich u.a. hier nachlesen) wahrgenommenen ökonomischen strukturen zu einem großen teil diese anscheinende normalität durch simulative effekte einerseits und massenhaft verbreitete defekte bzw. defizitäre (z.b. durch dissoziationszustände) wahrnehmungsmodi innerhalb großer bevölkerungsteile andererseits produzieren?; b) das diese ökonomischen strukturen einerseits sowohl ausdruck bestimmter bedürfnisse von als auch anziehungspunkt für menschen sind, die bevorzugt von einigen hier im blog thematisierten psychophysischen störungen betroffen sind?; und das c) als eine zwangsläufige folge bei weitgehender bejahung der beiden obigen fragen nicht davon ausgegangen werden muss, dass eine im herkömmlichen sinne verstandene wirkungsvolle politische opposition gegen derartige strukturen nicht von den trägerInnen eben dieser strukturen als existenzielle bedrohung angesehen werden muss und dementsprechend bekämpft werden wird? (wobei der verlust von eigenen machtpositionen und materiellen privilegien imo eher als oberflächlicher grund angesehen werden muss, da das streben nach dem gerade erwähnten eigentlich nur verständlich wird bei kenntnis der möglichen psychophysischen schäden und deren möglichen kompensationsformen, die bei menschen so auftereten können).
ich wäre sehr interessiert an meinungen zu diesem thema. und falls Sie glauben, es handele sich hier "nur" um randphänomene, möchte ich noch auf ein paar links und textauszüge hinweisen.
*
die seiten von business crime control und organized-crime bieten grundsätzliches zur definition, geschichte, möglichem umfang sowie aktuelle informationen zum thema ok an und sind als einstieg imo ganz empfehlenswert. eine veröffentlichung der bundeszentrale für politische bildung hingegen macht die mögliche macht dieser strukturen eindrucksvoll deutlich, wobei hier teilweise nur publik gewordene und spektakuläre einzelfälle erwähnt sind - auszüge:
frankreich:
"Einer der Angeklagten war Außenminister der Republik. Daneben hatte Roland Dumas in seinem langen Leben so viele hohe und höchste Staatsämter in Frankreich bekleidet, dass sie hier nicht aufzuzählen sind. Seine Position als einer von sieben Beschuldigten im ersten Prozess gegen das frühere "Staatsunternehmen" Elf Aquitaine (darunter der ehemalige Präsident des Unternehmens, Le Floch-Prigent) ist wohl nicht der Gipfelpunkt einer beeindruckenden Karriere. Immerhin ging es seit dem 22. Januar 2001 um die Klärung des Verdachts der Unterschlagung, Vorteilsannahme sowie der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Umgerechnet etwa 20 Millionen DM sollen zwischen 1989 und 1993 aus den Kassen von Elf in Form gesetzwidriger "Kommissionen" abgeführt worden sein. Das Geld soll zum Großteil bei der damaligen Geliebten des Außenministers, Christine Deviers-Joncour, gelandet sein. Der französische Staatsanwalt, Jean-Pierre Champrenault, verglich in seinem Plädoyer die Methoden der Elf-Führungsspitze mit dem Vorgehen krimineller Kartelle. Der Präsident des Unternehmens und seine rechte Hand, Alfred Sirven, sollen Techniken der Mafia eingesetzt haben. Mächtige, wie Außenminister Dumas, seien mit Geld gefügig gemacht worden."
russland:
"Der ehemalige Verwaltungschef des Kreml, Borodin - enger Vertrauter von Boris Jelzin und des russischen Präsidenten Putin -, war zur Teilnahme an den Inaugurationsfeierlichkeiten des amerikanischen Präsidenten Bush eingeladen, als er bei der Einreise in die Vereinigten Staaten aufgrund eines schweizerischen internationalen Haftbefehls festgenommen wurde. Es geht u. a. im Zusammenhang mit Aufträgen zur Renovierung von Regierungsgebäuden in dreistelliger Millionenhöhe um Vorwürfe der Bestechung und Bestechlichkeit. Die tatsächlich involvierten Summen sind bis heute unübersehbar groß."
deutschland:
"Helmut Kohl hat eingeräumt, jahrelang Geld in Millionenhöhe angenommen und dessen Überweisung auf Konten veranlasst zu haben, die von den üblichen Konten der Bundesschatzmeisterei der Christlich Demokratischen Union getrennt waren. Über diese Gelder hat er nach eigenem Gutdünken verfügt.(...)"
Das gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue eingeleitete staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde nach Zahlung einer Auflage in Höhe von 300 000 DM gemäß § 153 a StPO eingestellt. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die strafrechtlichen Vorwürfe unbegründet waren. Es steht mittlerweile vielmehr fest, dass der ehemalige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen seiner politischen Funktionen den Straftatbestand des § 266 StGB schuldhaft verwirklicht hat. Aus schwer einsehbaren und vermittelbaren Gründen hat die Justiz von der Eröffnung des Hauptverfahrens abgesehen.(...)"
"Im Hinblick auf die Frage, ob wichtige Daten und Akten zum Bau der Raffinerie Leuna, zum Export von ABC-Spürpanzern, Airbus-Flugzeugen und zu dem Verkauf von Eisenbahnerwohnungen absichtlich vernichtet oder beiseite geschafft wurden, wird zudem öffentlich beklagt, dass die deutschen Staatsanwälte all ihren juristischen Einfallsreichtum nutzten, um sich diese heiklen Fälle vom Hals zu schaffen, statt mit der gebotenen Professionalität Licht in die dunklen Geschichten zu bringen. Es handele sich um eine "traurige Posse", die gleichsam strukturelle Ursachen habe."
italien:
"Dagegen hatte man in Italien anscheinend genügend Beweise gesammelt, um den langjährigen Ministerpräsidenten Andreotti wegen des Verdachts einer strafbaren Verbindung zur Mafia vor Gericht zu stellen."
serbien:
"So nahm beispielsweise auch das Regime des ehemaligen Präsidenten Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawien, Milosevic, am Ende Züge einer scheindemokratischen Diktatur an, in der Politik, Unterwelt und Polizei nicht mehr auseinander zu halten waren."
peru:
"In Peru hat man Beweismaterial beschlagnahmt, welches belege, dass eine "Mafia" den Staat gekapert habe. Der ehemalige Chef des peruanischen Geheimdienstes, Montesinos, soll systematisch Institutionen, Privatwirtschaft und Medien seines Landes korrumpiert haben."
japan:
"In Japan, so schätzt man, haben ca. 80 000 Personen, die der Organisierten Kriminalität ("Yakuza") zugerechnet werden, in den (bisherigen) Hauptzweigen der Unterwelt (Drogen und Sex) eine Billion Yen (9,3 Milliarden Dollar) im Jahr 2000 verdient (die Hälfte mit Drogen und ungefähr ein Viertel aus dem Sexgeschäft). Dort ist es aber mittlerweile zum größeren Problem geworden, dass sich zumindest eine kriminelle große Organisation (Yamaguchi Gumi) in die "New Economy" des Landes eingeschlichen hat und politische Verbindungen zu den höchsten Rängen der Regierung unterhält. Sie half bei den Unterhauswahlen im Juli 2000 diskret bei der Geldbeschaffung und beim Stimmenfang einer Vielzahl von Politikern aus der Liberal-Demokratischen Partei des (etwa ein Jahr im Amt befindlichen) Premierministers Yoshiro Mori und aus anderen konservativen Parteien. Es soll keinen einzigen Politiker in Japan geben, der seinen lokalen Yakuza-Boss nicht kennt. Ein in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens ehemaliger führender japanischer Polizist (Raisuke Miyawaki) glaubt, dass es zudem unmöglich sei, die Verknüpfungen zwischen der Geschäftswelt Japans und der dortigen Unterwelt in den Griff zu bekommen, weil sie zu ausgedehnt seien."
nun, war Ihnen dieses ausmaß wirklich bewusst? ein ausmaß, zu dem auch z.b. die in folge des falls dutroux thematisierten zustände in belgien gehören:
"Der windige Geschäftsmann Michel Nihoul, der seit 1996 inhaftiert ist, rühmte sich stets seiner Kontakte zu Parteibonzen. Er gilt als Partner von Marc Dutroux. Die Zeugin X1 behauptet, Nihoul habe auf "Sexparties", die er organisiert habe, Geschäftsfreunde mit jungen Mädchen "belohnt". Regina Louf spricht von einem "harten Kern" prominenter Gäste, die häufig auf Nihouls "Feiern" aufgetaucht seien. Sie nennt die Namen Brüsseler Juristen, eines flämischen Bürgermeisters, sogar eines früheren Premierministers.
Belgiens Affären füllen ein 380seitiges Nachschlagewerk. Die Muster der größten Skandale wiederholen sich auffallend. Immer wieder spielen Polizei- oder Justizbeamte eine Rolle. Immer wieder geraten einflußreiche Politiker in den Verdacht, die Fäden zu ziehen. Fast nie werden Täter und Hintermänner gefaßt.
In den achtziger Jahren überfiel eine Bande Supermärkte und Waffenläden, tötete 28 Menschen, nahm aber nie wertvolle Beute mit. Sie kannte offenbar Einsatzpläne der Polizei. Rechtsradikale hätten hinter den Morden gestanden, um eine Staatskrise auszulösen, vermuten viele Belgier. Geklärt ist bis heute nichts. Warum der frühere Chef der Sozialistischen Partei Walloniens, André Cools, 1991 vor dem Haus seiner Freundin erschossen wurde, bleibt weiterhin rätselhaft. Es gab Hinweise auf eine umfangreiche Clique politischer Hintermänner, die jedoch nie aufgedeckt wurde.
Dem Herrscher der Brüsseler Schlachthöfe, dem früheren Verteidigungsminister Paul Vanden Boeynants, stand 1989 eine Anklage wegen Bestechung bevor. Doch plötzlich wurde er entführt. Ein Ablenkungsmanöver, mutmaßten einige Zeitungen. Man weiß nur, daß Vanden Boeynants nach seiner Freilassung in einem Taxi befördert wurde und sich erst Stunden später bei der Polizei meldete. Kurz zuvor hatte das Gericht die Anklage gegen ihn fallengelassen."
bemerkenswert wenig bekannt sind auch folgende, direkt zum dutroux-komplex gehörende details:
"Während der Ermittlungszeit bis zum Prozessbeginn verstarben 27 Zeugen teilweise durch Selbstmord, Unfall oder auf unerklärliche Art und Weise. Zum Beispiel wurde der ermittelnde Polizist Simon Poncelet nachts auf der Wache erschossen. Die Bekannte seines Komplizen fand man erhängt. Ein Verdächtiger starb, als er gegen ein Haus fuhr. Eine Sozialarbeiterin starb bei einem Autounfall, nachdem sie Todesdrohungen bekommen hatte. Der Schrotthändler Bruno Tagliaferro wollte gegen Dutroux aussagen, wurde aber vergiftet. Seine Frau verbrannte im Bett. Sex-Club-Besitzer Poiro, ein Bekannter Nihouls, wurde erschossen. Eine Frau, die über Dutroux aussagen wollte, wurde erwürgt aufgefunden. Der Staatsanwalt Hubert Massa beging Selbstmord."
es hat ganz den anschein, als würde derlei die tatsächliche realität ausmachen:
"Mediziner wurden finanziert, kritische Untersuchungen unterdrückt: In ungeahntem Ausmaß habe die Zigarettenbranche, so eine Studie, führende Institutionen des Gesundheitswesens manipuliert.(...)"
"Die Kooperation von Medizinern mit "Big Tobacco" war lange effektiv. Mit "ungeheurem Erfolg" habe es die Tabakindustrie über Jahrzehnte geschafft, renommierte deutsche Wissenschaftler in großer Zahl zu finden, die in ihren Veröffentlichungen die Beweise für die tödlichen Auswirkungen des Qualmens "manipulieren und verdrehen", lautet das Resümee der Grüning-Studie.
Mindestens 80 zumeist hochrangige Klinikprofessoren hätten sich "im Würgegriff der Tabakindustrie" befunden, weil sie Forschungsgelder annahmen. Denn fast immer waren die Zuschüsse an Vorgaben geknüpft, die die Auftraggeber bestimmten - ein Lehrstück für gekaufte Wissenschaft."
sollen wir das wirklich alles nur als "ausnahmen" innerhalb eines ansonsten ganz vernünftigen ( - das wort bleibt mir fast im halse stecken) systems betrachten, oder nicht doch eher als einblicke in die realen machtstrukturen nicht nur, aber besonders innerhalb gesellschaften mit kapitalistischer ökonomie? hat sich am ende die form von ökonomischen verhältnissen, die allgemein als kapitalismus gefeiert, beschrieben, kritisiert und verdammt wird, auch aus dem grund zeitweise anscheinend alternativlos durchgesetzt, weil sie in ihrer gesamtheit oder entscheidenden teilen davon den psychophysischen bedürfnissen mehr oder weniger großer bevölkerungsteile am "besten" entgegenkommt? leistungs- und konkurrenzprinzip, arbeitswahn, verdinglichende und objektivierende wahrnehmung sowie andere unabdinbare grundlagen des kapitalismus sind jedenfalls auffällige kennzeichen, die, wie hier schon mehrfach gezeigt, strukturelle eigenschaften / kennzeichen von bestimmten psychophysischen störungen darstellen.
und ich glaube nicht, dass diese übereinstimmung einen zufall darstellt.
*
der von mir sehr geschätzte science fiction-autor john brunner hat einem seiner romane den bezeichnenden titel schafe blicken auf gegeben. möchten wir wirklich unser leben als potenzielles schlachtvieh verbringen? gehorsam und pflegeleicht bis zum mehr oder weniger bitteren ende?
da meine gedanken zu diesem thema doch so einige kommentare ausgelöst haben, möchte ich das, was ich dazu im sinn habe, kurz präzisieren (mal von der tatsache abgesehen, dass "tatoo" mit doppel-o geschrieben wird - ähem...)
ich stimme etlichen der kommentierenden leserInnen zu - natürlich ist es auch eine modebewegung, die auch den üblichen vermarktungsmechanismen unterworfen ist bzw. sich durch eben diese mechanismen vermutlich erst durchsetzen konnte. aber das betrachte ich nur als einen aspekt - modewellen sind zumindest zum teil immer auch ausdruck kollektiver strömungen in teilen der gesellschaft, und brauchen diese basis schlicht und einfach - sonst könnten sie nicht existieren.
und vor diesem hintergrund gingen meine gedanken eher in die richtung, was für kollektive strömungen - verstanden als inszenierter ausdruck / verarbeitungsversuch weit verbreiteter realer erfahrungen - imstande sein können, ein verlangen nach doch mehr oder weniger schmerzhaften eingriffen am eigenen körper auszulösen. eingriffe zudem, deren jüngere ursprünge in der westlichen kultur in den genannten milieus zu suchen sind. was für zeichen benutzen also der ohrgepiercte banker oder polizist, die dezent tätowierte businessfrau?
es sind schlicht als "rebellisch" codierte zeichen, die aus welten der organisierten schmerzzufügung bzw. hinnahme zwecks lustgewinn (s/m) und der parallelwelt der mehr oder weniger organisierten kriminalität stammen.
rein sachlich also aus banden-strukturen, ohne die moralischen oder sonstigen wertungen bei diesem begriff jetzt zu berücksichtigen... ich halte "subkultur" für eine modernisierte version des wortes bande. wenn Sie sich nun einmal diesen hier schon früher erwähnten tp-artikel und meinen kommentar dazu anschauen, wird vielleicht deutlicher, warum ich die erklärung "modewelle" als zu oberflächlich ansehe. ich tendiere eher dazu, das, was allgemein unter "strukturen der organisierten kriminalität" oder auch mafia läuft, als eine weltweit zu beobachtende und geradezu typische folge von massentraumatisierungen besonders nach politischer/kriegerischer gewalt anzusehen - wie in diesem blog schon mehrfach aufgezeigt, greifen traumatische prozesse vor allem die menschlichen fähigkeiten zum sozialen an -das gesellschaften, in denen massentraumatisierungen vorkommen oder kamen, danach für kriminalität in diversen formen (als ausdruck der durch das kollektive trauma geförderten antisozialität) und, damit einhergehend, bandenbildung (die auch verschiedene formen annehmen kann - vielleicht sogar die form eines sog. multinationalen konzerns...?) anfälliger werden, lässt sich imo sogar statistisch belegen - in meinem kommentar bei tp habe ich ein paar beispiele erwähnt. vielleicht wird es jetzt klarer, warum ich zu meinen gedanken gekommen bin? das heißt jetzt - wie schon gesagt - im umkehrschluß nicht, dass alle gepiercten und tätowierten menschen derart ihre persönlichen traumata zur schau stellen. aber womöglich bestimmte kollektive strömungen ausagieren, die mit den erwähnten prozessen sehr viel zu tun haben.
zweite frage in diesem zusammenhang: ist das "modische" piercing bzw. tattoo gleichzusetzen mit dem extrempiercing bzw. dem, was unter body modification läuft?
"In der jugendlichen Subkultur der USA hat das Interesse an Body Modification in den vergangenen fünf Jahren stark zugenommen. Über „Conventions" und „Netzwerke" breitet sich der Trend derzeit „bis ins letzte Kaff" aus, berichtet der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke, der den bislang vor allem in Amerika grassierenden Verstümmelungskult wissenschaftlich zu ergründen versucht.
Mit Tätowierungen und Piercings haben die planvollen Selbstverletzungen nicht mehr viel gemein. In vielen Bodmod-Studios hängt der Geruch von verbranntem Fleisch in der Luft, weil selbst ernannte Folterknechte die Körper ihrer Klienten mit rot glühenden Eisen traktieren („Branding").
Extreme Gewebedehnungen („Stretchings") und Genitalpiercings zeichnen Bodmod-Anhänger bis an ihr Lebensende. Gewebeschnitte („Cuttings"), bei denen die Wunden häufig mit Mineralpulver oder Meersalz eingerieben und wiederholt nachgeschnitten werden, um die Narbenbildung zu verstärken, zaubern bleibende Versehrungen auf die Haut. „Es scheint ein Bedürfnis nach bizarren Körperritualen zu geben", erklärt der Kriminalbiologe, „das in unserer Gesellschaft nicht gestillt wird."
Vieles wird auf Video festgehalten, weil die blutigen Akte nicht beliebig wiederholbar sind. Anders als an der amerikanischen Ostküste finden die Selbstverstümmelungen in den Metropolen im Westen oft als rituelle „Sessions" und „Performances" vor handverlesenem Publikum statt.
Die Kontrolle über den Schmerz ist den Folter-Fans wichtiger als ein möglicher sexueller Reiz. „Mit Sadomasochismus", erläutert Benecke, „haben die meisten in der Szene nichts am Hut." Europäische Betrachter reagieren auf die Verstümmelungspraktiken geschockt. Über ein Jahr lang hat Benecke am Rechtsmedizinischen Institut der Stadt New York gearbeitet. In seiner Freizeit interviewte er Anhänger des Bodmod-Kults. Als er das Ergebnis seiner Recherchen kürzlich auf einer Tagung deutscher Rechtsmediziner in Frankfurt am Main präsentierte, waren selbst abgebrühte Obduktionsexperten über die gezeigten Bilder bestürzt.
Beim Kongress anwesende forensische Psychiater murmelten angesichts der Verstümmelungen ratlos von „Borderline-Persönlichkeiten". Sind die Selbstverstümmler also nur psychisch Kranke? Dann müssten Persönlichkeitsstörungen bei Urvölkem die Regel sein. Denn die Gewohnheit, den menschlichen Körper als Mal-, Brand- und Schneidegrund zu betrachten, ist fast so alt wie der Mensch selbst. Auf ägyptischen Mumien etwa haben Archäologen Spuren von Tätowierungen, Schmucknarben und Nabelpiercings entdeckt. Die mittelamerikanischen Mayas durchbohrten bei rituellen Feiern Penis oder Zunge. Die noch weichen Schädelknochen ihrer Säuglinge und Kleinkinder wurden dem herrschenden Schönheitsideal entsprechend verformt. Nordamerikanische Indianer baumelten beim "Sonnentanz", der so genannten 0-Kee-Pa-Zeremonie, an Fleischerhaken, die sie sich durch Brusthaut und -muskeln trieben. Extreme Gewebedehnungen sind noch heute in vielen afrikanischen Kulturen weit verbreitet. Narbenmuster auf der Haut signalisieren Stammeszugehörigkeit, sozialen Rang, durchlaufene Lebensstadien oder die Intaktheit des Immunsystems. „Wir alle machen etwas mit unserem Körper", sagt Enid Schildkrout, Anthropologe am Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in New York, „um anderen zu zeigen, wer wir sind - selbst wenn wir uns nur die Haare kämmen."
Verstümmelungstraditionen sind aber beileibe nicht auf entlegene Regionen und vergangene Kulturen beschränkt. Auch Mitglieder schlagender Verbindungen sind stolz darauf, sich durch die Mensur prachtvolle Narben zuzufügen. Bis heute steht der Schmiss in bestimmten Kreisen für Maskulinität, Unerschrockenheit und gehobenen sozialen Status. Früher waren viele Frauen ganz wild auf die Narbenträger: „Ein Renommier-Schmiss zeigte", so der US-Historiker Kevin McAleer, „dass sein Träger Mut und Ausbildung besitzt - und damit ein guter Bräutigam ist." Einige der Männerbündler tauchen gelegentlich noch heute bei plastischen Chirurgen auf, um sich ihre Narben kunstvoll nachbessern zu lassen. Auch das Nipple-Piercing ist ein alter Brauch, den vermutlich schon die Offiziere der römischen Legionen praktizierten."
meine antwort auf die oben gestellte frage: nein. wobei ich das, was hier als body modification beschrieben wird, als quasikern dessen ansehe, was in piercing- und tatoostudios heute in den milderen varianten so abläuft. dabei ist der obige hinweis auf verstümmelungstraditionen älterer kulturen deswegen interessant, weil z.b. lloyd deMause gerade die benannten kulturen als außerwestliche beispiele für weit verbreiteten infantizid - absolut üblen bis mörderischen umgang mit kindern und babys - benennt, und die genannten rituale als re-inszenierung traumatischer erfahrungen begreift.
und die als "initiationsriten" zu verstehenden erwähnten rituale westlicher männerbünde bzw. -banden gerade militärischer bzw. militaristischer prägung lassen sich ebenfalls in den oben erwähnten kontexten begreifen - elemente von re-inszenierungen bzw. simulierten neugeburten - unter bewusster und rigider abgrenzung zum "alten" leben mit seinen vermutlich vielfach schmerzhaften erfahrungen - lassen sich imo ohne große probleme finden. ich sehe sogar zusammenhänge zur existenz virtueller welten - die bewegungen hin zur neukonstruktion des eigenen selbst sowie die vielfältigen manipulationen am eigenen körper ähneln sich imo sehr.
ich hoffe, es ist insgesamt etwas deutlicher geworden, warum ich das sage, was ich sage? ich bin noch etwas angeschlagen von einer schweren erkältung die tage, und möglicherweise durch eine gewisse matschigkeit im kopf nicht ganz in der lage, gedankengänge auf den für mich genauen punkt zu bringen. aber das wird sich hoffentlich bald wieder ändern.
folgendes muss vorläufig fragmentarisch bleiben - aber es verstärkt meinen eindruck, dass an der geschichte von jessica exemplarisch diverse ver-rücktheiten im schlimmsten und wortwörtlichsten sinne sinne deutlich werden - verrückte eltern, verrückte großeltern, ein verrückt gewordener gutachter plus nach todesstrafe brüllende verrückte teile der öffentlichkeit. dazu gibt´s die verrückte welt der boulevardmedien und eine ebenso verrückte justiz. in einem insgesamt verrückten system ja auch eigentlich kein wunder. trotzdem, oder gerade deswegen, ist mir die ganze zeit extrem übel.
*
der forensische gutachter der mutter, hans-ludwig kröber , macht - kaum weiter kommentiert - eine ganze unheilvolle traditionslinie der psychiatrischen zunft in deutschland deutlich - eine institution, die sich sowohl in und nach den beiden weltkriegen als auch im nationalsozialismus nicht nur zu willigen bütteln der macht, sondern während der "t4"-"euthanasie"-aktion der nazis gleich insgesamt zu einem massenmörderischen instrument machte. und das sind nur die historisch auffälligsten ereignisse - das alltägliche elend der psychiatrie ist viel versteckter. und kommt aber im folgenden artikel zum vorschein:
"Essen habe es nicht gegeben, nur Kaffee, Alkohol und Zigaretten. Marlies’ Mutter war damals mit ihrem eigenen Onkel zusammen – er soll Marlies’ Kopf auf den Boden geschlagen haben, als sie einmal unter ihrer Decke hervorlugte. Während er mit ihrer Mutter Sex hatte, erinnert sich Marlies Sch., habe der Großonkel ihr zugerufen: „Du bist als Nächste dran!“
Zwischen den Beinen und an der Brust sei sie von ihm angefasst worden. Ihre ganze Kindheit sei „sicher herzhaft unangenehm“ verlaufen, sagt Psychiatrie-Professor Kröber und sorgt mit seinen unangemessenen Äußerungen nicht nur an dieser Stelle für Irritation. An die Theorie eines „großen Traumas“ glaube er nicht".
deutliche misshandlungen und gewalttätige sexualisierte übergriffe sind "HERZHAFT UNANGENEHM"?
und also dann auch eher nicht als "irgendein gräßliches Erlebnis" zu werten? hallo?!? geht´s noch?!?
"Muss krank sein, wer grausam handelt? Oder ist der Gedanke, Marlies S. sei verrückt, bloß die Hoffnung der Menschen im Saal 237 – um abzuschütteln, was ihre Vernunft übersteigt? Hätte Jessicas Mutter anders handeln können? Der Berliner Psychiater Hans-Ludwig Kröber hat daran keinen Zweifel. Er hat Marlies S. im Auftrag des Gerichts untersucht und keine klassische psychische Erkrankung festgestellt. An das große Trauma glaubt er auch nicht. »Ich wäre heilfroh gewesen, wenn ein seltener hirnorganischer Befund vorgelegen hätte oder irgendein grässliches Erlebnis«, sagt Kröber zu den Richtern, »dann hätten wir uns alle besser gefühlt – ich auch.« Aber die Jugend der Marlies S. unterscheide sich in nichts von der Tausender anderer ungeliebter Kinder. Wohl sei die Angeklagte mit enormen Defiziten behaftet, aber doch letztlich eine normale, intelligente Frau, deren infantile Bedürfnisse sich mit den Anforderungen eines kleinen Kindes nicht vertrugen und die deshalb angefangen habe, es zu piesacken und wegzusperren. »Über Wochen und Monate ist Zeit gewesen, das Kind zu retten«, sagt Kröber, »sie hat es nicht getan.« Jessicas tödliches Siechtum sei die Entscheidung ihrer Mutter gewesen."
spontane einschätzung: eine mischung aus betriebsblindheit ("keine klassische psychische erkrankung" vorhanden); unwissenheit (schon mal von tradierten traumata, wie sie seit der genaueren erforschung der holocaustfolgen in den folgenden generationen bekannt sind, oder auch kumulierten traumata - viele und dauernde "kleine", versteckte boshaftigkeiten und schmerzzufügungen - gehört, herr professor?!? von re-inszenierungen? wenn nicht, sind Sie - und das meine ich ernst - in Ihrem beruf komplett fehl am platz. andererseits in diesem system auch gerade richtig); und wahrnehmungsausschluss - ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder nicht. wer in so einer position derlei äusserungen wie oben dokumentiert zur bezeichnung von gewalt verwendet, hat in einer gutachterposition nichts, aber auch gar nichts verloren.
da versteht ein psychiatrischer nichtfachmann, wenn auch aus seinen eigenen motivationen heraus, deutlich mehr:
"Manfred Getzmann, Verteidiger der Marlies S., sitzt in seinem Büro auf Sankt Pauli und zerbricht sich den Kopf. Er hat seine Mandantin gefragt, warum sie Jessicas kleine Leiche nicht einfach in einen Müllsack gepackt und entsorgt habe. Wer hätte sie schon vermisst? Da habe Frau S. das Gesicht in den Händen verborgen und geschluchzt: »So was kann ich doch mit meinem Kind nicht machen!« Unbegreiflich, findet Getzmann, »aber ich bin sicher, sie trauert um Jessica«. Auch deshalb hält er Marlies S. für »eine schwer gestörte Persönlichkeit«, die ihr Kindheitstrauma wie unter Zwang mit den eigenen Kindern immer wieder habe neu durchleben müssen und deshalb für Jessicas Tod nicht voll verantwortlich zu machen sei. Das ist Getzmanns Überzeugung, und für die kämpft er vor Gericht. Er will seiner Mandantin die lebenslange Freiheitsstrafe ersparen, die ihr unausweichlich droht, wenn das Gericht nicht finden sollte, dass ihre Schuldfähigkeit erheblich vermindert war.
(...)
Und Marlies S.? Hat sie sich für das Böse entschieden? Und ist bloß ein Beispiel dafür, dass menschliche Not für das Böse anfällig macht? Dass Böses auch ein Defizit am Guten ist und jeder nur geben kann, was er empfangen hat? Ihr Verteidiger spricht von der »transgenerationalen Weitergabe von Traumatisierungen«. Man kann es auch Erbsünde nennen. Gemeint sind jene Gesetzmäßigkeiten der Familiengewalt, die von den Eltern auf die Kinder und Kindeskinder übergehen und die trotzdem den Einzelnen nicht aus seiner Schuld entlassen. Es fragt sich nur, ob solch ererbte Schuld nicht doch geringer wiegt."
hat der gutachter kröber mit seinen fragwürdigen einlassungen hier vielleicht bewusst geschützt und gerade deshalb unfreiwillig offenbart, was nicht öffentlich und breit bewusst werden darf und soll? das eine nüchterne rekonstruktion der ereignisse unter einschluss der transgenerationalen familiendynamiken nicht nur die kette der gewalt, sondern auch unser aller gesellschaftliches versagen, unsere quasiakzeptanz dieser kette deutlich machen würde? mussten die beiden eltern alleine schon zur aufrechterhaltung des eigentlich unhaltbaren juristischen schuldbegriffs und menschenbildes auf alle fälle voll "schuldfähig" gesprochen werden? werden damit nicht auch die deutlichen widersprüche der staatlichen und politischen propaganda, die sich familien- und besonders kinder"freundlich" gibt, zur realität von politischen entscheidungen deutlich, die durch ökonomische verelendung genau die milieubedingungen fördert, in denen offene gewalt oder stille verwahrlosung von ganzen familien bevorzugt gedeihen, unter den teppich gekehrt? genauso wie die offenkundige unfähigkeit der offiziellen psychiatrie, zustände von wahnsinn - ausgelöst durch menschliche gewalt - korrekt zu erkennen und eben nicht durch die alleinige orientierung an scheinbarer "realitätstüchtigkeit" und "objektiv" vorhandener kognitiver intelligenz komplett zu leugnen und auf eine "als-ob"-simulation hereinzufallen (genauso werden auch die vielen hitlers dieser welt aus dieser sphäre des wahnsinns ferngehalten herausdefiniert - es wäre ja auch zu gefährlich, das zu erkennen und gleichzeitig nach der inneren verfassung der den "führern" folgenden massen fragen zu müssen)? müssen deshalb auch auschwitz (bzw. das, wofür es steht) und ereignisse wie das hier thematisierte regelmäßig als "leider völlig unerklärbar" bezeichnet werden?
"Marlies Sch. und Burkhard M. haben beide gelogen und Ausflüchte gesucht, sagt der Richter in seiner Urteilsbegründung und bezeichnet die Eltern als gefühl- und mitleidlose Menschen.
Am Ende sagte Schaberg, das Leben sei unerklärlich, oft chaotisch und voll von Grausamkeiten, die Menschen einander antun. "Aber eine Tat wie diese macht auch ein Schwurgericht ratlos. Das Gericht weiß auch keine genaue Antwort auf das Warum."
das könnte so wie es da steht auch ein blitzlicht aus irgendeinem prozess gegen kz-wärter oder folterer sein. aber wer verstehen will, warum und durch was diese eltern so gefühl- und mitleidlos (eine korrekte wahrnehmung) geworden sind, könnte auch verstehen. meine fresse, macht mich diese regelrechte verdummung, diese unermeßliche ignoranz und diese erbärmliche feigheit wütend! "wir wissen leider auch nichts..." pah! ihr wollt es nicht wissen, weil ihr dann eure ganzen jämmerlichen lügengebäude in die tonne treten könntet und müsstet! auch die halluzination, dass mütter auf jeden fall und immer gut und edel sind - gehören nicht eigentlich die täterinmutter der täterinmutter und die dazugehörigen männer mit auf die anklagebank? und müssen nicht eigentlich auch die weiteren sozialen und ökonomischen verhältnisse gleich mit dazu gepackt werden?
"Das Gericht hat auch die Mutter der Marlies S. hören wollen, die aber hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Weniger Zurückhaltung zeigte sie gegenüber den Medien. Schon kurz nach dem Tod ihrer Enkelin Jessica überschüttete sie die Tochter im Fernsehen mit Hasstiraden, und zum Prozessbeginn forderte ausgerechnet sie in der Bild-Zeitung, man möge ihre Tochter mindestens lebenslang einsperren und am besten noch zwangssterilisieren. Angesichts dieses Vernichtungswillens kann man sich vorstellen, was dem Kind einst widerfuhr."
muss das noch kommentiert werden? aber für die offizielle justiz und psychiatrie hat das nicht zu existieren, diese zusammenhänge sollen und dürfen nicht wahrgenommen werden. vielleicht können sie auch nicht wahrgenommen werden, weil das einer enthüllung über die eigene geschichte gleichen würde?
*
entschuldigung für meine drastische sprache, aber mir ist jetzt wirklich der kragen geplatzt.
den begriff hatte ich gerade unten in einem kommentar benutzt, und habe dann gleichmal aus neugier gegoogelt - mit dem begriff als phrase und lediglich zwei treffern - schon bemerkenswert, wie ich finde - als ergebnis, und dazu beziehen sich beide auf den gleichen text. der allerdings hat es in sich und nach dem ersten überblick finde ich die dort vorgestellten thesen hochinteressant. werde versuchen, noch genauer inhaltlich darauf einzugehen, aber ich möchte Ihnen diese rezension sehr empfehlen - auszüge:
"Damit ist die eigene Sozialisation bereits eine Art "Trance", und die tranceerzeugenden Gedankenkreise bestehen dann in "Du darfst nicht.., Du mußt.., Das gehört sich so.., das ist vernünftig.., das ist logisch....", mit denen ein jeder von uns aufgewachsen ist und die uns in Form eines Konsens über das, was Realität, "richtiges" Verhalten, und Denken ist, das Leben in der Gemeinschaft überhaupt ermöglichen."
"Nach Wier ist Trance eine bestimmte Art der Dissoziation: Etwas, was wir automatisch machen und uns daher nicht bewußt ist, wie z. B. zu gehen, Autozufahren, den Schlüssel zu verlegen ...
Trancezustände erlauben uns unsere Aufmerksamkeit zu konzentrieren, und viele wunderbare Dinge zu kreieren oder zu machen, aber andererseits verhindern sie so auch eine breite Aufmerksamkeit und vereiteln uns die Wahl. Nach Wier sind Trancezustände in unserem Leben normal, wir nehmen sie nur nicht als solche wahr, nur wenn sie uns besondere Freude (beim Tanzen, Musikhören, nachdenken...) oder Probleme bereiten ( Zerstreutheit, Suchtverhalten, unnötig einseitige schlechte "Filme"). Andererseits sollte uns diese Definition dazu anregen Trancezustände nicht mehr als etwas Ungewöhnliches zu betrachten, wozu wir lediglich Hexen, Hypnose, Stammestänze, Schamanismus,assoziiern, sondern auch all die anderen unserer Bewußtseinszustände der Menschen unter diesem Aspekt zu durchleuchten."
"Wenn wir überlegen wie sehr intensive Gefühle, wie Eifersucht, Panik abgrundtiefer Haß, Liebe, Leidenschaft,Massen hysterie die Menschen in Rage versetzt, zu was für irrsinnigen Aktionen Menschen beispielsweise in Kriegszuständen usw fähig sind, die hinterher aufkeine vernünftige Art erklärt werden können, erscheint der Verdacht auf einen veränderten Bewußtseinszustandes gar nicht so weit hergeholt.
Oder denken wir an die Schmerzen einer Geburt, oder wozu Menschen nach schlimmsten Verletzungen, abgerissenen Gliedern noch fähig sind. Eine interessante Frage wäre dabei auch welche körpereigenen Drogen an diesen außergewöhnlichen Bewußtseinszuständen beteiligt sind. Wie verändern die biochemischen Prozesse innerhalb des Körpers unseren Bewußtseinszustand unsere Wahrnehmung ? Adrenalin, Serotonin, Dopamin.. Sind sie die Auslöser von Trancezuständen oder die Folge ? Nach Wier helfen Trancezustände Schmerzen zu reduzieren, ob Körperlichen wie in der Hypnose in der Zahnarztpraxis, oder Seelischen, durch Religion, durch Arbeit, oder durch Alkohol.
Werden unsere körpereigene Drogen meist nur während sehr heftiger Trancezuständen, in Situationen in denen es um den psychischen und physischen Tod geht aktiviert, in Nahtoderfahrungen, im Zerfall des Selbst, in Erschöpfungszuständen, durch Hunger und Durst, durch Einnahme von Psychedelika, vor und während des Schlafs, im Träumen...
Welche Rolle spielen dabei äußerliche Faktoren, monotone Musik, Lautstärke, Ruhe, Licht , fesselnde Bücher und mitreißende Redner. Was sieht und erlebt der Mensch dabei ?
Wie real sind Gespräche mit anderen Entitäten, Verstorbenen, Reisen durch Raum und Zeit ? Sind sie Anteile unseres zerfallenen Selbsts, ist das, was wir wahrnehmen das Ergebnis,die Auswirkungen unserer Angst oder der Art und Weise wie unsere Psyche solche Extremsituationen verarbeitet?
Sind die guten und bösen Geister, Gott und der Teufel, Religion eine Ausgeburt der labilen menschlichen Psyche? Entstanden aus unserer Angst vor Tod und Schmerz und unserer Unfähigkeit den Zufall, das Chaos, die Sinnlosigkeit des Lebens zu ertragen."
ich bin gerade sehr aufmerksam geworden - gerade die letzten fragen werden z.b. bei deMause bejahend beantwortet, und aus den allegemein traumatischen sozialisationsprozessen heraus erklärt (die "sinnlosigkeit" des lebens ist sehr wahrscheinlich eine direkte wahrnehmungskonsequenz gewalttätiger erziehung). sowieso scheinen autor und rezensentin des buches die verbindungen zu den psychischen störungen im bereich trauma/borderline nicht zu erkennen (nicht als vorwurf gemeint - themenspezifische spezialisierung bringt das meistens mit sich).
"Menschliche Gemeinschaften haben sich schon immer das eingeschränkte soziale Benehmen der Menschen, verursacht durch Trance, nutzbar gemacht: in Form von Gesetzen, Ritualen, Moralvorschriften, Training.
Denn es braucht einfach zu viel kognitive Energie, das Unübliche, das, was herausfällt, zu verstehen. Daher wurde das was gegen die Norm verstößt schon immer bekämpft .
Nach Wier sollten sich die Menschen mehr bewußt darüber werden, wie sehr sie manipuliert und mißbraucht werden, bezüglich dem was Realität ist, was normal ist, was rational oder irrational ist.
Bevor sie immer mehr unkontrollierte Trancezustände schaffen, sollten sie sich lieber erst darum bemühen, aus den alten, krankmachenden Mustern herauszukommen. Es braucht große Anstrengung und Mut diesen starken Kräften zu widerstehen, die uns dazu bewegen z. B. den Fernseher nach der Arbeit anzuschalten, der Mode nachzurennen, ans Telefon zu rennen, wenn es läutet, den Tag zu verplanen und diese Verhaltensweisen zu ändern.
Psychotherapeuten können helfen eingefahrene Angewohnheiten, die zu Leid führen, zu ändern, indem sie die eingeengte Wahrnehmung versuchen zu erweitern und so neue Handlungswege aufzeigen .
Es gibt nach Wier keinen vernünftigen Grund irgendjemanden oder etwas zu vergöttern, in ihm nur das absolut ganz Gute zu sehen, und es als heilbringend zu verehren oder im Gegenteil etwas zu verteufeln, nur Schlechtes in ihm zu sehen. Es sei denn es handelt sich dabei um eine eingeengte Wahrnehmung und den daraus folgenden Projektionen und Halluzinationen.
Weil es sowohl den herschenden wie den beherschten Menschen überfordert, genauer zu differenzieren, flüchten sie sich in vorgegebene Formen der eingeengten Wahrnehmung, wo feste Meinungen bereits vorgegeben sind, die "Welt" bereits geordnet ist, wo Informationen gefiltert werden oder geschönt wird, in Religionen, in Parteien, in Arbeit, in Konsum, zum Fernseher, in (heterosexuelle) Liebesbeziehungen, in Sucht.
Diese soziale Trance beeinhaltet also in sich einen sich selbst aufrechterhaltenden Loop, angefangen beim kranken Individuum, über die leidende Familie, über den Arbeitsplatz, der verloren geht, zur maroden Institutionen, von dort wieder zum Individuum .
Sie schränkt die Wahrnehmung ein, jeder kümmert sich nur um seinen Part und verhindert gleichzeitig Kommunikation."
"Viele Aspekte eines Kriegszustandes deuten auf einen Zustand der Trance hin, wie Wier ihn beschreibt hin, mit all seinen Implikationen bezüglich veränderter geistiger und körperlichen Funktionen: Ein absoluter Ausnahmezustand.
In diesem kollektiven Tranceereignis, konnte und kann Schreckliches passieren, wie ein schlinmmer Film, ein böser Geist, etwas, was sich nur auf der Ebene dieses veränderten Bewußtseins abspielt, und außerhalb davon völlig unverständlich und unfaßbar ist."
sehr, sehr interessant. vielleicht können die interessierten leserInnen hier die eigenen gedanken ergänzend zusammentragen? ich werde hier vermutlich selbst noch einiges nachzutragen haben.
development