assoziation

Sonntag, 22. Oktober 2006

assoziation: wenn die masken fallen - und einiges unsortierte zum *schrecklichen gelächter* (1) (update)

besonders die angehörigen der sog. politischen "eliten" müssen ja bekanntlich angesichts der hohen präsenz von kameras und mikrofonen in ihrem alltag besonders darauf achtgeben, dass die als-ob-fassaden (simulieren von verantwortlichkeit, humanität, friedensliebe...) gut sitzen. sonst können dabei solche sachen geschehen wie vor ein paar jahrzehnten dem damaligen us-präsidenten reagan, der bei (irrtümlich) schon laufenden mikros fröhlich seine geheimen träume ausplauderte:

"My fellow Americans, I am pleased to tell you I just signed legislation which outlaws Russia forever. The bombing begins in five minutes.

(Liebe amerikanische Mitbürger, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich gerade ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für immer für vogelfrei erklärt. Die Bombardierung beginnt in fünf Minuten.)"


solches wurde und wird dann normalerweise mit auffälliger rücksichtnahme und irgendwie peinlich berührt schnell unter den teppich gekehrt, und als "mißglückter bzw. schlechter scherz" abgehandelt.

so ist es auch gerade wieder zu beobachten, und das stichwort rußland liefert den übergang von reagan zu einem seiner heutigen kollegen im antisozialen geiste, dem russischen leader putin:

(...)"Beim Treffen mit Israels Regierungschef Ehud Olmert sagte er, dieser möge den israelischen Präsidenten Mosche Katzav, der der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung beschuldigt wird, grüßen lassen: „Was für ein starker Kerl! Zehn Frauen hat er vergewaltigt. Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Er hat uns alle überrascht. Wir beneiden ihn alle.“ So zumindest übersetzen die Nachrichtenagenturen das Zitat aus der russischen Zeitung Kommersant. In Wirklichkeit hat Putin nicht „vergewaltigt“ gesagt, sondern: „Mit zehn Frauen ist er fertig geworden“."(...)

was es natürlich kein stück besser macht. solche zitate, die neben dem bekannten handeln dieser leute die antisozialen bis soziopathischen (mindestens) teile ihrer persönlichkeitsstruktur sehr deutlich machen, kommen bezeichnenderweise nur durch eine art pannen überhaupt in die öffentlichkeit:

(...)"Der Journalist kommentierte das Gehörte mit den Worten, das sei einer jener Momente gewesen, in denen man seinen Ohren nicht traue."

(überall auf der welt sind die schäfchen darauf konditioniert, in ihren henkern stets nur gütige und verantwortungsvolle schäfer wahrnehmen zu wollen.)

"Der Journalist äußerte die Vermutung, Putin habe offenbar nicht bemerkt, dass die Mikrofone noch eingeschaltet waren und dass Kolesnikow sich als einziger Journalist noch im Saal aufhielt."(...)

und die für die medienpolitik verantwortlichen in der russischen administration haben offensichtlich keinerlei ahnung davon, wie solche "erklärungen" eigentlich ankommen:

(...)"Es habe sich um einen Übersetzungsfehler gehandelt, versuchte der Kreml heute die Wogen zu glätten. Bei der Übertragung vom Russischen ins Englische werde ein Witz oft nicht richtig wiedergegeben, sagte ein Sprecher heute."(...)

einen witz wollt´ er sich also machen. wer über die verhältnisse in rußland, putins biographie, üblichen männlichen sexismus und das noch kaum verstandene weltweite revival patriarchaler strukturen plus deren gewalttätigkeit länger nachdenkt, wird diesen "witz" einzuschätzen wissen, von dem übrigens ein hintergrund das hier ist:

(...)"In Israel bereitet die Staatsanwaltschaft eine Anklage gegen Katzav vor. Zwei ehemalige weibliche Angestellte werfen dem Präsidenten vor, er habe sie mit Drohungen sexuell gefügig gemacht. Nach der Veröffentlichung dieser Vorwürfe hatten sich weitere Frauen gemeldet, die dem Staatsoberhaupt sexuelle Nötigung vorwerfen. Katzav beteuerte wiederholt seine Unschuld und bezeichnete sich als Opfer eines Erpressungsversuchs."(...)

derartige und andere gewalt witzig zu finden, ist ein wahrlich bemerkenswerter zug - oder zutreffender: vielleicht schon ein klinisch relevantes symptom, zb. für die in der icd unter F60.2 registrierte krankhafte störung?

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edit am 23.10.: der beitrag ist jetzt bei den assoziationen gelandet, und das nicht ohne grund - die frage "was wird eigentlich warum als witzig empfunden?" beschäftigt mich immer wieder mal, und hat bspw. anläßlich des sog. "karikaturenstreites" vor einiger zeit zu einem (nicht veröffentlichten) beitrag geführt, aus dem ich im folgenden einiges entnehme.

zunächst aber ein paar ergänzungen: 1. reagan hat bei seinen zitierten massenmordwünschen gelacht. 2. es ist imo hinsichtlich des hier thematisierten uninteressant, ob putin seine sprüche womöglich "ironisch" gemeint hat (ich glaube das bei betrachtung des handelns von putin und seiner "administration" sowohl innen- wie außen"politisch" absolut nicht - solche leute haben keinen humor, bzw. eher eine bösartige abart davon). 3. ich habe vom revival patriarchaler strukturen geschrieben - und finde das jetzt einen klaren fehler, aus mehreren gründen: von einem revival kann höchstens unter einem bestimmten blickwinkel hinsichtlich der verhältnisse in den westlichen ländern gesprochen werden - susan faludi hat das in den 1990ern in "backlash" speziell bezgl. der lage weißer frauen aus der sozioökonomischen mittelklasse ganz gut herausgearbeitet. im rest der welt sieht und sah es nicht viel besser aus als in den letzten jahrhunderten. dazu kommt, dass eigentlich eine neudefinition des patriarchatsbegriffs längst überfällig ist - in kürze skizziert, würde unbedingt dazu gehören: die koppelung männlichkeit/objektivität aufzulösen (letztere ist geschlechtslos); die ansatzweise begonnene thematisierung patriarchaler verhältnisse in und unter männern weiterzuführen; und die ebenfalls ansatzweise begonnene diskussion zu frauen als täterinnen ebenfalls fortzusetzen. klingt für Sie wie böhmische dörfer? macht nichts, wird zukünftig hier im blog etwas deutlicher werden, was ich selbst unter den benannten punkten verstehe - zb. beim traumathema.

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was das schreckliche lachen anbelangt, habe ich bereits in anderen inhaltlichen zusammenhängen hier öfter die these vertreten, dass die nazis bei der kenntlichmachung bestimmter essentieller machttechniken und auch bei der sichtbarmachung der durch machtverhältnisse stattfindenden bzw. diese verhältnisse selbst mit hervorbringenden bösartigen psychophysischen deformationen bis heute quasi unerreicht sind. und ich neige in den letzten jahren mehr und mehr zum standpunkt, dass ganz wesentliche lektionen, die wir durch die nazis hinsichtlich unserer menschlichen optionen lernen könnten, bis heute nicht begriffen worden sind - ganz im gegensatz zur behauptung, dass die zeit des nationalsozialismus aus der sicht der geschichts- und sozialwissenschaften so gut erforscht sei wie kaum eine andere geschichtliche epoche. im sinne der streng objektivistischen mainstreamwissenschaften mag das sogar zutreffen - aber wieviele tatsächliche erkenntnisgewinne, gar im sinne einer wirksamen prävention, sind dabei rübergekommen?

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naziführer unter sich, nach dem pogrom vom 9. november 1938. gesprochen wird über "sühne- und gegenmaßnahmen" gegenüber "den juden". einer von ihnen wird das protokoll seiner eigenen worte selbst kommentieren.

Ich hatte das Dokument 1816 PS, das die stenographische Niederschrift über die (...) Sitzung vom 12.11.1938 enthält, mitgebracht und übergab es dem Angeklagten durch die kleine Schiebeklappe, die für diesen Zweck rechts unten im Gitter angebracht ist. Göring las sich das umfangreiche Schriftstück durch, lachte ein paar Mal, schüttelte dann aber den Kopf und sagte: "Wir wollen uns lieber darauf nicht mehr beziehen. Die Äußerungen sind doch wohl ein wenig zu kräftig. Hören Sie z.B. einmal:

"Goebbels: ...Weiterhin halte ich es für notwendig, daß die Juden überall da aus der Öffentlichkeit herausgezogen werden, wo sie provokativ wirken. Es ist z.B. heute noch möglich, daß ein Jude mit einem Deutschen ein gemeinsames Schlafwagenabteil benutzt. Es muß also ein Erlaß des Reichsverkehrsministers herauskommen, daß für Juden besondere Abteile eingerichtet werden, und daß, wenn dieses Abteil besetzt ist, die Juden keinen Anspruch auf Platz haben, daß die Juden aber nur dann, wenn alle Deutschen sitzen, ein besonderes Abteil bekommen, daß sie dagegen nicht unter die Deutschen gemischt werden und daß, wenn kein Platz ist, Juden draußen im Flur zu stehen haben.

Göring: Ich finde es viel vernünftiger, daß man ihnen eigene Abteile gibt.

Goebbels: Aber nicht, wenn der Zug überfüllt ist.

Göring: Einen Moment! Es gibt nur einen jüdischen Wagen. Ist der besetzt, müssen die übrigen zu Hause bleiben.

Goebbels: Aber nehmen wir an, es sind nicht so viele Juden da, die mit dem Fern-D-Zug nach München fahren, sagen wir: es sitzen zwei Juden im Zug, und die anderen Abteile sind überfüllt. Diese beiden Juden hätten nun ein Sonderabteil. Man muß deshalb sagen: die Juden haben erst dann Anspruch auf Platz, wenn alle Deutschen sitzen.

Göring: Das würde ich gar nicht extra fassen, sondern ich würde den Juden ein Wagen oder ein Abteil geben. Und wenn es wirklich jemals so wäre, wie Sie sagen, daß der Zug sonst überfüllt ist, glauben Sie, das machen wir so, da brauche ich kein Gesetz. Da wird er herausgeschmissen, und wenn er allein auf dem Lokus sitzt während der ganzen Fahrt."

...und weiter:

"Goebbels:...Es wäre zu überlegen, ob es nicht notwendig ist, den Juden das Betreten des deutschen Waldes zu verbieten. Heute laufen Juden rudelweise im Grunewald herum. Das ist ein dauerndes Provozieren, wir haben dauernd Zwischenfälle. Was die Juden machen, ist so aufreizend und provokativ, daß es dauernd zu Schlägereien kommt.

Göring: Also wir werden den Juden einen gewissen Waldteil zur Verfügung stellen und Alpers (Forstbeauftragter in Preußen) wird dafür sorgen, daß die verschiedenen Tiere, die den Juden verdammt ähnlich sehen - der Elch hat ja so eine gebogene Nase - dahinkommen und sich da einbürgern!"

...Göring lachte so heftig, daß er erst einmal eine Pause machen mußte, ehe er fortfuhr (...)


nun, wie finden Sie das? so machen historische persönlichkeiten geschichte - unsere geschichte. neben (späteren) rentabilitätsberechnungen über solche fragen zb., ob es sich wirklich lohnt, aus den leichen ermordeter seife, lampenschirme und filzstiefel herzustellen, werden auch sehr ernsthaft fragen nach der belegung von eisenbahnabteilen sowie nach der berechtigung des zugangs zum deutschen wald erörtert. der herr göring hat vermutlich tatsächlich geglaubt, dass daran irgendetwas lustiges gewesen sei. eine art von "humor", die (nicht nur) ihm eigen gewesen zu sein scheint:

Aber auch zu den augenblicklichen Verhältnissen in Deutschland hatte er eine Menge Fragen. Als ich ihm erzählte, daß man sich in der Nürnberger Bevölkerung recht viele Gedanken über Kinder der amerikanischen Negersoldaten mache, die jetzt bereits verschiedentlich ausgesetzt würden, und meine schweren Bedenken über die Gewissenlosigkeit der Mütter ausdrückte, die gar nicht an das zukünftige Schicksal dieser armen Kinder dächten, lachte Göring heftig, wischte sich die Augen und sagte, zu mir gebeugt: "Da machen Sie sich mal keine Sorgen! Die kann man ja in einigen Jahren verheizen." -

(notiert hat sich görings reaktionen der rechtsanwaltsassistent werner bross, der als helfer von görings verteidiger otto stahmer in nürnberg in die prozeßvorbereitung und -durchführung involviert war, und darüber die "Gespräche mit Hermann Göring während des Nürnberger Prozesses" veröffentlichte - flensburg 1950, verlagshaus christian wolff. die obigen zitate stammen aus den seiten 35 bis 37 sowie 167 der originalausgabe.)


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ich begreife görings gelächter als in einem eigenartigen sinne authentisch - authentisch soziopathisch sozusagen. dieses böse gackern ist weltenweit von einem freudvollen, teilenden mitlachen entfernt, von der liebevollen und oft genug leicht boshaften selbstironie, die ich bei menschen sehr anziehend finde. es ist auf niedermachen und zerstören aus, kommt aus einer (halluzinierten) position des obenseins, und findet im dingmodus das mühsame herumkriechen der sklavengemeinde (zu denen faktisch alle anderen ausser sich und der eigenen gang gezählt werden) unter sich unglaublich amüsant. es ist im schlimmsten sinne schadenfroh (eines der treffendsten deutschen wörter, die es überhaupt gibt):

"Die Männer lachen herzhaft, während die Schweine ihre Kiefer in das Menschenfleisch graben. In kurzer Zeit ist von dem armen Teufel kaum noch etwas übrig."

nicht jedes lachen ist gesund. wenn Sie ein solches lachen einmal selbst hören wollen: in der berühmten rede des ss-chefs himmler 1943 in posen gibt es eine solche stelle - hören Sie der originalrede zu und achten Sie darauf, was aus dem publikum nach dem folgenden satz zu hören ist:

"Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude."

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ohne weitere anmerkungen nun ein teil des nichtveröffentlichten beitrags zum "karikaturenstreit" - ich finde, er passt ergänzend zum thema.

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beim anblick von islamistischen fundamentalisten werden sich die meisten vermutlich fragen: wo haben die denn humor? haben sie nicht, würde ich sagen. aber das ist oberflächlich, wie die obigen beispiele zeigen - es gibt nachweislich gerade unter sog. "führungseliten" eine art von destruktivem und zynischem gelächter, bei dem der witz immer auf kosten anderer geht. und da unterscheiden sich fundamentalisten aller coleur nicht von der mafia und auch nicht von sog. demokratischen führungspersonen. aber gerade die nazis, auch ihre heutigen selbsterklärten nachfolger, sind in dieser "kunst" schwer zu übertreffen. eine mildere und verbreitere variante davon stellt das sog. "politisch unkorrekte" gelächter dar, wie es vor allem gerne von sog. konservativer seite als "tabubruch" dargestellt wird - hier wird der witz zur ideologischen waffe und als "befreiend" halluziniert - "befreiung" von den als lästig empfundenen anforderungen, mit gesellschaftlich stigmatisierten bzw. diskriminierten gruppen/menschen solidarisch zu sein. ich glaube gerne, dass diese rechte art der verachtung von den protagonistInnen sogar als "ehrlich" bzw. authentisch empfunden wird - aber das ist keinesfalls ein beleg für humor, sondern eher für empathiestörungen.

viel zu viel von dem, was heute öffentlich so als "lustig" betrachtet wird, ist eher ganz deutlich verletzend gemeint und wirkt bei den gemeinten meist auch so. und es ist imo sehr bedauerlich, dass sich dabei auch im weitesten sinne als irgendwie "links" geltende medien wie bspw. die "titanic" viel zu häufig auf diese ebene begeben - als reaktion auf wahnsinnige und bösartige realitäten lässt sich das vielleicht begreifen, aber genau diese motivation wird von den derart handelnden entweder nicht gesehen, abgestritten, oder aber als rechtfertigung benutzt.

damit ich nicht falsch verstanden werde: ich will hier nicht für ein sozialpädagogenhaftes klischee von zwischenmenschlichem umgang plädieren - ich schätze selbst auch drastischere formen von humor, auch sarkastische (mit offen zynischen habe ich allerdings zunehmend schwierigkeiten). ebenfalls ist selbstironie eine begrüßenswerte fähigkeit. aber zu oft fehlt mir ein bewußtsein dafür, dass gerade solche gefühle, die sich in verletzenden "scherzhaften" formen ausdrücken, ihre basis immer auch in den unerträglichen realitäten haben, wie sie hier thema sind.

die konstatierte humorlosigkeit in teilen der fundamentalistischen islamistischen bewegungen ebenso wie in den christlichen gegenparts v.a. der usa mag dabei als besonders leicht zu provozierendes ziel reizen - aber ich sehe weit und breit nichts positives, was daraus entstehen könnte - erst recht nicht den fakt, das diejenigen, die mit derlei mitteln arbeiten, sich selbst als "tabubrecher" im namen der "meinungsfreiheit" feiern - dabei agieren sie lediglich ihre eigene verachtung und destruktivität aus. wer solchen "humor" hinnimmt, wird sich nicht mehr über etwaige karikaturen über bspw. auschwitz beschweren dürfen - auch, wenn das ein ganz anderes thema ist. es geht um die methode an sich, mit der hier gearbeitet wird. und nein, das bedeutet noch lange nicht, dass auch grundsätzliche kritik am islam oder anderen religionen bspw. nicht legitim sei - aber die arrogante, alles ins lächerliche ziehende und verletzende art und weise der "kritik" besonders einiger westlicher massenmedien ist ganz offensichtlich nicht an tatsächlichen interkulturellen fortschritten interessiert, sondern an eskalation. und wer jetzt ruft, islamische medien würden doch das gleiche zb. mittels antisemitischer schmähungen betreiben, hat den schuß nicht gehört - das uralte kindische spielchen "aber der hat doch auch..." sagt dabei wieder am meisten über diejenigen aus, die es praktizieren. und spielt im übrigen den fundamentalisten der "anderen seite" perfekt in die hände.

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vielleicht bringt es das folgende am besten auf den punkt: machen Sie sich einfach klar, dass eine große mehrheit aller heute lebenden menschen auf die eine oder andere art psychophysisch mehr oder weniger schwer verwundet ist, und zwar unabhängig davon, auf welchem kontinent jemand lebt. machen Sie sich weiter klar, dass sich mindestens ein teil dieser verwundungen wiederum in destruktiven und antisozialen verhaltensweisen manifestieren kann und auch manifestiert. dagegen ist selbstschutz legitim und nötig - aber das herumbohren in den fremden wunden hat damit absolut nichts zu tun, sondern verschärft die probleme nur noch. und führt dazu in die irre, indem es von den gerade genannten realitäten wegführt bzw. sie vernebelt. und wer aus eigenen wahrnehmungsdefekten heraus andere auslacht, macht sich selbst - lächerlich.

Montag, 4. September 2006

assoziation: zu den kriegen / konflikten im nahen und mittleren osten (3) - quellen des islamistischen fundamentalismus

(die ersten beiden beiträge zum thema, in denen es vor allem über (post-)traumatische einflüsse innerhalb der israelischen gesellschaft und ihre möglichen auswirkungen geht, sind hier und hier zu finden).

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ein paar worte vorweg: nicht umsonst hat es länger gedauert, als ich eigentlich dachte, bevor dieser beitrag hier endlich eine form hatte, mit der ich einigermaßen zufrieden bin. die öffentlichen diskussionen rund um die themen islam(-ismus), religiösen und militanten fundamentalismus, den verschiedenen kriegszonen in der islamischen welt, israel und die rolle der usa und europa sind meistens derart polarisiert und in einem negativen sinne irrational, dass ich immer wieder schlicht tiefen widerwillen verspürte, mich weiter zu äußern. eine position zu finden, die ich selbst vertretbar finde, bedeutet auch, sich zwischen faktisch alle stühle zu setzen - und das ist, gerade bei der teils offen hasserfüllten art und weise der öffentlichen diskurse, kein angenehmer platz. andererseits: wo gibt es schon noch solche plätze?

mich stören sehr viele dinge: einmal wäre da der teils offen vertretene rassismus gegenüber menschen aus afrika, der arabischen welt und asien, der sich heute bei vielen verteidigerInnen der sog. "westlichen werte" untrennbar mit einer angeblich "aufgeklärten" islamkritik maskiert (das teile dieser kritik durchaus zutreffend sind, kann dabei keine rechtfertigung für rassistische ressentiments sein). zum anderen machen teile der westlichen linken andersherum strukturell nichts anderes, wenn sie - berechtigt - den erwähnten rassismus anprangern, dabei aber auch die tatsächlich reaktionären (religiös begründeten) strukturen gerade in vielen islamischen ländern unterschlagen und in schlechter, orthodox-vulgär-kommunistischer tradition quasi zu einer art "nebenwiderspruch" werden lassen - das gilt besonders dann, wenn es sich um kritik an den offen sichtbar vorhandenen patriarchalen lebensverhältnissen in diesen ländern geht, die auf einmal zu "kulturspezifischen eigenarten" erklärt werden, bei denen einmischung im emanzipatorischen(!) sinne gleichbedeutend mit imperialistischem chauvinismus sei und primär von ökonomischen interessen bestimmt wäre (was tatsächlich einen aspekt ausmacht - als stichwort reicht hier öl).

und wiederum als heuchelei muss imo die sorge um frauenrechte gelten, die seitens des offiziellen westens genau in dem moment entdeckt wurden, als bspw. die taliban in afghanistan nicht mehr verbündete - wie noch im kampf gegen die sowjetunion, als die usa genau diese taliban als freiheitskämpfer glorifizierten und die fundamental-islamistische ausrichtung ihrerseits als eine art "folkloristischer eigenart" verstanden - waren, sondern zu terroristen der gefährlichsten sorte mutierten. wer soll solchen leuten noch ihre behauptete sorge um frauen- und menschenrechte abnehmen? ich nicht. gerade vor dem hintergrund der tatsache, dass sexistische und patriarchale (ich verstehe unter den begriffen nicht das gleiche) strukturen im westen zwar modifiziert worden sind und in einigen bereichen gerade formaler und abstrakterer art (wie der allgemeinen gesetzgebung z.b.) geglättet erscheinen, nichtsdestotrotz aber in historisch teils neuen und daher auch schwer zu fassenden formen weiter fortbestehen und das leben hier prägen.

ebenfalls widerwärtig ist die instrumentalisierung des - meiner meinung nach sehr wohl vorhandenen, aber nur sehr gezielt mit repressionen zu bekämpfenden - terroristischen potenzials verschiedener islamistischer strömungen für eine inzwischen völlig hemmungslos gewordenen innere aufrüstung der usa und der meisten europäischen länder, die deutlich erkennbar die behauptete sorge für die "sicherheit der bürgerInnen" als maske vor sich herschiebt, um dahinter für die absehbaren schweren sozialen konflikte und verteilungskämpfe der nahen zukunft repressive strukturen zu schaffen, die in dieser art und weise ebenfalls eine historisch neue qualität darstellen und als absolute bedrohung jeder emanzipatorischen bewegung begriffen werden können - es existiert geradezu ein unheilvolles wechselspiel zwischen den jeweiligen strategen des fundamentalistischen terrors und der "inneren sicherheit", in dem alle zutaten von borderline-wahrnehmung zu finden sind: "gut-böse"-zuschreibungen ausschließlicher art (schwarz-weiß-sicht); polarisierendes lagerdenken; weit gehende dehumanisierung des jeweiligen "feindes" sowie eine sehr aufschlussreiche art von apokalyptischer endzeitrhetorik. das es sich bei dem begriff "borderline-wahrnehmung" vor diesem hintergrund nicht nur um eine metapher handelt, wird später noch deutlicher werden.

kurz: die ganze situation ist eine derartige, bei der zumindest bei mir spontan der impuls entsteht, sich die decke über den kopf zu ziehen und laut aufzustöhnen - es gibt imo keinerlei gründe für alle an tatsächlichen sozialen fortschritten interessierte, sich in dieser auseinandersetzung an der seite irgendeiner der beteiligten parteien zu positionieren, und wenn´s auch nur aus angeblich "taktischen" erwägungen sei - im gegenteil liegen die gründe für eine massive kritik an allen beteiligten seiten derart im weg herum, dass es schwerfällt, nicht alle naselang darüber zu stolpern.

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im folgenden will ich nun eine zusammenfassende darstellung der entscheidenden sozialen bedingungen innerhalb weiter teile der sog. islamischen welt aus sicht der psychohistorie darstellen, wie sie lloyd deMause in seiner letzten arbeit präsentiert - in einer erweiterung zu ansätzen, wie sie bspw. bei ché im blog deutlich werden -

(...)"Aber es gibt eine Hardcore-Fraktion der Terrorbomber, die sich rein theologisch-ideologisch definieren und die auch ohne Elend in den Ländern und Palästina-Problem bomben würden. Interessanterweise sozial gesehen ein Oberschichtsphänomen."(...)

- versucht die psychohistorische analyse, hinter die als sekundär begriffenen, objektivistischen religiös-ideologischen konstrukte einen blick auf die dahinterliegenden psychophysischen strukturen der handelnden zu werfen, um derart zu einer neuen art von verstehen zu kommen, welches für eine beseitigung der quellen des fundamentalistischen islamismus und eine angepasste fortschrittliche entwicklung der betroffenen regionen wichtige anregungen geben kann.

und im unterschied zu quasi herkömmlichen psychologisch-psychoanalytischen ansätzen, wie sie hinsichtlich der islamischen welt bspw. martin altmeyer vor knapp einem monat in der "taz" unter dem titel Kultur der Niederlage vorgestellt hat; und die imo in einer typischen art und weise zu sehr von der abstraktion der orthodoxen pa geprägt sind und dabei zu solch unwahrscheinlichen und spekulativen konstruktionen wie der folgenden gelangt:

(...)"Während es wohl der Wahrheit entspräche, dass der Terrorist mordet, um für etwas Rache zu nehmen, wäre womöglich ebenfalls wahr, dass er an seiner Kränkung festhalte, um mit dem Morden weitermachen zu können. Die Unterstellung eines solchen (unbewussten) Verlangens bedeute für den Terroristen freilich eine weitere Erniedrigung, die ihn umso wütender mache, denn das Gefühl der Erniedrigung wolle er (bewusst) nicht behalten, sondern gerade loswerden. Wenn man ihm ein Bedürfnis unterstelle, sich gekränkt fühlen zu dürfen, erkläre man seine Motive und Verhaltensweisen für irrational."(...)

kann der psychohistorische ansatz imo eher eine antwort auf die in der "taz" ebenfalls aufgeworfene frage geben:

(...)"Hinter dem Kalkül des fundamentalistischen Islamismus, als dessen Vollzugsorgane sich terroristische Organisationen wie Hisbollah und Hamas verstehen, muss etwas anderes stehen als der Widerstand gegen die Schmach, die Erniedrigung, die Demütigung der arabisch-islamischen Welt durch Amerika und seinen Vorposten Israel."(...)

- weil er sich weitergehend die konkreten und in einer gewissen art und weise sehr "materiellen" sozialen lebensbedingungen anschaut, durch die wir menschen nun mal bis in unsere gehirne und nervensysteme (beides körperlich) geprägt werden, und die wir wiederum durch die wahrnehmungen / informationen in eben diesen gehirnen und nervensystemen prägen. diese vorgänge nun sind bestimmten gesetzen unterworfen, die zwar leider heute nur ansatzweise sichtbar sind, aber nichtsdestotrotz existieren. und ohne die letztlich keinerlei wirkliches verständnis menschlichen verhaltens möglich ist.

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ich werde deMause im folgenden mit einer sehr komprimierten und in dieser art einzigartigen (zumindest ist mir nicht entsprechendes bekannt) darstellung der teils extrem traumatischen lebensbedingungen in der islamischen welt zitieren, die ich selbst an verschiedenen stellen im text kommentieren will. ich verzichte dabei auf die zahlreichen quellennachweise, die im original (bzw. im buch) angegeben werden - überwiegend bezieht er sich auf quellen aus den islamischen ländern selbst, wobei kritische - und feministische - arbeiten wie bspw. von nawal el saadawi überwiegen, die ich selbst als realistische beschreibungen der sozialen situation einschätze.

er differenziert dabei nicht zwischen den verschiedenen konflikten (z.b. israel - palästinenser), sondern versucht, die in den sozialen bedingungen vorhandenen gemeinsamen quellen der diversen krisen herauszuarbeiten, was die prägungen der islamistischen akteure betrifft.

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(...)"Kinder, die heranwachsen, um islamische Terroristen zu werden, sind Pro­dukte eines frauenfeindlichen fundamentalistischen Systems, das häufig die Familie in zwei separate Gebiete trennt: das der Männer und das der Frauen. Die Kinder wachsen in den Räumen der Frauen auf, welche der Vater nur selten besucht. Selbst in Ländern wie dem heutigen Saudi-Ara­bien können sich Frauen dem Gesetz gemäß nicht unter nichtverwandte Männer mischen, und öffentliche Orte haben immer noch separate Frau­enzonen in Restaurants und an Arbeitsplätzen, denn - wie ein muslimi­scher Soziologe frei heraus sagt -: »In unserer Gesellschaft gibt es kein freundschaftliches Verhältnis zwischen einem Mann und einer Frau.« Fa­milien, aus denen die meisten Terroristen kommen, sind auch die gewalt­tätigsten Frauenfeinde; in Afghanistan, zum Beispiel, konnten Mädchen keine Schulen besuchen, und Frauen, die versuchten, ihre Jobs zu behal­ten oder scheinbar »mit Stolz dahin schritten«, wurden erschossen. Junge Mädchen werden in den meisten fundamentalistischen Familien abscheulich behandelt. Wird ein Junge geboren, herrscht Freude in der Familie; wird ein Mädchen geboren, trauert die ganze Familie.

Die Sexua­lität des Mädchens ist so verhasst, dass sie, im Alter von etwa 5 Jahren, von Frauen gepackt und zu Boden gedrückt wird und ihr mit einer Ra­sierklinge oder einer Glasscherbe die Klitoris und häufig auch die Scham­lippen abgeschnitten werden. Ihre Agonie und Hilfeschreie werden dabei ignoriert, weil, so sagen sie, ihre Klitoris »schmutzig«, »hässlich«, »giftig« ist, sie »kann einen unersättlichen Appetit auf ausschweifenden Sex ver­ursachen« und »kann Männer impotent machen«. Die Stelle wird dann häufig zugenäht, um Geschlechtsverkehr zu verhindern, es wird nur eine winzige Öffnung zum Urinieren gelassen. Die genitale Verstümmelung ist quälend schmerzhaft. Bis zu einem Drittel der Mädchen sterben an Infek­tionen, verstümmelte Frauen müssen »langsam und schmerzvoll dahin­schlurfen« und sind normalerweise unfähig, einen Orgasmus zu haben. Man schätzt, dass heute über 130 Millionen genital verstümmelte Frauen in islamischen Nationen leben, von Somalia, Nigeria und dem Sudan bis Ägypten, Äthiopien und Pakistan. Eine Studie über ägyptische Mädchen und Frauen ergab zum Beispiel, dass 97 Prozent der ungebildeten und 66 Prozent der gebildeten Familien immer noch weibliche genitale Verstüm­melung praktizieren würden. Obwohl in einigen Gebieten diese Praxis weitgehend aufgegeben wurde, nimmt sie in anderen - wie im Sudan und in Uganda - weiter zu, wo 90 Prozent der befragten Frauen angaben, al­le ihre Töchter beschneiden zu wollen.

Die Verstümmelung wird
nicht vom Qu'an vorgeschrieben; vielmehr sagte Mohammed, man solle Mädchen besser als Jungen behandeln. Den­noch haben Frauen über Jahrtausende hindurch ihren Töchtern diesen Horror zugefügt und inszenieren den ihnen durch Männer zugefügten Missbrauch wieder neu, wenn sie ihre Töchter verstümmeln und fröhliche Lieder wie dieses dabei singen: »Wir waren einmal Freunde, aber heute bin ich der Herr, weil ich ein Mann bin. Schau - ich hab ein Messer in meiner Hand. ... Deine Klitoris; ich werde sie abschneiden und sie weg­werfen, weil heute bin ich ein Mann.«

(dieses und alle folgenden zitate: lloyd deMause "das emotionale leben der nationen"; drava, klagenfurt 2005; isbn 3-85435-454-1; s. 39 - 43)


ich halte primär theologische und religionstheoretische auseinandersetzungen für weitgehend uninteressant, da "heilige bücher" wie die bibel und der koran sowohl beliebig interpretierbar sind als auch vermutlich durch die jahrhunderte immer wieder verändert wurden. so kann aus der bibel sowohl bspw. die inqusition als auch die befreiungstheologie südamerikanischen zuschnitts "begründet" und hergeleitet werden - sich gegenseitig ausschließende handlungsweisungen also, die die willkür deutlich machen, mit der religiöse motive konstruktivistisch begründet und umgesetzt werden. ebenso dürfte es sich mit der obigen äußerung von mohammed verhalten. deMause gibt an anderer stelle dagegen interessante hinweise darauf, dass sämtliche religionen, incl. der sog. naturreligionen, und besonders die damit assoziierten gottheiten, eher als produktionen einer durch extrem verbreitete traumatische erfahrungen allgemein dissoziierten welt- und selbstwahrnehmung zu verstehen sind, in dem die diversen götter als projektionen strafender bzw. lobender und aus der sicht von kindern v.a. mächtiger elternfiguren auftreten - und gerade die im religiösen kontext immer wieder auftretenden phänomene wie bspw. trance, religiöse verzückung, ekstase, aber auch selbstgeisselung und -bestrafung, lassen sich aus heutiger sicht sehr wohl als extremformen dissoziativer zustände begreifen.

eine andere art dissoziativer wahrnehmungsspaltung lässt sich hingegen beim stichwort saudi-arabien konstatieren: bis heute ist das dortige herrschaftssystem als eine art theokratische diktatur zu verstehen, mit einer speziellen variante patriarchaler und sexistischer unterdrückung. und seit jahrzehnten kann festgestellt werden, das diese diktatur ohne die faktische unterstützung der usa - die bis heute andauert, wenn auch in der folge des 11. september 2001 mit einigen "irritationen" - nicht existenzfähig wäre. eine (us-)administration, die im falle afghanistans zur "begründung" eines krieges u.a. menschen- und frauenrechte anführte, die sie im falle saudi-arabiens nicht mal als sekundär relevant ansieht (schließlich sind das immer noch ölliefernde "verbündete"), muss sich mindestens als heuchlerbande bezeichnen lassen, die menschenrechte rein instrumentell dann einsetzt, wenn´s ihr in den propagandistischen kram passt. sie kann allerdings auch als in einem pathologischen wahrnehmungsstatus festhängend begriffen werden - und genau dafür geben die gesamten arbeiten von deMause, der sich über jahrzehnte mit der us-amerikanischen innen- und außenpolitik bzw. ihren versteckten "drehbüchern" beschäftigt hat, etliche indizien.

"Mädchen, die in diesen fundamentalistischen Familien aufwachsen, werden normalerweise so behandelt; als wären sie verschmutzte Wesen, verschleiert, und manchmal von Gruppen vergewaltigt, wenn Männer au­ßerhalb der Familie mit Männern ihrer Familie eine alte Rechnung zu be­gleichen haben. Studien, wie eine aktuelle Erhebung unter palästinensi­schen Studenten, zeigen, dass sexueller Missbrauch in islamischen Gesell­schaften weit häufiger stattfindet als anderswo, wobei mehrheitlich Mäd­chen davon betroffen sind, als Kinder sexuell belästigt worden zu sein. Auch eine Heirat kann als Vergewaltigung betrachtet werden, da die Fa­milien häufig den Partner aussuchen und das Mädchen erst 8 Jahre jung ist. Die Schuld für die Vergewaltigung wird oft den Mädchen zugescho­ben, da man davon ausgeht, dass »diejenigen, die nicht darum bitten, auch niemals vergewaltigt werden«. Das Verprügeln der Ehefrauen ist üblich und Scheidung auf Wunsch der Frau selten - vielmehr sind Frauen von ihren Familien umgebracht worden, nur weil sie um die Scheidung baten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei »Ärzte für Menschenrechte« he­rausgefunden wurde, dass »97 Prozent der afghanischen Frauen, die sie untersuchten, unter schweren Depressionen litten«.

Es überrascht auch nicht, dass diese verstümmelten, geprügelten Frau­en keine ideale Figur als Mütter abgeben und ihr eigenes Elend wiederum ihren Kindern zufügen. Besucher bei Familien in verschiedensten funda­mentalistischen muslimischen Gesellschaften berichten vom »Ohrfeigen, Schlagen, Peitschen und Verprügeln« von Kindern, mit konstanter Beschä­mung und Demütigung, von ihren Müttern häufig als »Feiglinge« be­schimpft, wenn sie sich weigern, andere zu schlagen. Physischer Miss­brauch von Kindern geht weiter; gemäß einem Bericht der Pakistanischen Konferenz über Kindesmissbrauch »sehen sich eine große Anzahl von Kin­dern mit irgendeiner Form physischen Missbrauchs konfrontiert, vom In­fantizid und der Weglegung von Babys bis hin zu Schlagen, Schütteln, Ver­brennen, Schneiden, Vergiften, Unter-Wasser-Halten oder der Verabrei­chung von Drogen oder Alkohol oder gewalttätige Handlungen wie Boxen, Treten, Beißen, Würgen, Schlagen, Beschießen oder Stechen«.


kurz: ähnliche und gleiche praktiken also, wie sie in dieser gesellschaft hier in den letzten jahren immer wieder für kurzzeitige mediale aufgeregtheit sorgen - ein beispiel.

"Islamische Schulen praktizieren regelmäßig die Prügelstrafe - speziell in den Religionsschulen, aus denen freiwillige Terroristen so häufig kom­men - und ketten ihre Schüler tagelang »in dunklen Räumen mit wenig Nahrung und kaum vorhandener sanitärer Einrichtung« an."

das sind methoden aus dem arsenal der sensorischen deprivation , die auch bei der - ja, programmierung von selbstmordattentätern eine wichtige rolle spielt - dazu bspw. mehr hier und hier.

"Sexueller Missbrauch - beschrieben als »Streicheln der Genitalien, vom Kind die Berührung der Genitalien des Missbrauchers erzwingen, die Masturbation mit dem Kind entweder als Teilnehmer oder Beobachter, oraler Sex, ana­le oder vaginale Penetration mit Penis, Finger oder jeglichen anderen Objekten und [Kinder-]Prostitution« - ist ausgedehnt vorhanden, jedoch un­möglich zu beziffern.

Auch von Müttern ist berichtet worden, sie würden häufig »den Penis [ihrer Jungen] lange und heftig reiben, um ihn zu ver­größern«. Der Studie über die palästinensischen Studenten folgend, wür­den die Jungen laut ihren Berichten sogar häufiger sexuell missbraucht werden als Mädchen - Männer wählen die anale Vergewaltigung von klei­nen Jungen, um das zu vermeiden, was sie als die »unersättliche Vagina«der Frauen betrachten. Von einigen Gebieten wird berichtet, Kinder hät­ten mit Narben übersäte Körper von Verbrennungen mit glühendheißen Bügeleisen, die von Bestrafungen ihrer Eltern oder von Heilungen von der Besessenheit durch Dämonen herstammen. Kindern wird strikter Gehor­sam gegenüber allen elterlichen Befehlen beigebracht, wie etwa zu stehen, wenn ihre Eltern den Raum betreten, ihre Hände zu küssen, nicht über­mäßig zu lachen, sie immens zu fürchten; und sie lernen, dass es schreck­lich sündhaft ist, einem ihrer Begehren nachzugeben. Alle diese Kinder­erziehungspraktiken sind jenen sehr ähnlich, wie sie Kindern im mittelal­terlichen Westen routinemäßig zugefügt worden sind."


und in variantionen in deutschland bis mitte des 20. jahrhunderts stark verbreitet waren - die uns heute (hoffentlich) bedrückenden fälle von gewalt gegen kinder in dieser gesellschaft stellen eher relikte dieser massiv traumatischen vergangenheit dar - relikte allerdings, die immer noch in zu großer zahl vorhanden sind. das dabei bis heute auch christlich-religiöse institutionen immer wieder als täter im focus stehen, sollte ein gesundes mißtrauens gegen jede art derartiger "religiösität" unterstützen, die mit "spirituell" begründeten hierarchien daherkommt.

und nun folgt ein sehr wichtiger punkt - lassen Sie sich von einigen begriffen, die Ihnen womöglich seltsam vorkommen mögen, nicht irritieren:

"Die asketischen Resultate solch strafreichen Erziehens sind voraussag­bar. Wenn diese missbrauchten Kinder heranwachsen, fühlen sie jedes Mal, wenn sie versuchen, sich selbst zu aktivieren, jedes Mal, wenn sie unabhän­gig etwas für sich selbst tun wollen, sie könnten in ihren Köpfen die Billigung ihrer Eltern verlieren - hauptsächlich die ihrer Mütter und Großmüt­ter im Frauenquartier. Als ihre Städte in den letzten Jahrzehnten mit Geld aus Ölverkäufen und westlicher Popkultur überflutet wurden, fühlten sich die fundamentalistischen Männer erst zu den neuen Freiheiten und Ver­gnügungen hingezogen, zogen sich aber bald zurück, weil sie spürten, sie würden die Zustimmung ihrer Mami riskieren und als »böse Buben« gese­hen werden."

während ich den ersten satz voll unterschreibe - u.a. aus diesem grund versucht jedes autoritäre bzw. diktatorische system, u.a. über familien- und bildungspolitik destruktiven zugriff auf die lebens- und entwicklungsbedingungen der kinder und jugendlichen zu nehmen -, drückt sich deMause beim konstrukt des "bösen buben" imo etwas unglücklich und in v.a. in orthodox-freudianischer manier aus. genauer wäre es, von in folge massiver traumata entstandenen dissoziativen persönlichkeiten zu sprechen, bei denen einzelne teil-persönlichkeiten die destruktiven handlungen und forderungen der täterInnen repräsentieren, und bei "verstößen" gegen deren gebote und weltsicht massiv aktiviert werden, u.a. in form von existenziellen schuldgefühlen. bei als solchen diagnostizierten dissoziativen (multiplen) persönlichkeiten können diese anteile als quasi selbst existierende (teil-)"persönlichkeiten" von außen beobachtet werden. in schwächerer form können wir sie an und in uns selbst wahrnehmen - als mehr oder weniger deutlich wahrnehmbare innere "stimmen", die auf einem herumhacken - tatsächlich meist in situationen, die im weitesten sinne etwas mit selbstverwirklichung zu tun haben (was u.a. dann zum problem werden kann, wenn sich berechtigte kritik an egozentrischem verhalten mit destruktiven folgen für andere mit diesen stimmen mischt und zu elementarem trotz und massiver abwehr führen kann - zu beobachten ist das immer wieder bspw. bei diskussionen über die notwendige einschränkung des westlichen lebensstandards aus ökologischen und sozialen gründen).

"Menschen aus dem Westen kamen, um jetzt in Form einer Projektion ihr eigenes »Böse Buben«-Ich zu repräsentieren, das abgetötet werden musste, so wie sie von sich selbst meinten, die Strafe verdient zu haben dafür, solch unverzeihliche Sünden zu begehen, nämlich Musik zu hören, Drachen steigen zu lassen und Sex zu genießen. So urteilte je­mand: »Amerika ist gottlos. Der westliche Einfluss hier ist keine gute Sa­che, unsere Leute können CNN, MTV [und] Küssen sehen.« Ein anderer beschrieb seine Gefühle folgendermaßen: »Wir werden die amerikanischen Städte Stück für Stück zerstören, weil euer Lebensstil für uns so anstößig ist, eure pornographischen Filme und das Fernsehen.« Viele waren einer Meinung mit dem iranischen Kulturminister, dass alle amerikanischen Fernsehprogramme »ein Teil eines ausgedehnten Komplotts zur Auslö­schung unserer Kultur und unserer heiligen Werte« wären, und hatten aus diesem Grund das Bedürfnis, Amerikaner töten zu müssen. Sayyid Qutb, der intellektuelle Vater des islamischen Terrorismus, beschreibt, wie er sich gegen den Westen wandte, als er bei einem Amerikabesuch einmal einen Kirchentanz beobachtete: »Jeder junge Mann nahm die Hand einer jungen Frau. Und das waren dieselben jungen Männer und Frauen, die ge­rade eben ihre Hymnen gesungen hatten! Der Raum wurde zu einem Durcheinander von Füßen und Beinen: Arme schlangen sich um Hüften; Lippen trafen Lippen; Oberkörper drückten sich aneinander.«

hier liegt ein vergleich mit den inneren dynamiken von "ideologisch" ganz anders konstruierten autoritären gesellschaftsentwürfen durchaus nahe - in ihrer abwehr und feindschaft gegenüber allem lebendigen, für das die sexualität als das symbol überhaupt angesehen werden kann, finden jenseits aller "ideologischen" differenzen christliche, moslemische und sonstige religiöse fundamentalisten, aber auch bspw. faschisten aller coleur und orthodoxe stalinisten einen sehr aufschlußreichen gemeinsamen nenner. das genau diese lebendigkeit aber auch für die kontrollorientierte, objektivierende und quasiautistische vorherrschende tendenz der westlichen gesellschaften ein greuel ist - die sich zumindest in teilen (!) von den offen traumatischen strukturen der vergangenheit fortentwickelt hat - , bedeutet imo aber nicht, dass es keine unterschiede zu den erwähnten klassisch autoritären formationen geben würde - eher scheinen wir es in unserer gesellschaft mit anderen wegen des ausagierens, aber auch - durch die entwicklung von wissenschaftlichen ansätzen wie der psychiatrie und psychotherapie - qualitativ ebenfalls zumindest teilweise anderen möglichkeiten der tatsächlichen verarbeitung unserer traumatischen kollektiven und individuellen geschichte(n) zu tun zu haben. wobei bis auf weiteres sehr fraglich scheint, wie stark die dadurch vorhandenen tatsächlich emanzipatorischen möglichkeiten real sind.

"Osama bin Laden. selbst »frequentierte während seiner Collegezeit prunkvolle Nachtdubs, Casinos und. Bars [und] war ein Trinker und Schürzenjäger«, fühlte aber bald extreme Schuld für seine Sünden und be­gann, das Töten von Westlichen wegen ihrer Freiheiten und der Verfüh­rung von Moslems zu predigen."

hier sind verblüffende biographische parallelen zu seinem gegenpart george w. bush zu sehen:

(...)"Bush junior ist in zweifacher Hinsicht ein bekehrter Alkoholiker. Mit Ende Dreißig war er der nichtsnutzige Sohn eines reichen, erfolgreichen, patrizischen Vaters - ein Weiberheld und Trinker. Dann fand er Jesus. Um aus der Spirale eines ziellosen Lebens herauszukommen, wurde er unter dem Einfluss des charismatischen Predigers Billy Graham religiös, trank fortan keinen Tropfen mehr und ging in die Politik. Das klingt wie der Stoff für eine Satire (am besten von Tom Wolfe), aber jeder Therapeut weiß, dass ein dramatisches Erlösungserlebnis und die Bindung an neue, starke Werte oft der Weg aus der Selbstzerstörung ist."(...)

die quelle und einige - ältere - gedanken meinerseits dazu sind hier bzw. im zugehörigenden thread zu finden.

"Die meisten Führer der Taliban waren reich, so wie bin Laden, hatten Kontakt mit dem Westen gehabt und wa­ren in ihre terroristische Gewalttätigkeit hineingestoßen worden, scho­ckiert durch »die persönlichen Freiheiten und den Überfluss des Durch­schnittsbürgers, durch die Promiskuität und durch den Alkohol- und Dro­genkonsum der westlichen Jugend ... Nur eine absolute und bedingungs­lose Rückkehr in die Arme des konservativen Islamismus könnte die mos­lemische Welt vor den inhärenten Gefahren und Sünden des Westens be­wahren«. Bin Laden kehrte seinem vergnüglichen Leben den Rücken und lebte mit seinen vier Frauen und fünfzehn Kindern in einer kleinen Höh­le ohne fließendes Wasser, all jenen mit einem heiligen Krieg drohend, die sündhafte Handlungen und Freiheiten genießen, welche er in sich selbst nicht dulden kann.

Von Kindheit an ist den islamischen Terroristen beigebracht worden, jenen Teil in sich selbst umzubringen - und in weiterer Übertragung auch bei anderen -, der selbstsüchtig ist und gerne persönliches Vergnü­gen und Freiheiten hätte."


an dieser stelle finde ich das wort "selbstsüchtig" ziemlich unglücklich, zu negativ und zu begrenzend - eher ist eine traumatisierende behandlung von kindern, wie sie hier beschrieben wird, faktisch gegen alle lebendigen anteile wirksam - und wahllose promiskuität wie auch vielfältigster drogenabusus können auch jenseits von moralischen kategorien als symptome gestörter selbstregulation angesehen werden - sie sind imo eine andere art des ausagierens.

"Bereits in ihren von Gewalt und Schrecken be­herrschten Elternhäusern - und nicht erst später in den terroristischen Trainingscamps - lernen sie von Anfang an, Märtyrer zu sein und für Allah zu sterben. Als Selbstmordattentäter, die von der Ausführung ih­rer Vorhaben abgehalten werden konnten, im TV interviewt wurden, sag­ten sie, sie fühlten sich »ekstatisch«, als sie auf den Knopf drückten. Sie leugneten, durch die Jungfrauen und andere Verlockungen, die sie an­geblich im Paradies erwarteten, motiviert worden zu sein. Stattdessen wollten sie sich Allah anschließen - um die Liebe zu bekommen, die sie nie hatten. Von den Müttern von Märtyrern berichtet man, sie wären glücklich darüber, dass diese sterben. Eine Mutter eines palästinensi­schen Selbstmordattentäters, der sich in Stücke gerissen hatte, sagte »mit entschlossen freudiger Miene«: »Ich war sehr glücklich, als ich es erfuhr. Ein Märtyrer zu sein, das ist etwas. Nur wenige Menschen kön­nen das. Ich habe gebetet, um Gott zu danken. Ich weiß, mein Sohn ist nahe bei mir."

das deutsche wort "eisenmütter", welches heute bezeichnenderweise im netz nur noch im kontext des sog. rechtsrock zu finden ist, kommt mir bei den letzten sätzen in den sinn - es wurde imo sowohl im ersten weltkrieg als auch später im ns als eine art anerkennder auszeichnung für tränen- und gnadenlose mütter verwendet, deren söhne - von ihnen begrüßt - den sog. heldentod auf den schlachtfeldern fanden. ebenfalls lassen sich gewisse parallelen zu einigen heutigen "borderline-müttern" finden, bei denen die empathielosigkeit allerdings nicht durch irgendwelche ideologischen konstrukte bemäntelt wird.

*

und ansonsten finde ich, dass die texte oben für sich selbst sprechen - und hoffe, dass sie zumindest dazu anregen, von den eingefahrenen betrachtungsweisen etwas wegzukommen. fertige lösungen kann und will ich hier nicht präsentieren, obwohl sich zumindest einige ansätze von selbst ergeben:

(...)"Zu hören ist auch, was die Attentäter betrifft, eine Kritik am oft verbreiteten Anspruch der Religion, wonach dort die Lösung für alle Probleme zu finden sei. Weshalb gibt es keine "islamische Form der Psychotherapie", fragt etwa ein konvertierter deutscher Muslim. Kriegstraumata könne man mit dem Koran alleine nicht begegnen.(...)"

(quelle)


nicht nur kriegstraumata, so muss ergänzt werden. allerdings lassen sich religionen durchaus jenen "emotionalen stützkorsetten" zuordnen, die ich im letzten blogbeitrag in einem ganz anderen zusammenhang genannt hatte. vermutlich ist diese funktion sogar die eigentliche quelle ihrer attraktivität für geschädigte menschen.

Freitag, 1. September 2006

assoziation: mixzone

ich habe momentan ziemlich schlechte laune - und ein paar auslöser dafür gibt es im folgenden zu betrachten (und möglicherweise wird´s auch etwas zynisch werden...)

*

birger dulz gilt im zusammenhang mit forschung und therapie der borderline-persönlichkeitsstörung als einer der offiziell anerkanntesten kliniker, und in diesem fall kann ich das - anhand der theoretischen arbeiten, die ich von ihm kenne - auch nachvollziehen. das er sich dabei im mainstream des borderline-diskurses bewegt, liegt bei seiner repuatation eigentlich auf der hand - aber gerade durch diesen status bekommen aussagen, wie sie bspw. im unteren teil dieses beitrages zu lesen sind, vielleicht eine gewisse bedeutung in der (ver-)öffentlich(t)en wahrnehmung - und besonders dann, wenn sie aktualisiert werden:

(...)"Die Betroffenen seien - meist gut therapiert - durchaus auch in leitenden Positionen anzutreffen, berichtet der Chefarzt der IV. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios-Klinik Nord, Dr. Birger Dulz. Auf der anderen Seite allerdings landeten viele von ihnen - ohne Therapie - in psychiatrischen Einrichtungen und im Strafvollzug."(...)

nunja - was bedeutet in diesem zusammenhang eigentlich "gut therapiert"? "leitende positionen" in einem gesellschaftssystem, welches - und für diese feststellung reicht eine halbwegs funktionierende wahrnehmung bereits aus - bei genauer betrachtung für die absolute mehrheit der weltbevölkerung und auch für den planeten als ganzes extrem dysfunktional bis tödlich ist und sich u.a. durch krebsartig um sich greifende verdinglichung und simulative prozesse "auszeichnet", stellen imo weder einen anstrebenswerten noch einen akzeptablen maßstab für therapeutische erfolge dar - auch, wenn die orthodoxe psychiatrie und psychotherapie genau für derlei "erfolge" von dieser gesellschaft bezahlt werden.

und zur letzten aussage von dulz nur zwei anmerkungen: erstens kann auch "mit therapie" der weg in die erwähnten institutionen führen, und zweitens wäre es imo seine aufgabe, vor diesem hintergrund auch sinn und struktur des heutigen strafsystems in frage zu stellen - etwas, bei dem sein entfernter kollege roth bereits deutlichen klartext redet.

*

neben dulz hat der name von otto f. kernberg in der borderlineforschung weltweit vermutlich die größte akzeptanz - und das ist für einen expliziten psychoanalytiker in der psychiatrie schon recht ungewöhnlich, kann aber auch einige gerade durch die orthodoxe pa erzeugte seltsamkeiten und wahrscheinliche irrtümer hinsichtlich borderline erklären, wie sie im folgenden artikel wieder einmal auf den tisch kommen. zunächst werden die beobachtungen von dulz oben noch einmal bekräftigt, und zwar in deutlich negativer art und weise:

(...)"Borderline" hat sich als übergeordneter Begriff für alle Arten schwerer Persönlichkeitsstörungen umgangssprachlich etabliert und den "Psychopathen" nicht nur im Fachbereich abgelöst. Tatsächlich nimmt er unter diesen Störungen, von denen nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sind, eher eine nachrangige Stellung ein – wenn auch eine prominente, schon weil er nicht leicht zu diagnostizieren ist – und noch schwerer zu behandeln.

Und noch einen gewichtigen Grund gibt es dafür, seit US-Experten herausfanden, dass Borderliner, als Manager zunächst wegen ihrer Skrupellosigkeit bei "Umstrukturierungen" (Hinauswürfen) von Unternehmen geschätzt, in der Folge desaströs handeln. Der Grund: Die meisten Borderliner sind außerstande, konstruktive Arbeit zu leisten und im sozialen Umfeld normal zu interagieren.

Doch nicht nur für den Arbeits- und Unternehmensbereich oder die Politik, in der Borderliner oft als "Quereinsteiger" auftauchen (aber kaum bleiben), sondern auch das private Leben (Beziehungen, Ehe) stellen Borderliner durch Akzeptanz- und Distanzlosigkeit, Grenzüberschreitungen und Zumutungen eine zumindest so große Gefahr dar wie für sich selbst."


interessant, das die autorin hier eine faktische gleichsetzung von borderline und (klassischer) psychopathie vornimmt - warum ich das für nicht zutreffend halte, lässt sich u.a. hier und hier nachlesen. es bestehen schließlich einige indizien dafür, allgemein antisoziales verhalten - welches sich bei als solchen diagnostizierten bl-personen zweifelsfrei selbst bei berücksichtigung der gesellschaftlichen bedingtheit der "offiziellen" kriterien für antisozialität finden lässt - von der klassischen psychopathie zu unterscheiden.

und das sich der begriff als generelles synonym für alle heute geführten modelle von persönlichkeitsstörungen eingebürgert hat, mag zwar zutreffen, dürfte aber gerade bei leuten wie kernberg auf einigen widerspruch stoßen. ich selbst halte es durchaus für möglich für möglich, dass das synonym zutreffend ist - aber nur, wenn die orthodoxen modelle wesentlich erweitert bzw. ganz verlassen werden.

ebenfalls ist imo die aussage unzutreffend, dass die "meisten" bl-persönlichkeiten außerstande seien, im sozialen umfeld zu "interagieren" - das trifft höchstens für akut agierende bl-menschen zu, die dabei gegen die aktuellen kriterien der "objektiven realität" verstoßen - oder kurz gesagt auffällig werden, und damit zu objekten der psychiatrie oder sogar der strafjustiz. im als-ob-modus hingegen können solche menschen, gerade vor dem hintergrund der zunehmenden virtualisierung vieler sozialer bereiche, interaktionen und kommunikation mit tendenziell zunehmendem erfolg simulieren - und eine der thesen des weiterhin ignorierten j. erik mertz, die für diese ignoranz mitverantwortlich sein dürfte, besteht denn auch darin, einen teil der "therapeutischen" erfolge bei borderline-persönlichkeiten letztlich als erfolge bei der zunehmenden perfektionierung der jeweiligen simulativen fähigkeiten zu analysieren, d.h. das die heute etablierten therapien die betroffenen lediglich für die bereits in sich gestörten und kranken strukturen der heutigen gesellschaft anpassungs- und durchsetzungsfähiger machen - und damit macht man sich ganz sicher keine freunde innerhalb der kollegInnenschaft.

weiter im text:

"Die Borderline-Forschung hat in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. So fanden Fachleute heraus, dass in vielen Fällen Missachtung und Vernachlässigung des Kindes seitens eines oder beider Elternteile vorlag. Überproportional häufig fanden sich auch Hinweise auf sexuellen Kindesmissbrauch. Schließlich wurden auch mehrere Ursachen dafür entdeckt, warum viele Borderliner den Schmerz durch Selbstbeschädigung und suizidähnliche Taten suchen. Doch ein gemeinsamer Nenner in der Entstehung fand sich bisher nicht wirklich."

das suggeriert mehr an erkenntnissen, als imo wirklich vorhanden sind - die genauen beziehungen bzw. verhältnisse zwischen borderline und (post-)traumastörungen aller art sind nach meinem eindruck noch nicht tatsächlich begriffen worden, was auch mit mit den erwähnten, und im internationalen borderline-diskurs sehr dominanten, orthodox-psychoanalytischen modellen / ansätzen zu tun haben dürfte, wie sie im folgenden kurz umrissen werden:

"Der aus Wien stammende und in New York lehrende Otto F. Kernberg – er ist ein weltweit anerkannter Spezialist für schwere Persönlichkeitsstörungen – sieht als Grundursache für Borderline und verwandte Störungen ein psychoanalytisches Phänomen: Die Betroffenen seien, sehr vereinfacht ausgedrückt, in ihrer Kindheit nicht imstande gewesen, die moralische Instanz – das Über-Ich – in ihr Ich zu übernehmen.

Dagegen stärke ein integriertes Über-Ich die Fähigkeit zur Ausbildung sowohl von Objektbeziehungen als auch die Autonomie: "Ein internalisiertes Wertesystem macht das Individuum weniger abhängig von äußerer Bestätigung ... und ermöglicht gleichzeitig ein tieferes Engagement in Beziehungen zu anderen Menschen", wie Kernberg in seinem neuen Buch ("Narzißmus, Aggression und Selbstzerstörung") schreibt.

Doch die Internalisierung eines Wertesystems bedarf der Grundsätze, Leitbildern, Erkenntnis. Kernberg befürchtet nun anhand bestimmter Parameter eine Zunahme solcher Persönlichkeitsstörungen durch soziale Umstände: Wo die traditionellen Strukturen einer Gesellschaft durch raschen Umschwung wegfielen, fehle es an deren stabilisierendem Einfluss auch auf das Individuum. Und insbesondere sozial verwahrloste Kinder, deren Vorbilder vom "Recht des Stärkeren" geprägt werden, sind davon betroffen."


*ächz* ich empfinde bei derlei aussagen zunehmend widerwillen und verdruß. warum? einmal ist es die sprache - der begriff "objektbeziehungen" wurde bereits vor jahrzehnten von erich fromm kritisiert, und zwar sehr berechtigt. dazu finde ich das mechanistische modell der pa, aus dem die konstruktion des "über-ich" stammt, schlicht überholt - freud hat hier vermutlich - wofür ihm aber bei berücksichtigung der historischen umstände schlecht ein vorwurf gemacht werden kann - auf der basis eine allgemeine verbreiteten fragmentierenden bzw. dissoziativen wahrnehmung anhand der beobachtung von fragmentierten bzw. dissoziativen patientInnen sein modell der menschlichen psyche entwickelt, welches von heute aus erstens grundsätzlich körperlos erscheint bzw. den körper in form des anonymen und "tierischen" "es" als gegenpart zum "kontrollierten und vernunftgeleiteten geist" (dem "ich") konstruiert; und hat zweitens damit ziemlich bewußtlos die folgen eines über generationen und jahrhunderte existierenden tief traumatischen einflusses innerhalb der westlichen gesellschaften (u.a. durch die verbreitete gewalt gegen kinder) quasi als "anthropologische normalität" in seinem entwurf reproduziert und zementiert.

mit anderen worten: alle theorien und modelle vom menschlichen verhalten, die den "wahnsinn der normalität" nicht wahrnehmen (können oder wollen), neigen zwangsläufig dazu, die sich aus diesem wahnsinn ergebenen verzerrten verhaltensweisen und die ebenso verzerrten individuellen wie sozialen strukturen als "normalität", "menschliche natur" und "anthropologische konstante" fehlzuinterpretieren - und werden deshalb ebenso zwangsläufig zu einer art ideologie, die die grundsätzlich pathologischen verhältnisse nicht nur nicht mehr kritisieren / analysieren kann, sondern sie sogar noch verstärkt und untermauert.

das gilt - in verschiedenem ausmaß - sowohl für die orthodoxe psychoanalyse (als deutlichstes beispiel wäre hier das konstrukt des "todestriebs" zu nennen) als auch bspw. für solche konstrukte wie den "homo oeconomicus", der bis heute gerade in prokapitalistischen ideologien als pathologisches menschenbild herumspukt - und als basis dieser ideologien unverzichtbar ist.

was kernberg nicht aufzufallen scheint: wenn sein modell konsequent zuende gedacht wird, kann als letztes auch die forderung nach einer durchhierarchisierten, formierten und autoritären gesellschaft stehen, die all den quasi "natürlich" "über-ich"-schwachen menschen die "traditionellen strukturen" z.b. von nationalstaat, patriarchat und autoritärer familie als eine art emotionales stützkorsett implantiert - was in der folge von den meisten menschen unter dem daraus folgendem sozialen anpassungsdruck tatsächlich "internalisiert" wird (ein blick in die geschichtsbücher macht deutlich, dass dieser mechanismus tatsächlich "funktioniert" - und heute auch die scheinalternative zum durchdrehenden objektivismus des westlichen typs darstellt, die den erfolg von neofaschistischen und fundamentalistischen strömungen jeglicher coleur begünstigt). und gerade die erwähnten "sozial verwahrlosten kinder" finden in dem angeblich "natürlichen" "recht des stärkeren" eine mächtige, genau von den gerade erwähnten strömungen ideologisch recht beliebig interpretierte untermauerung / begründung dafür, dass sie sich nicht ändern müssen - oder anders: ihren eigenen verletzungen nicht gegenüber treten müssen. gerade dieser aspekt wird bei den analysen des rollbacks diverser reaktionärer und antisozialer fundamentalistischer strömungen, egal ob "politisch" oder "religiös", meistens ausgeblendet.

ich nehme kernberg dabei durchaus ab, dass er sich selbst wahrscheinlich als vertreter einer zutiefst humanistischen und der aufklärung verpflichteten strömung begreift - aber die vielen lücken und verzerrungen der (nicht nur von ihm) vertretenen modelle bilden die einfallstore für u.a. jene extrem destruktive strukturen, mit denen wir uns heute herumschlagen müssen. dazu kommt sein imo ziemlich unreflektierter beziehungsbegriff, der ebenso wie die meisten anderen heute etablierten nichts von der wirklichkeit der existenz simulativer fähigkeiten - und damit eben auch simulierter pseudobeziehungen - wissen will. auch das lässt sich als grundsätzlicher fehler im freudschen modell des menschen analysieren, wie es mertz in seinem buch bereits ansatzweise getan hat.

*

das stichwort "sozial verwahrloste kinder" leitet über zu folgender meldung:

"Großbritanniens Premierminister Tony Blair hat ein frühestmögliches Eingreifen des Staates gegen Kinder- und Jugendkriminalität gefordert. Möglicherweise seien schon vor der Geburt Maßnahmen nötig, um das Heranwachsen von Kindern zu Unruhestiftern zu verhindern, sagte Blair am Donnerstagabend in einem BBC-Interview."

das sich großbritannien offensichtlich als vorreiter bei der prophylaxe von als solchen definierten antisozialen verhaltensweisen etablieren will, war hier schon früher thema - neu ist jedoch der bezug auf die relevanz der pränatalen phase (die immerhin so einmal, wenn auch von den falschen leuten und mit falschen motivationen, ins öffentliche blickfeld rückt). ich bleibe bis auf weiteres bei meiner in früheren beiträgen skizzierten meinung dazu: grundsätzlich steckt in solchen überlegungen ein richtiger kern - aber eine umsetzung kann nicht unter den heutigen gesellschaftlichen machtverhältnissen stattfinden, weil genau diese einen teil des problems darstellen - und die unterschrift unter dem bild der familie blair macht das mit ihrem unterton vermutlich unfreiwillig deutlich:

"Die Familie Blair ist selbstverständlich keine Plage für die Gesellschaft."

triefende ironie oder merkhilfe für eventuelle zweiflerInnen? interessant sind die umrissenen begründungen und auch die bisherigen reaktionen:

"Ohne rechtzeitige Prognosen und Eingriffe würden Kinder in Familien aufwachsen, von denen man genau wisse, dass sie überhaupt nicht funktionierten. "Ein paar Jahre später werden die Kinder dann eine Plage für die Gesellschaft und eine Gefahr für sich selbst sein", sagte der Regierungschef. So dürften unverheiratete minderjährige Mütter, die in keiner dauerhaften Beziehung lebten, nicht nur Unterstützungsangebote bekommen. Der Staat müsse ihnen auch deutlich machen, dass er ihre Situation als möglichen Ausgangspunkt künftiger Probleme im Blick behalte.

Das sozialpolitische Forschungsinstitut Civitas kritisierte, es grenze an "sozialen Determinismus", Kinder schon vor ihrer Geburt als problematisch abzustempeln. Die oppositionellen Konservativen bezeichneten mehr staatliche Eingriffe und Bürokratie als falsche Antwort auf die Problematik."(...)


dem ersten satz würde ich zustimmen. dem rest hingegen bleibt etliches anzumerken: so muss bei den "unverheirateten minderjährigen müttern" (die formalität "unverheiratet" scheint für blair das größte ärgernis zu sein) nicht nur die sexistische und patriarchale struktur der gesellschaft berücksichtigt werden, sondern ebenfalls die durch blair maßgeblich mitzuverantwortende antisoziale (wirtschafts-)politik, die die spirale der verelendung mitsamt der zunahme der zahl dysfunktionaler familien extrem beschleunigt hat. als "lösung" dafür landet er - wie es bei solchen mitgliedern der "führungseliten" üblich ist - bei der kaum mehr verhüllten drohung von mehr kontrolle und repression seitens des staates. das sich die "oppositionellen konservativen" gegen letzteres aussprechen, hat übrigens nichts mit humanitären erwägungen zu tun - falls das ganze irgendwann ein profitorientierter arbeitsbereich privater unternehmen werden sollte, werden diese herren und damen keinerlei einwände mehr haben.

der einwand des "sozialen determinismus" hingegen scheint mir wieder mal auf dem konstrukt des "autonomen bürgers mit freiem willen" zu wurzeln. die pränatale forschung kann heute genügend belege dafür liefern, dass es bereits im mutterbauch zu gravierenden störungen / fehlentwicklungen kommen kann, die aber wiederum von den sozialen bedingungen - auch und gerade für schwangere frauen und ihr umfeld - maßgeblich mitbestimmt werden. und in diesem sinne lässt sich durchaus eine art determinierung behaupten, die allerdings vermutlich nicht dem entspricht, was hier kritisiert wird.

ich hoffe, dass sich sowohl forscherInnen als auch therapeutInnen aus dem pränatalen bereich bald mal in solche debatten einmischen.

*

ich hatte zu beginn zynismus angekündigt - nun, den habe ich mir für diese meldung hier aufgehoben, auf die ich vor einigen tagen an anderer stelle aufmerksam gemacht wurde (noch mal danke dafür):

"Deutschland leistet sich eine "Schule der Anti-Kapitalisten". Diese These vertritt Stefan Theil, Deutschlandkorrespondent der amerikanischen Zeitschrift Newsweek, in einem Beitrag für die Tageszeitung Die Welt. In der Schule werde nicht das Funktionieren des Marktes erklärt, sondern Werturteile über "böse Manager" und "ungerechte Löhne" gelehrt."(...)

ein schönes beispiel dafür, wie sich ein offensichtlicher propagandist des newspeak selbst demaskiert: durchaus realistische wahrnehmungen vom (destruktiven) handeln "böser" manager (unter denen es ja bekanntlich etliche borderline-persönlichkeiten und / oder auch psychopathen gibt, siehe oben) und von ungerechten löhnen (die im kapitalismus gar nicht anders als ungerecht sein können), werden dem objektivistischen konstrukt vom scheinbar "objektiven" "funktionieren des marktes" gegenübergestellt - vom prinzip her wird hier das gleiche verfahren angewendet, wie ich es hier hinsichtlich der medialen "folterdebatte" bereits beschrieben habe: die allgemeine wahrnehmung wird aufgespaltet und fragmentiert - in einen angeblich "objektiven" teil, der der "falschen" subjektiven wahrnehmung - die dazu implizit als ideologisch - "antikapitalistisch" - denunziert wird, übergestülpt werden soll. "freier markt" als auch folter (und auch kriege) sollen demnach als quasi "natürliche" bedingungen unseres lebens (fehl-)wahrgenommen werden - es gibt wohl kaum etwas perverseres als solche miesen versuche, herrschende antisoziale ideologien bereits in die köpfe und körper von kindern und jugendlichen einzupflanzen.

"Eine Studie der Initiative Juniorprojekt wollte wissen, wie Wirtschaft und Unternehmen in nordrhein-westfälischen Schulbüchern vorkommen. Unternehmer, so ein Ergebnis der Untersuchung, werden nicht mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen, sondern mit Kinderarbeit, Müllbergen, Internet-Sucht und Alkoholismus assoziiert."(...)

na, das verspricht doch hoffnung - jedes fitzelchen realistischer wahrnehmung unserer lebensbedingungen steigert die wahrscheinlichkeit dafür, dass diese spezies irgendwann doch noch einmal tatsächlich menschliche lebensverhältnisse gestalten kann. ich würde die assoziationskette höchstens noch gerne erweitert sehen: und zwar z.b. um die punkte mafiöse strukturen / fließende grenzen zwischen "legalen" und "illegalen" wirtschaftszweigen; selektion nach ökonomischer verwertbarkeit; oder auch der beteiligung des sog. "freien marktes" an der produktion von menschenabfall . von solchen peanuts wie menschenversuchen an traumatisierten kindern und den tausenden toten flüchtlingen an den grenzen der wohlstandszonen gar nicht zu reden.

aber das ist natürlich in der deformierten wahrnehmung einiger zeitgenossen alles nur vorurteilsbehaftetes, subjektives zeug - und nicht so objektiv wie das folgende:

"Theil verweist auf die in Berlin und Brandenburg eingesetzten Sozialkundetexte aus dem Cornelsen-Verlag. Im Kapitel "Was tun gegen Arbeitslosigkeit" lernten Kinder nicht etwa, dass Arbeitsplätze von Unternehmen in der Wirtschaft geschaffen werden."

was ein skandal! (aber die kids lernen ja auch nicht mehr, dass die erbe eine scheibe sei...) was wird statt der einzig wahren objektiven realität an verhetzendem gedankengut den kindern eingeträufelt?

"Das Schulbuch beschreibe vielmehr Montagsdemonstrationen, staatliche Ausgaben sowie das Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Andere Länder werden fit für die Globalisierung gemacht. Deutsche Kinder werden geschult in den gescheiterten Träumen längst vergangener Zeiten", so der Chef des Deutschlandbüros von Newsweek."

unakzeptable sozialdemokratische gescheiterte träume längst vergangener zeiten also - extrem reduzierte träume einer menschlicheren welt, die trotz ihrer reduktion bereits für die ideologen der verdinglichung unerträglich zu sein scheinen. das schreit geradezu nach objektivität:

"Viele Schulen blendeten systematisch aus, dass Deutschland neben China am meisten von der Globalisierung profitiere."(...)

jawoll, endlich wird es ausgesprochen - "deutschland" (als objektivistische halluzination) "profitiert" ebenso wie "china" - das lässt sich ganz leicht an der steigenden kinderarmut hier und den im weltweiten vergleich extrem hohen zahlen von hinrichtungen und zwangsarbeit in china sehen.

und ein anderer vertreter jener schicht von pseudointellektuellen prostituierten des kapitalismus gibt uns dieses zu bedenken:

"Statt jede zweite Woche eine neue bildungspolitische Sau durchs Dorf zu treiben, sollten sich die Bildungspolitiker und Pädagogen besser daran setzen, die Schulbücher darauf hin zu untersuchen, wie dort wirtschaftliche Zusammenhänge dargestellt werden", so Müller gegenüber pressetext. "Auch ein Fach Wirtschaft bringt nichts, wenn dort nur Einseitigkeiten und Vorurteile gelehrt werden. Sicherlich werden viele Lehrer auch eigenes, objektiveres Material im Unterricht einsetzen. Und niemand will den Lehrern das Recht auf eine eigene Meinung absprechen. Doch wenn man jungen Leuten nur mit Marktmisstrauen und ökonomischen Vorurteilen malträtiert, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese jungen Menschen später kein Verständnis für Unternehmertum, Markt und Risiko entwickeln."(...)

sehen Sie?...es fehlt schlicht an objektiveren materialien, die den ganzen einseitigkeiten und vorurteilen eins überbraten können. und weiter lernen wir, dass eine eigene meinung zwar schön und gut ist - aber nur, wenn sie nicht das verständnis für unternehmertum, markt und risiko behindert. das nenne ich echtes demokratieverständnis!

das es auch - gottseidank! - anders gehen kann, wird am folgenden beispiel deutlich:

"Vorbildlich hingegen seien die Schulen in Bayern und Baden-Württemberg. Dafür gesorgt habe die Aktionsgemeinschaft Soziale Markwirtschaft (ASM) unter Leitung von Joachim Starbatty, Professor an der Universität Tübingen. Die ASM entwickelte das computergestützte Planspiel "MACRO". Es bietet eine neue Art zu lernen. Anstatt sich durch lästige Fachbücher durchzulesen, können die Schüler laut Starbatty "spielerisch die Bedeutung der Marktwirtschaft erfahren".(...)

ja, das ist auch didaktisch up to date und voll auf der höhe der flexibilisierten zeit - "spielerisch" ideologien zu vermitteln, dagegen war ein goebbels mitsamt dem propagandaministerium ja noch pures pr-mittelalter. das wird auch deutlich, wenn wir uns die stolzen ergebnisse dieses spiels anschauen:

(...)"Sogar in den Spielpausen diskutieren die Schüler, wie sie das Wachstum steigern oder den Schuldenstand abbauen können", so Starbatty: "Ganz selbstverständlich reden sie innerhalb kürzester Zeit von Bruttoinlandsprodukt, Investitionsquote und Geldmengensteuerung".(...)

nur böswillige feinde von freedomanddemocracy können sich hierbei an die beschreibungen alexithymer persönlichkeiten erinnert fühlen - oder gar die these aufstellen, dass hier beziehungslose und in den elementarsten menschlich-sozialen fähigkeiten geschädigte zombies herangezüchtet werden, die allerdings im gegensatz zu den massen der elendszombies perfekt gestylt herumrennen und mehr oder weniger eloquent alle welt von der unvermeidbarkeit des zombielebens für alle und jeden zu überzeugen wissen - so wie die herren namens stefan theil und michael müller.

*

ich schließe mit einem wort - und einem kleinen quiz - zum wochenende, welches irgendwie auch einiges mit den obigen themen zu tun hat - und gleichzeitig ein eindrucksvolles beispiel für den vorgang darstellt, der unter dem namen projektion aus der orthodoxen psychoanalyse in den mainstream eingegangen ist:

"Es war C. S. Lewis, der in seinem unvergeßlichen Screwtape Letters schrieb: `Das schlimmste Übel geschieht heute nicht in jenen verworfenen Höhlen des Lasters, die Dickens so gerne schilderte ... das Böse wird ersonnen und befohlen (beantragt, betrieben, ausgeführt und archiviert) in und von übersichtlichen, mit Teppichen ausgelegten, geheizten und gut beleuchteten Büroräumen aus, in denen ruhige Männer sitzen, mit weißem Kragen, geschnittenen Fingernägeln und glattrasierten Wangen, die es nicht nötig haben, laute Töne anzuschlagen´.

Und da diese `ruhigen Männer´ es nicht nötig haben, `laute Töne´ anzuschlagen, da sie zuweilen sogar in sanften Tönen reden - von Bruderschaft und Frieden reden - vergessen wir manchmal die geschichtlichen Tatsachen und die aggressiven Triebe eines Evil Empire..."


na, welche historische persönlichkeit sagte diese wahrhaft ehrlichen und zutreffenden worte im märz 1983? worte, mit denen allerdings nur die anderen gemeint waren? ich bin mir sicher, Sie kommen drauf.

Mittwoch, 23. August 2006

assoziation: fortsetzungsgeschichte(n)

erinnern Sie sich noch an den hier erwähnten jungen mann, der seine identitäten wechselt(e) wie andere ihre wäsche (und damit vor allem in der sog. "high society" auf viel anklang stieß)? nun endete die geschichte vorläufig vor gericht, und einen aktuellen pressebericht über den prozeß möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.

damals hatte ich mich aufgrund der vorliegenden informationen schon ziemlich festgelegt:

(...)"hier spricht vieles dafür, einen psychopathischen hintergrund anzunehmen: das "sichere auftreten" in unzähligen fakes bzw. "als-ob"-simulationen ist ein wesentliches indiz dafür. gleichzeitig aber macht das zielsichere bewegen des mannes in lauter kreisen, die als "gesellschaftliche eliten" angesehen werden, auch etwas anderes deutlich: nämlich erstens die anfälligkeit innerhalb dieser kreise für simulationen und fakes, was zweitens auch ein hinweis darauf sein dürfte, dass es mit authentischen menschlichen beziehungen dort nicht mehr so weit her sein dürfte bzw. beziehungssimulationen weit verbreitet sind - was das agieren von psychopathen enorm erleichtert bzw. sie am wirkungsvollsten vor der "enttarnung" schützt. der bereich der (überzeugenden) hochstapler, trickdiebe und betrüger jedenfalls darf als ein bevorzugter tummelplatz von menschen mit einer störung dieses kalibers angesehen werden."(...)

nun lässt sich diese einschätzung mit derjenigen eines psychiatrischen gutachters vergleichen:

(...)"Dabei hat sein selbstbewusstes Auftreten einst viele Menschen so überzeugt, dass sie ihm den Titel "Fürst zu Sayn-Wittgenstein zu Berleburg" ohne Fragen glaubten. Von August bis Oktober 2005 lebte er unter diesem Namen in Düsseldorf auf Pump, prellte Banken und Firmen um 100 000 Euro.

Psychiater Martin Platzek erklärte gestern diesen Widerspruch mit einer so genannten "Borderline-Persönlichkeitsstörung". Dem Angeklagten fehle eine stabile eigene Identität, er brauche Bestätigung von außen. Mit Scheinidentitäten habe er sich Anerkennung geholt. Ursachen lägen in der Kindheit, dazu komme der Missbrauch durch einen Pfarrer mit zehn Jahren.

In sein Leben als Fürst habe ihn "eine Verkettung von Ereignissen" geführt, die es ihm leicht machten: "Das konnte er nicht auslassen." Denn eigentlich quälten ihn Minderwertigkeitsgefühle. Sie hätten ihn sogar an Selbstmord denken lassen. Fazit: "Seine Steuerungsfähigkeit war eingeschränkt."(...)


und wenn Sie sich einerseits nochmals die beiträge hier zu den themen "borderline" und "als-ob-persönlichkeiten" vor augen führen und andererseits auch die tatsache berücksichtigen, dass männer mit der borderline-ps häufig auch mit dem modell der "dissozialen persönlichkeitsstörung" (deren vorläufer die klassische psychopathie war) diagnostiziert werden, dann können Sie vielleicht meinen eindruck nachvollziehen, dass ich trotz unterschiedlicher diagnostischer begriffe inhaltlich nicht so falsch gelegen habe. nein, das soll hier kein schulterklopfen meinerseits werden - ich denke, der junge mann wäre vielleicht vor zwanzig bis dreißig jahren tatsächlich auch offiziell-diagnostisch als psychopath klassifiziert worden (warum ich finde, das dieser begriff - auch aufgrund seiner historischen belastung - nur noch auf eine sehr eingeschränkte gruppe von schwer gestörten menschen angewendet werden sollte, steht grob skizziert ebenfalls im verlinkten damaligen blog-beitrag).

nun also borderline - nicht zum erstenmal taucht diese diagnose im zusammenhang mit scheinidentitäten auf. eine damals noch nicht vorliegende information stellt der (vermutlich sexualisierte) erwähnte "missbrauch durch einen pfarrer" dar. und das führt direkt in den bereich von verwirrenden fragen rund um die komplexe "borderline - als-ob/simulative identitäten - trauma/dissoziation - täter-opfer-dialektik - antisoziale persönlichkeiten". es bleiben aber selbst bei berücksichtigung der neuen informationen verschiedenste möglichkeiten offen, was hier eigentlich wirklich vorliegt - die möchte ich kurz beschreiben. auch, wenn ich selbst meine eigene meinung bereits skizziert habe:

1. traumatische erfahrungen verschiedenster art liegen vor, die - und das lässt sich heute durchaus vielfältig belegen - gerade bei erlebnissen sexualisierter gewalt von männern anders als von frauen verarbeitet werden. das hat u.a. etwas mit den geschlechterstereotypen zu tun, die bis heute noch sehr wirkungsvoll sind. "männer sind / dürfen / können keine opfer sein" z.b. (das gegenstück zu "frauen sind von natur aus opfer bzw. bereit, sich zu opfern"). dieser - ja, quatsch kann zu extremen reaktionen besonders dann führen, wenn die realität der eigenen erlebnisse mit den im eigenen inneren verankerten stereotypen völlig kollidiert. so tun sich männer i.d.r. bis heute mit der vorstellung sehr schwer, zum opfer gemacht / geworden zu sein. wozu eben auch die allgemeine soziale / gesellschaftliche reaktion beiträgt, nach der es irgendwie ungehörig - oder einfacher: "unmännlich" - ist, wenn (sich) ein mann derart empfindet. mit diesem problem schlagen sich v.a. therapeutInnen herum, die mit männlichen überlebenden sexualisierter gewalt arbeiten - denn gerade im sexuellen bereich widersprechen so ziemlich alle klischees der vorstellung, dass männer ausgerechnet hier zum opfer werden könnten. dazu kommt noch ein nicht zu unterschätzender anteil homophobie - "bin ich deshalb opfer geworden, weil ich vielleicht schwul bin?" oder "werde ich jetzt dadurch schwul?" das mag irrational klingen, ist aber - wenn Sie sich die gesellschaftlichen realitäten vor augen halten - eigentlich durchaus nachvollziehbar, gerade wenn die betroffenen männer / jungen in "klassischer" art sozialisiert worden sind.

an reaktionen können von betroffenen männern / jungen darauf folgen: erstens eine sehr demonstrative und rigide orientierung am klassisch-patriarchalen macho-ideal - hart, härter, am härtesten. das lässt sich als eine sehr weitgehende und starke form von verdrängung / abspaltung einerseits mit einhergehender kompensation andererseits verstehen. das die "macho-identität" bis heute in grundlegenden teilen immer noch gesellschaftlich akzeptiert, gefördert und auch bewundert wird, lässt sie für männer mit einer traumatischen biographie zu einem (zu) einfachen (schein-)ausweg werden. bei solchen männern ist dann sehr oft das zu beobachten, was ich hier als täter-opfer-dialektik begreife: sie werden, gerade beim versuch, der realen opfererfahrung zu entkommen, selbst zu tätern - und zwar auch häufig zu gewalttätern.

eine andere art der reaktion erinnert mehr an das, was die meisten menschen - wenn sie sich überhaupt mit derlei beschäftigen - spontan mit den begriffen "trauma" und "opfer" assoziieren: rückzug, isolation, sprachlosigkeit und vielfach anscheinend "rein" körperliche - und "unerklärliche" - symptome. auch das ist etwas, was gerade betroffenen männern - die sich vielfach und mehrheitlich immer noch als anscheinend "ohne psyche" begreifen - durch mächtige und stark verankerte gesellschaftliche zuschreibungen bzw. zumutungen eher als "ausweg" akzeptabel - und akzeptiert - scheint als die offensive auseinandersetzung mit dem eigenen leid und schmerz. das es diesbezgl seit ca. zwanzig jahren auch andere tendenzen - imo positivere - zu beobachten gibt, ändert leider nichts an der bis auf weiteres vorhandenen realität der skizzierten reaktionen (es gibt natürlich noch etliche andere, v.a. auch "mischformen" - aber die obigen zwei scheinen mir die vorherrschenden zu sein).

beurteilen Sie selbst, ob das gerade beschriebene - in welcher variation auch immer - im fraglichen fall hier vorliegt.

2. eine andere möglichkeit: geht es hier vielleicht, gerade weil die fake-identitäten als so überzeugend empfunden worden sind, um eine unerkannte dissoziative ("multiple") persönlichkeit? traumata, besonders in ihren drastischen formen, können diese reaktion nach sich ziehen - die aufspaltung / fragmentierung in "teilpersönlichkeiten", die durchaus ein teils deutlich ausgeprägtes eigenleben führen können und auch den körper gewissermaßen zeitweise "übernehmen". dagegen spricht eigentlich alles, was bisher über die geschichte des mannes bekannt ist: bei dissoziierten menschen sind fast immer verschiedene "kinder" aktiv (durchaus neben "erwachsenen"), die sich auch meistens ausdruck verschaffen. dazu fehlt das element bewusster kontrolle über die verschiedenen teile. und alleine aus diesen beiden punkten halte ich die variante für sehr unwahrscheinlich (mal ganz abgesehen davon, dass ein psychiatrischer gutachter eine derartige persönlichkeit eigentlich erkennen sollte - aber Sie wissen ja, wie das mit dem wörtchen "eigentlich" so ist...)

trotzdem: selbst bei der annahme, dass dissoziative zustände im weitesten sinne hier vermutlich auch beteiligt waren, bleibe ich bei meiner meinung: dissoziative ps = unwahrscheinlich.

3. eine "als-ob-persönlichkeit" also? mal abgesehen davon, dass es eine "offizielle" diagnose mit diesem namen nicht gibt (auch, wenn der begriff tatsächlich schon in forensischen gutachten aufgetaucht ist), hat vermutlich nicht nur mich etliches an das modell von helene deutsch erinnert. ganz abgesehen von j. erik mertz, der ja in seinem modell die borderline-ps in ihrer blanden form als quasi der als-ob-persönlichkeit gleich beschreibt.

dagegen würden hier, zumindest auf den ersten blick, die konstatierten minderwertigkeitsgefühle sprechen. aber tun sie das eigentlich wirklich? wenn Sie sich an die in den entsprechenden beiträgen beschriebenen, geradezu chamäleonartigen fähigkeiten von als-ob-personen erinnern, sich so ziemlich jeder situation anpassen zu können und dabei auch völlig überzeugend zu wirken - was spräche dann gegen die möglichkeit, dass sich der mann beim prozeß nicht ebenfalls perfekt der identität eines reuigen opfers bedient hätte? ich weiß, dass das nur eine spekulation ist (und eine gar nicht nette dazu) - aber ausschließen kann ich diese variante keinesfalls. das würde im übrigen auch bedeuten, dass der gutachter überzeugend getäuscht wurde - aber wäre auch das so abwegig, wenn Sie sich nochmals durchlesen, in welchen identitäten der mann agiert hat? als falscher adliger, falscher arzt, falscher polizist...und er muss dabei durchaus überzeugend gewirkt haben.

4. mit der borderline-diagnose bewegt sich imo besonders der gutachter auf einigermaßem sicherem terrain, einfach deshalb, weil diese diagnose sehr interpretationsfähig ist. ich wüßte einmal gerne, auf welche der nötigen punkte aus den offiziellen klassifikation icd und dsm er diese diagnose stützt - denn neben der - zugegebenermaßen sehr auffälligen - identitätsstörung kann ich zumindest keinerlei weitere der "klassischen" bl-symptome erkennen. kennt bzw. akzeptiert der gutachter das modell der "blanden" borderline-ps (welches nicht nur von mertz, sondern bspw. auch von christa rohde-dachser als möglichkeit skizziert wurde)? was für eine vorstellung hat er von borderline? solche fragen müssen hier offen bleiben, und darum auch die tendenz, die seine diagnose möglicherweise besitzt - oder auch nicht, wenn er sich strikt an das "offizielle" modell gehalten hat.

5. und aus dem gleichen problem des fehlenden wissens über die weltsicht des gutachters kann ich auch nichts über seine stellung zu den diagnosen der dissozialen ps und dem ganzen begriff der psychopathie generell sagen, die hier ebenfalls als bezugspunkte hätten dienen können - warum ich das finde, sollte eigentlich soweit nachvollziehbar sein. traumatische kindheitserfahrungen sprechen übrigens nicht grundsätzlich gegen diese möglichkeit.

meine persönliches fazit ist das, dass eigentlich nur weitere informationen über den background des gutachters - wie begreift er diagnosen, was hält er von den aktuellen modellen etc. - weiterhelfen würden. besonders aber wäre hier vielleicht eine gründliche neurophysiologische untersuchung angebracht gewesen, die imo zumindest die frage: "soziopathische persönlichkeit oder nicht?" hätte beantworten können. vielleicht.dazu wäre eine präzisierung der kindheitserfahrungen nötig, eigentlich auch eine gründliche analyse der pränatalen phase bei diesem mann - was dann unausweichlich auch die mutter miteinbezogen hätte.

*

Sie sehen schon, das ich leicht unzufrieden bin. ich finde, das diese geschichte wieder einmal mehrere probleme aufzeigt: einmal die fließenden grenzen zwischen diversen zentralen psychiatrischen diagnosenmodellen, die darauf hindeuten, dass die sich dahinter verbergenden phänomene immer noch in wesentlichen bereichen nicht ausreichend verstanden worden sind (was übrigens nicht bedeuten soll, dass ich behaupte, ich hätte sie verstanden - ich arbeite hier mit verschiedenen alternativmodellen, um auch für mich selbst ein größeres verständnis - im besten fall - zu erreichen). dazu finde ich, dass die diagnosenstellung ganz dringend um neurophysiologische und pränatale aspekte erweitert gehört, in diesem rahmen auch um eine analyse der familiären strukturen. es würde sehr wahrscheinlich einfach das bild um ganz entscheidende aspekte erweitern, was wiederum eine größere sicherheit bei der diagnostik zur folge haben müsste.

vielleicht, oder sogar wahrscheinlich, hat der psychiatrische gutachter auch eine "konventionelle" neurologische untersuchung durchgeführt, um bestimmte, als primär organisch begriffene störungen auszuschließen. das er sich auch um eine analyse der pränatalen entwicklung bemüht hat, wage ich allerdings zu bezweifeln.

klingt alles anmaßend oder gar arrogant meinerseits? mag sein - aber das sind nun mal die fragen, die mir dazu in den kopf kommen.

*

und eine frage auch als letztes: ich wundere mich sehr, dass die kontakte des jungen mannes zur sog. politischen klasse zumindest für die zeitung überhaupt kein thema waren. und ich frage mich, ob sich das auch beim prozeß so verhalten hat. die gründe dafür würden mich dann doch ebenfalls sehr interessieren.

Montag, 21. August 2006

assoziation: von der (un-)möglichkeit des freien willens, perverser justiz, moral und einigem mehr

so. ich komme momentan nicht so recht bei der bearbeitung diversen materials hinterher, aber das ist ja bekanntlich nix neues. die angekündigten fortsetzungen zu den kriegen im nahen/mittleren osten, und hier als nächstes die möglichen psychophysisch-sozialen grundlagen für den islamischen fundamentalismus speziell aus sicht der psychohistorie, werden aber auf jeden fall erscheinen.

*

und manchmal kommt dann auch einfach etwas "hereingeflogen", was ich so interessant finde, dass ich es einfach vorziehen möchte - in diesem fall danke ich wieder einmal sansculotte für den hinweis auf das folgende interview mit den hirnforscher und biologen gerhard roth unter dem kontroversen versprechenden titel "Hitler und Stalin haben sich nicht freiwillig entschieden" - es geht dabei, wie der satz schon vermuten lässt, generell um das thema "freier wille" - was das überhaupt sein könnte, welche grundlagen das besitzt (oder auch nicht), und vor allem, welche gesellschaftlichen folgen die - hm, ungeprüfte unterstellung der sog. willensfreiheit für faktisch alle von uns hat. ich werde die aus meiner sicht spannendsten passagen vorstellen und kommentieren.

*

"Gerhard Roths provokante These lautet: Je verabscheuungswürdiger eine Tat ist, desto weniger ist sie vom Täter wirklich gewollt. Schläger, Mörder und Massenmörder seien Getriebene in der Kindheit erworbener Hassgefühle. Gesetze hält Roth für wichtig, Gefängnisse aber für überholt."(...)

"Lieber Herr Roth, ist die Tatsache, dass ich heute ein Interview mit Ihnen führe, das Ergebnis meines freien Willens, oder bin ich neuronal gesteuert bei Ihnen gelandet?

Gerhard Roth: Weder noch. Weder ist es die Konsequenz Ihres freien Willensentschlusses - den gibt es nämlich nicht -, noch kann man sinnvoll von einer reinen neuronalen Steuerung sprechen.

Hat der Mensch überhaupt einen freien Willen, der es ihm ermöglicht, selbstbestimmt zu entscheiden?

Roth: Er hat diese Möglichkeit. Was man unter freiem Willen versteht, ist jedoch etwas äußerst Heterogenes. Man ist auf der sicheren Seite, wenn man sagt, der Mensch hat die Fähigkeit und die Möglichkeit, frei, also aus sich heraus und auf der Basis seiner eigenen Motive, zu entscheiden."


die "fähigkeit und möglichkeit" also - das relativiert als erstes mal die absolutheit, an die wir faktisch alle gewöhnt sind, wenn wir uns mit dem "freien willen" beschäftigen, v.a. dann, wenn er zur begründung von handeln oder auch nichthandeln herangezogen wird. fähigkeiten und möglichkeiten umschreiben eigentlich ein potenzial - potenziale aber brauchen bestimmte bedingungen, um real wirksam werden zu können - sie brauchen förderung, training und - in diesem speziellen fall - auch entsprechende soziale milieus.

mit der "basis der eigenen motive" führt roth allerdings meiner meinung nach durch die hintertür wieder ein konstrukt ein, zu dem es in der realität nur annährungen geben kann - die eigenen motive so weitgehend zu verstehen, wie es hier impliziert wird, setzt eine qualität der selbsterkenntnis voraus, die zumindest unter den heutigen sozialen bedingungen schier unmöglich zu leben zu sein scheint.

"Trotzdem, damit ich es wirklich einmal verstehe: Eine der großen Errungenschaften des Menschen, mit der er sich auch vom Tier unterscheidet, ist der Glaube daran, er könne sich selbstbestimmt in seinem Leben verhalten. Dass seine Bedürfnisse auch reflektorisch zu einer Entscheidung führen, die dann zu einer Handlungsweise führt. Stimmt das?

Roth: Das stimmt. Man muss aber unterscheiden, was im philosophischen und strafrechtlichen Sinne unter Willensfreiheit verstanden wird. Im Klartext: Wir fühlen uns frei, wenn wir, wie der Philosoph David Hume sagte, tun können, was wir wollen. Wenn wir einen bestimmten Willen haben, der am besten auch noch reflektiert ist, und wenn wir nach diesem Willen handeln. Das ist ein vernünftiger Begriff von Handlungsautonomie oder von Freiheit im umgangssprachlichen Sinne. Davon unterscheidet sich völlig die Fiktion, die auf Immanuel Kant zurückgeht, es gebe bei unseren Entscheidungen einen Raum, in dem das bewusste Ich frei von allen Motiven, rein nach abstrakten Überlegungen, zum Beispiel der Rechtsmoralität, entscheiden könnte."


eine sinnvolle unterscheidung, wie ich finde. wobei der definition von hume eine permanente "unschärfe" zu eigen ist, die von roth zu wenig berücksichtigt wird.

interessant aber vor allem die kritik an der fiktion von kant - hier wird, in etwas anderen worten zwar, aber doch unverkennbar, von einem konstrukt des objektivistischen modus gesprochen, der beim obigen beispiel in einer dominanten, real unmöglichen, von der körperlichen basis losgelösten position operiert. und wie hier bereits öfter erwähnt, tut er das in einem quasi virtuellen raum, der als entstehungsort faktisch aller fiktionen funktionell unverzichtbar ist. ich fühle mich in meiner ansicht bestärkt, dass den verschiedenen strömungen gerade der westlichen philosophie spätestens seit newton (siehe auch hier ) und descartes mit allergrößter skepsis zu begegnen ist - sicher, teils sind es großartige konstruktionen - aber eben auch nur das.

"Was verstehen Sie unter Motiven?

Roth: Alle Beweggründe, die aus unseren Genen, aus unserer Hirnentwicklung, aus unseren frühkindlichen Prägungen, aus unserer späteren Sozialisierung und aus der Erfahrung resultieren und in vielfältigster Form auftreten."


würde ich soweit unterscheiben, mit zwei ergänzungen: erstens sind die genetischen grundlagen des menschen in einem großen aumaß, wie heute langsam sichtbar wird, viel flexibler und sozusagen interaktiver (und zwar mit den jeweiligen sozialen bedingungen), als früher vermutet wurde - eine starre genetische determinierung gerade sozialen verhaltens lässt sich als behauptung imo nicht mehr aufrechterhalten. und zweitens ist die hirnentwicklung (zusammen auch mit der entwicklung des nervensystems) etwas, dessen grundlagen bereits pränatal gelegt werden - und pränatal können aber auch bereits (vor allem via mütterlicher einflüsse) verschiedenste störungen bis hin zu regelrechten defekten auftreten, die sich beim werdenden menschen in funktionellen oder strukturellen beeinträchtigungen zeigen - u.a. beeinträchtigungen der selbst- und weltwahrnehmung, die besonders - aber nicht nur - im "offiziellen" autistischen spektrum eine hauptrolle spielen.

"Ich hatte immer die Überzeugung, dass ich tue, was ich will.

Roth: Das ist ja auch völlig richtig. Die Auflösung dieses Paradoxons besteht darin, dass der Mensch keinen Einblick in das hat, was den Willen formt. Wir handeln einem Gefühl entsprechend. Gleichzeitig müssen aber der Psychologe, der Neurobiologe und auch der Philosoph anerkennen, dass der Wille selber zusammengesetzt ist aus unbewussten und bewussten Motiven, aus emotionalen und rationalen. Das erleben wir selbst aber nicht. Insofern ist der Wille bedingt, und zwar durch unsere gesamte Lebensgeschichte.

Warum spiegelt das Gehirn dem Menschen den Eindruck vor, er habe ein autonomes Ich? Ist das ein Schutzmechanismus?

Roth: Am Ende ja. Wenn ich nach meinen eigenen Erwartungen handele, stellt sich in mir automatisch das Gefühl der Handlungsfreiheit ein. Das ist das Erste. Das Zweite ist, ich habe als Mensch gegenüber den Tieren fast immer Handlungsoptionen, die in dem Augenblick, in dem ich über die Option reflektiere, noch nicht festgelegt sind. Was ich heute Abend tun werde, steht in diesem Augenblick noch nicht fest. Das ist sehr wichtig, weil manche Kritiker denken, da gebe es ein Gehirn, das uhrwerkartig längst entschieden hat, ehe wir darüber reflektieren. Das ist natürlich völliger Unsinn. Ich habe Optionen. Ich kann früh ins Bett gehen, ich kann ins Kino gehen, ich kann arbeiten, viele andere Dinge machen - diese realen Optionen sind ein weiteres ganz wesentliches Merkmal des Gefühls von Freiheit. Und damit ist völlig vereinbar, dass ich, wenn ich es dann tue, durch meine Motive bedingt bin."


wobei auch die als letztes erwähnten optionen eben erstmal nur das sind - möglichkeiten. ich sehe v.a. zwei einschränkungen, durch die diese möglichkeiten teils drastisch reduziert werden können: einmal sozusagen eine "interne" einschränkung, die durch krankhafte prozesse/entwicklungen im ganz allgemeinen sinne erzeugt werden kann - ein gebrochenes bein reduziert gewisse möglichkeiten, ebenso aber auch bspw. phobien und ängste.

und zum anderen entscheiden auch die sozialen bedingungen über meine (un-)möglichkeiten - und zwar gleich in zweierlei weise: zum einen können die eben erwähnten ängste eigentlich hinsichtlich ihrer ätiologien meistens nicht von diesen bedingungen getrennt werden; und anderseits hat ein millionär andere optionen zur verfügung als ein "hartzIV"-empfänger (wobei sich das bei einem phobischen millionär bspw. auch wieder relativieren kann).

das erwähnte "autonome ich" scheint mir übrigens nur ein anderes synonym für den objektivistischen modus (nach der definition von mertz) zu sein - die postulierte "autonomie" ist real unmöglich, weil wir als materielle wesen ständig in verschiedenen beziehungen und auch abhängigkeiten stecken. ich greife hier mal weit vor und behaupte, dass sich so eine art "autonomes ich" funktionell wahrscheinlich ganz zentral als reaktion auf jahrtausendealte strukturen verbreiteter gewalt begreifen lässt - eine art kollektive dissoziation im breitesten maßstab, eine bewegung weg von den (schmerzerfüllten) körpern und schmerzhaften gefühlen, hin zu den (vermeintlichen) rettungsankern in fiktiven und virtuellen räumen. es gibt dabei wahrscheinlich verschiedenen erscheinungsformen, die so eine bewegung annehmen kann - so lassen sich bspw. die verschiedenen religionen mit ihren (fiktionalen) gottheiten ebenfalls derart begreifen. in der westlichen kultur haben philosophie und wissenschaft mit ihrer impliziten körperfeindlichkeit sowie ihrem funktionellen autismus (wahrnehmungsmässig) einen anderen weg der kollektiven dissoziation aufgezeigt. möglicherweise (!) aber einen, der eine paradoxe art der selbstauflösung der allgemeinen dissoziation zumindest als option enthalten könnte.

"Aber wenn ich nicht selbstbestimmt für mein Ich entscheide, dann kann man mich auch für nichts mehr verantwortlich machen.

Roth: Das ist die große Frage, die im Augenblick sehr intensiv in der strafrechtlichen Theorie diskutiert wird. Ob es eine Verantwortung im Staatssinne ohne diese Willensfreiheit gibt. Und die Antwort ist: ja. Wir haben zwar keine absolute Verantwortlichkeit in uns, von Geburt an, irgendwo in der Großhirnrinde, wir können aber zu einer Verantwortlichkeit erzogen werden. Das heißt, wir können durch Erziehung erreichen, dass jeder Mensch verantwortlich handelt, nämlich im Rahmen von Normen, die ihm vorgegeben werden."


nochmals die implizite betonung der option der durch den sog. freien willen möglichen verantwortlichkeit also. "erziehung" sollte hier imo nicht in der klassischen form begriffen werden - letztlich muss dieser prozeß bereits bei der schaffung von angemessenen, unterstützenden und gewaltfreien lebensbedingungen (nicht nur) von schwangeren frauen beginnen. und bei einer ganz wesentlich größeren bewusstheit bezgl der motivationen eigener kinderwünsche überhaupt.

und die erwähnten (sozialen) normen können selbstverständlich nicht die heutigen sein, die bspw. von den konstrukten "eigentum" und "objektivität" einen regelrecht perversen charakter verpasst bekommen haben. auf dieses problem verweist auch die nächste frage:

Wird der Mensch dadurch nicht absolut bestimmt von denjenigen, die die Herrschaft über die jeweiligen Normen der Zeit haben?

Roth: Überhaupt nicht. Die Erziehung durch die Gesellschaft ist nur eine von mehreren Komponenten. Zunächst gibt es meine genetische Ausrichtung.

Diese ist in der Regel schwach, sie liegt bei 10 bis 15 Prozent. Der allergrößte Teil ist das, was wir als Kind und als früher Jugendlicher erfahren haben. Das verfestigt sich einmal zur Persönlichkeit im individuellen Sinne, aber auch zur Persönlichkeit im sozialen Sinne. Das legt fest, wie ich später handele. Ob ich zum Beispiel der Staatsmacht widerstehe, weil ich in einem Elternhaus aufgewachsen bin, das mir beibringt, ungerechten Maßnahmen zu widerstehen. Interessant ist, dass sich diese frühe Kindheitserfahrung im Gehirn manifestiert. Also: Was ich als Kind erlebe, dringt in mein Gehirn ein und verändert es."


yo. wieder mit der erweiterung der pränatalen phase. ansonsten finde ich die obigen aussagen sehr erfreulich in dem sinne, das endlich einmal der heutige wissenstand bezgl. der menschlichen entwicklung deutlich mit art und form der daraus resultierenden gesellschaft(-en) verbunden wird, zumindest ansatzweise (aber man(n) ist ja bereits für wenig dankbar...)

und jetzt zu einem ganz heißen eisen:

"Sollte man die Kategorie Schuld im Strafrecht abschaffen?

Roth: Nein. Es gibt ja zwei große Kategorien von Schuld. Einmal die Sühne und Vergeltungsschuld. Die ist abzuschaffen, wie der Strafrechtstheoretiker Klaus Roxin schon gefordert hat. Andere Rechtstheoretiker wie Franz von Liszt sagen, wir müssen den Schuldbegriff aus bestimmten Gründen beibehalten, aber ihn auf die General- und Spezialprävention einschränken. Also auf die Stärkung des Rechtsbewusstseins, die Abschreckung, die Therapie und das Wegsperren. Den Schuldbegriff brauchen wir aber im Sinne einer anerzogenen Verantwortung, um - so argumentiert zum Beispiel Klaus Roxin - der Strafe ein Maß zu geben. Damit der Staat zum Beispiel nicht übermäßig straft. Das ist aber ein nicht ausgearbeitetes Konzept.

Lassen Sie mich ein wenig polemisieren. Wie gehe ich mit der moralischen Bewertung und Verurteilung eines Adolf Hitler oder eines Slobodan Milosevic um, wenn ich bei einem Dieb gesagt habe, das, was dieser Täter gemacht hat, war nicht willentlich?

Roth: Es gibt etwas, das ich Schuldparadoxon genannt habe. Das Schwere im moralischen Sinne ist die Tat. Alle Untersuchungen zeigen jedoch, dass je verabscheuungswürdiger das ist, was jemand getan hat, also auch Stalin oder Hitler, desto klarer die Einsicht ist, dass die Leute nichts dafür konnten. Sie haben sich nicht freiwillig dazu entschieden, sondern sie wurden aus extrem starken Motiven dazu getrieben. Das ist bei Hitler und bei Stalin so, ebenso bei Gewalttätern und Pädophilen. Das ist sonnenklar für jeden Fachmann."


ha! endlich! endlich wird einmal begonnen, die absurde und katastrophal falsche basis der heutigen justiz zu thematisieren, ihre pseudounabhängigkeit, die pseudoobjektivität ihrer richterInnen und nicht zuletzt die durch und durch objektivistische qualität ihrer gesetze, die wie ein abstraktes raster über der gesamten gesellschaft liegen, und gerade durch ihre abstraktion in ihrer heutigen form v.a. als machtinstrument dienen.

was ich mit dem letzten satz konkret meine? "gesetze" im heutigen sinne gehen ganz zentral erstens von einer vorausgesetzten und auf alle fälle vorhandenen verantwortlichkeit von menschen aus, die jedoch - gerade unter den herrschenden sozialen bedingungen, die wiederum ganz entscheidend von unser aller traumatischen kollektiven und auch vielfach individuellen geschichte bestimmt werden, eben - und das ist meine persönliche meinung - hauptsächlich nur als option vorhanden ist. zweitens, und der punkt hängt in gewisser weise mit dem ersten zusammen: sie sind ihrem wesen nach reduktionistisch, d.h. sie berücksichtigen nicht die beziehungsrealitäten des menschen, sondern gehen faktisch von einer isolierten, vereinzelten monade aus, die primär von ihrer vernunft geleitet wird - und dazu ein set hauptsächlich negativer an"triebe" wie neid, gier usw. besitzt. und im letzteren, damit zum dritten punkt, reproduzieren sie völlig bewußtlos die traumainduzierte negative anthropologie, die sich heute überall in dieser gesellschaft beobachten lässt (achten Sie nur mal drauf, wie oft Ihnen folgende aussagen begegnen - "der mensch ist von natur aus schlecht", "ein irrläufer der evolution" usw.)

ich habe hier in der vergangenheit gerade anläßlich verschiedener prozesse gegen kindsmordende bzw. gewalttätige eltern bereits ähnliches zur justiz anzumerken gehabt - und einiges meiner damaligen kritiken kann ich jetzt wiederholen - so zb. diese:

(...)"hat der gutachter kröber mit seinen fragwürdigen einlassungen hier vielleicht bewusst geschützt und gerade deshalb unfreiwillig offenbart, was nicht öffentlich und breit bewusst werden darf und soll? das eine nüchterne rekonstruktion der ereignisse unter einschluss der transgenerationalen familiendynamiken nicht nur die kette der gewalt, sondern auch unser aller gesellschaftliches versagen, unsere quasiakzeptanz dieser kette deutlich machen würde? mussten die beiden eltern alleine schon zur aufrechterhaltung des eigentlich unhaltbaren juristischen schuldbegriffs und menschenbildes auf alle fälle voll "schuldfähig" gesprochen werden? werden damit nicht auch die deutlichen widersprüche der staatlichen und politischen propaganda, die sich familien- und besonders kinder"freundlich" gibt, zur realität von politischen entscheidungen deutlich, die durch ökonomische verelendung genau die milieubedingungen fördert, in denen offene gewalt oder stille verwahrlosung von ganzen familien bevorzugt gedeihen, unter den teppich gekehrt? genauso wie die offenkundige unfähigkeit der offiziellen psychiatrie, zustände von wahnsinn - ausgelöst durch menschliche gewalt - korrekt zu erkennen und eben nicht durch die alleinige orientierung an scheinbarer "realitätstüchtigkeit" und "objektiv" vorhandener kognitiver intelligenz komplett zu leugnen und auf eine "als-ob"-simulation hereinzufallen (genauso werden auch die vielen hitlers dieser welt aus dieser sphäre des wahnsinns ferngehalten herausdefiniert - es wäre ja auch zu gefährlich, das zu erkennen und gleichzeitig nach der inneren verfassung der den "führern" folgenden massen fragen zu müssen)? müssen deshalb auch auschwitz (bzw. das, wofür es steht) und ereignisse wie das hier thematisierte regelmäßig als "leider völlig unerklärbar" bezeichnet werden?"(...)

und der folgende auszug lässt sich nach meinem verständnis als direkte weiterführung der ausführungen von roth oben verstehen:

(...)"ich sehe aber auch eine gesellschaft, die derlei stoppschilder aus berechtigten gründen aufstellt, in der pflicht, alles nur menschenmögliche zu tun, damit situationen wie die oben dargestellte sich erst gar nicht entwickeln können - und an diesem punkt versagen wir bisher alle mehr oder weniger kollektiv, und die justizielle "lösung" des problems stellt nur den deutlichsten ausdruck dieses versagens dar. vieles kommt zusammen: eine falsche anthropologie im sinne eines absurden welt- und menschenbildes, weitgehende unkenntnis über die menschliche struktur und die notwendigen bedingungen für ihre positiv-soziale entwicklung, die weitverbreitete und unbegriffene existenz und wirkung traumatisierender bzw. trauma-folge-strukturen in fast allen gesellschaftlichen bereichen, unwissenheit und ignoranz gegnüber dem phänomen der menschlichen simulationsfähigkeiten, daraus folgend mangelhafte psychiatrische/psychologische modelle von beziehungskrankheiten usw. usf.

vor diesem hintergrund ist das ergebnis (nicht nur) dieses prozesses logisch: eine schein-/als-ob-lösung, streng nach abstrakten und objektivistischen kriterien als platzhalter für ein vorgehen, welches nicht primär den straf- und schuldgedanken, sondern das individuelle und kollektive wohlergehen möglichst aller menschen in ihrem einzigen leben im blick haben müsste."(...)


kurz: unsere ach so "rechtsstaatlich-demokratische" justiz und ihre gesetze sind im kern ganz wesentlich von einer verzerrten anthropologie geprägt, die eine im strengen sinne pathologische und wahnsinnige version des menschlichen seins für "normal" hält.

entsprechend erbarmungslos und pathologieerzeugend sieht dann auch ihre praxis aus.es bleibt immer weniger bei der frage offen, ob dieser art von justiz noch irgendeine art von berechtigung zugestanden werden soll bzw. kann. (und um mißverständnisse an dieser stelle auszuschließen: die justiz stellt nur einen gesellschaftlichen bereich dar, in dem ganz grundsätzlich etwas falsch läuft).

weiter im interview:

"Wie soll eine Gesellschaft mit solchen Menschen künftig umgehen?

Roth: Es wird ja überhaupt nichts im weiteren Sinne entschuldigt. Sondern es geht darum, dass dieser Sühne- und Vergeltungsschuldbegriff inhuman ist. Er sinnt nämlich auf Rache. Dazu eine kurze historische Betrachtung: Früher wurde es als persönliches Verschulden angesehen, wenn man in Armut geriet oder krank wurde. Man war persönlich schuldig. Heute haben wir uns davon befreit - so wie von der Selbstjustiz. Aber vor 150 Jahren wollte kaum jemand anerkennen, dass Krankheiten durch Bakterien und Viren verursacht werden und nicht durch göttliche Fügung. Es wurde gesagt, es werde schon was dran sein, weshalb der oder die schwer krank geworden sei. Das ist ein Lernprozess. Ich behaupte, dieser Vergeltungs- und Sühneschuldbegriff ist inhuman. Der Therapiegedanke, der Besserungsgedanke wird dadurch nachweislich abgeschafft."


der vorletzte satz trifft es haargenau. und ich finde neben anderem v.a. immer wieder die heuchelei dieser gesellschaft extrem widerlich, die sich im falschen glanz ihrer fetische "rationalität" und "vernunft" sonnt, um dann in den entscheidenden momenten deutlich zu machen, dass es sich dabei um abgehobene konstrukte handelt - und dann folglich in der verdrängten, verleugneten, abgespaltenen und (zumindest in europa) tabuisierten ebene verzerrter und bösartig gewordener gefühle wie rache zu landen.

"Ist ein Mensch wie Hitler im hirnbiologischen Erkenntnisprozess therapierbar?

Roth: Eine völlig offene Frage. Schwerverbrecher und Mörder haben alle schwerste Hirnschäden im Stirnbereich, das belegen Untersuchungen. Es gibt aber eine ganze Reihe von Leuten, die auch solche Schäden haben und nicht kriminell geworden sind. Man vermutet, dass das Gehirn, durch verschiedene Umstände begünstigt, die Möglichkeit hat, das zu reparieren, ob nun organisch oder durch eine sehr frühe Therapie.

Überträgt man Ihre naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf die geisteswissenschaftliche Ebene, dann stellt sich bei Hitler der Offenbarungseid jeder Moraltheorie ein.

Roth: Das ist nicht richtig. Wenn es eine Moral gibt, die das, was Hitler getan hat, für verabscheuungswürdig hält, weil es das friedliche Zusammenleben der Menschen und das Glück des Einzelnen völlig zerstört, dann muss man untersuchen, ab wann solche psychopathologischen Entwicklungen einsetzen. Und die Erkenntnis lautet, sehr früh, bereits im Alter von vier oder fünf Jahren. Schon ein kleiner Junge, der sich so und so auf dem Schulhof verhält, ist höchst gefährdet, ein späterer Gewalttäter zu werden. Das ist nicht sicher, aber die Gefährdung ist sehr hoch. Und die Moral setzt genau dort an. Dass man beschließt, das müssen wir vermeiden, weil der Junge nämlich sonst das friedliche und glückliche Zusammenleben in der Gesellschaft stören würde."


was roth im letzten absatz ausspricht, ist und bleibt für mich unter den heutigen (!) gesellschaftlichen bedingungen und machtverhältnissen eine extrem zwiespältige angelegenheit - auch, wenn ich neue formen der prophylaxe und früherkennung von antisozialen tendenzen grundsätzlich befürworte - allerdings ausdrücklich unter einschluß derjenigen schichten, die sich heute als sog. eliten begreifen.

und das ich von "moral" in den hier diskutierten zusammenhängen nicht viel halte, lässt sich z.t. hier nachlesen. das vorhandensein von moral - d.h. abstrahierten handlungsanweisungen - innerhalb einer gesellschaft bleibt für mich weiter eher als indiz für grundsätzlich gestörte kollektive und individuelle selbstregulation bestehen.

"Die Gesellschaft kann doch die frühkindliche Entwicklung kaum beeinflussen. Sie vollzieht sich in den Familien.

Roth: Das ist eben die Tragik. Wir haben eine moralische Vorstellung von der Familie, dass sie eben das tun kann, was sie will. Aber wenn wir verhindern wollen, dass etwa fünf Prozent der Jungen schwer gewaltbereit werden, dann müssen wir dieses Tabu brechen. Und das wird ja auch äußerst erfolgreich von Kolleginnen und Kollegen von mir bei der frühkindlichen Therapie gemacht. Gerade wenn wir erkennen, dass Menschen moralisch gefährdet sind, hat die Gesellschaft die Verpflichtung, einzugreifen. Und dabei gilt: Je später man eingreift, umso weniger wirksam ist es."


auch das unterschreibe ich, aber mit einer gewaltigen einschränkung: wieder können unter den heutigen machtverhältnissen die nötigen veränderungen und auch eventuelle eingriffe in dysfunktionale familien eigentlich nicht stattfinden, ohne sofort die gefahr extrem destruktiver nutzung seitens der herrschenden eliten hervorzurufen.

"Lassen Sie mich noch einmal zum Ausgangspunkt zurückkommen. Mit Descartes entstand die Hoffnung des Denkens und mit Kant die Vernunft als Mittelpunkt des Seins. War das alles nur eine Illusion?

Roth: Ja, es war Illusion für jeden Menschenkenner seit 200 000 Jahren. Alle großen Denker haben immer gewusst, dass das eine Illusion ist. Es war eine verständliche Illusion, vielleicht sogar eine staatsnotwendige Illusion. Aber es war eine Illusion. Jeder Politiker mit Menschenkenntnis weiß, dass Rationalität sehr wichtig ist, dass man aber am besten nicht allein auf sie baut. Alle Eltern mit mehr als einem Kind wissen, dass vom Temperament, also vom Kern der Persönlichkeit her, die Kinder so bleiben, wie sie bei der Geburt sind. Gerade bei Kant ist es wunderschön zu sehen. Wenn Kant selber sagt, niemand könne sich vorstellen, wie dieser freie Wille funktionieren soll. Kant meinte eben, es müsse so sein, weil sonst moralisches Handeln nicht möglich wäre. Ich und viele andere sagen nun: Wenn wir die Verabscheuungswürdigkeit von Taten trennen von dem abstrakten Willen, dann können wir unseren moralischen Anspruch aufrechterhalten."


yo. wie schön, das zu lesen: diese gesellschaft, nein sogar die "kultur", in der sie verankert ist, ist in ihren selbstvorstellungen und ihrem weltbild bei realistischer betrachtung, d.h. unter berücksichtigung einer annährend korrekten anthropologie, auf sand gebaut - auf objektivistische fiktionen, illusionen - letztlich also einen bereich, dem ebenso die übelsten psychotischen individuellen wie auch kollektiven wahnvorstellungen entspringen, in deren offene formen ja die "normalen" illusionen auch immer wieder kippen - vielleicht das deutlichste beispiel dafür ist bis heute der nationalsozialismus. das roth das als "vielleicht sogar staatsnotwendige illusionen" bezeichnet, stellt - wenn auch vielleicht ungewollt - eine sehr wahre aussage über unsere situation dar.

"Woher nimmt man die Legitimation, bestimmte Normen für eine Gesellschaft festzulegen und andere nicht auch zu respektieren?

Roth: Darauf kann man eine klare Antwort geben. Ein ganz kleiner Teil unserer Normen liegt bereits in unseren Genen. Wir bringen zum Beispiel unsere Eltern nicht um. Wir schaden unseren nächsten Verwandten in aller Regel nicht. Aber im Tierreich gibt es Mord und Totschlag und beim Menschen eben auch. Ich behaupte, die Mehrzahl der Menschen folgt einer Art Steinzeitmenschen-Code, der während der frühen psychosozialen Erfahrung festgelegt wird und uns bestimmte Dinge tun lässt. Es gibt kein weiteres Gewissen. Nehmen Sie einen Jungen, der in Bogotá aufwächst, wo ich eine Zeit lebte. Der wird einen Menschen wegen eines Dollars umbringen und nicht die geringste Reue dabei empfinden. Weil er gelernt hat, wenn ich das nicht tue, dann sterbe ich. Der Straßenjunge bringt zwar nicht seinen Vater um. Aber ein Nichtverwandter bedeutet ihm nichts.

Ist das die Steinzeitkultur?

Roth: Ja. Wenn ein Fremder kommt und sich nähert, muss man ihn erschlagen. Das ist moralisch gut, moralisch geboten. In der Steinzeit war es nämlich so: Wenn einer kam, wollte er mein Kind, meine Frau und mein Vieh wegnehmen. Skrupel hatte man nur gegenüber Verwandten. Und dieser Junge in Bogotá, wenn der einen Touristen umbringt, warum sollte das aus seiner Sicht verwerflich sein? Im Gegenteil, es ist ja ganz toll, er bekommt dadurch einen Dollar oder eine goldene Uhr. Hier sieht man, es gibt nachweislich keine Moral jenseits dieser schwachen genetisch verankerten Moral. Das heißt, was wir uns an weitergehender Moral erworben haben, entstand nur durch in Tausenden von Jahren bitter bezahlte Einsichten. Dass es Regeln gibt, wie Menschen zusammenleben, und dass man sie tunlichst beachten sollte."


einspruch: roth vergisst hier u.a. schlicht die erkenntnisse der heutigen psychotraumatologie. der "junge in bogotá" nämlich stammt aller wahrscheinlichkeit nach aus einem milieu, welches voll von gewalt ist - und zwar akzeptierter und gewohnheitsmässiger gewalt. wie sind die sozialen fähigkeiten der eltern? wie sieht es mit den verschiedenen möglichen deprivationen durch bitterste armut aus? was spielt ein gewalttätiger staat (und als solches lässt sich das heutige kolumbien durchaus bezeichnen) für eine rolle, in dem übergriffe des militärs und folter zur "normalität" gehören? todesschwadronen? und dazu die offen mafiösen strukturen der diversen narco-kartelle?

ich brauche keine "steinzeitkultur" zu bemühen, um selbst eine negative genetische determinierung anzunehmen - wenn nämlich diese traumatischen gewaltformen wie die obigen über generationen vorhanden sind, dann steigt die wahrscheinlichkeit entsprechender genetischer "anpassungen" zwecks bloßen überlebens rapide an. und von den sonstigen anzunehmenden negativen psychophysischen prägungen durch extrem negative und destruktive lebensbedingungen brauchen wir erst gar nicht anzufangen. kurz: ich halte den "steinzeitmenschen-code" im wesentlichen für ein mehr oder weniger unbewusstes entlastungskonstrukt. wer und was hier entlastet werden soll, muss ich hoffentlich nicht noch extra erwähnen.

im nächsten absatz widerspricht er sich diesbezgl. meiner meinung nach selbst:

"Glauben Sie an die Vision eines friedlichen, guten Menschen im Sinne dieser Moral?

Roth: Ja, natürlich. Wenn Menschen ein stabiles Selbstwertgefühl besitzen und ein gutes Frustrationstoleranzsystem, eine stabile Mutter-Kind-Beziehung hatten und eine günstige psychosoziale Umwelt, dann sind sie empfänglich für die Normen der Gesellschaft. Das ist die große Chance, die wir haben. Und deshalb sind ja auch 95 Prozent der Menschen friedlich und bringen sich nicht um. Es sind fünf Prozent, die aus physiologischen Gründen oder wegen früher Traumatisierungen eben so sind, wie sie sind. Und bei Stalin, Hitler und anderen ist das ja auch aus den Biografien erklärbar."


also, es geht auch ohne "steinzeit-code" - genau die benannten bedingungen sind eben beim jungen aus bogotá nur rudimentär bis gar nicht vorhanden.

ich befürchte allerdings, dass die "fünf prozent" eine gewaltige fehleinschätzung darstellen.

"Sie beschreiben etwas, das in der Wissenschaft seit Jahrzehnten diskutiert wird. Was ist das Neue an diesen Erkenntnissen?

Roth: Das Neue an den Erkenntnissen meiner Zunft ist, dass man Dinge empirisch experimentell nachweisen kann. Also die Frage, ob frühkindliche Erfahrungen wirklich den Einfluss haben, den Freud und andere ihnen unterstellt haben. Das war bis vor Kurzem nicht überprüfbar. Die Antwort heißt nun: Es gibt diese Einflüsse, aber in komplizierter Wechselwirkung mit den Genen, mit der Hirnentwicklung und mit der späteren psychosozialen Verhaltensweise. Auch die alte Frage "Ist der Mensch eher durch seine Gene oder durch die Gesellschaft determiniert?" galt bis vor Kurzem als unentscheidbar. Heute können wir eine sehr befriedigende Antwort darauf geben, rein empirisch experimentell. Wir können nachweisen, wie die Gene das Verhalten bestimmen, wie die Mutter-Kind-Beziehung ins Gehirn eingreift - schon vor der Geburt. Und wie zum Beispiel die Tatsache, dass ich als Kind selbst Opfer von Gewalt wurde, mein Gehirn negativ verändert. Es gibt Tausende von Untersuchungen, die belegen: Menschen sind durch ihre frühe psychosoziale Erfahrung extrem beeinflusst. Man kann es im Gehirn zeigen."


und das obige sollten, nein sogar müssen wir uns allesamt hinter die ohren schreiben! genau hier liegt ein wesentlicher teil der basis, ohne die zukünftig keinerlei positive soziale entwicklung konzipiert und durchgeführt werden kann.

"Ist eigentlich die Institution Gefängnis nach dem, wie Sie Schuld, Schuldfähigkeit, Schuldbewusstsein und freien Willen definieren, überhaupt noch zeitgemäß?

Roth: Alle Experten, mit denen ich zu tun habe, sagen: nein. Durch das Gefängnis wird der erste Teil des Schuld- und Strafbegriffs bedient, nämlich Vergeltung und Sühne. Und der genauso wichtige Begriff der General- und Spezialprävention, also des Vorbeugens weiterer Taten, wird sehr niedrig gehandelt aus vielerlei Gründen, weil es unglaublich viel kostet und weil viele Dinge noch gar nicht untersucht sind. Das wird von vielen Strafrechtstheoretikern, Strafrechtlern und auch Kriminologen beklagt."(...)


und dem bleibt aus meiner sicht nur noch hinzuzufügen, dass gefängnisse nicht umsonst das synonym "schule des verbrechens" tragen - hier wird (im drittletzten absatz von unten) ein sehr eindrückliches beispiel dafür beschrieben. dafür werden u.a. Ihre steuern benutzt, neben der finanzierung von all dem anderen destruktiven zeug wie den sog. sicherheitsorganen, militär, fragwürdiger großtechnologie undundund...

*

ob die "welt" wohl weiß, was sie da eigentlich veröffentlicht hat?

Montag, 24. Juli 2006

assoziation: zu den kriegen/konflikten im nahen und mittleren osten (2)

in anbetracht der tatsache, dass derzeit das thema der kriege und konflikte im nahen und auch mittleren osten wieder einmal größere aufmerksamkeit erfährt, nun eher spontan der zweite beitrag einer kleinen reihe (diejenigen, die vielleicht auf den angekündigten beitrag zum "party-patriotismus" anläßlich der vergangenen wm warten, möchte ich um geduld bitten - der wird noch kommen).

ich muß dabei ehrlich gestehen, dass es mich regelrecht überwindung kostet, mich an das knäuel von ineinander verschlungenen dynamiken zu wagen, die sowohl den israelisch-palästinensischen als auch den umfassenderen sog. westlich-islamistischen konflikt kennzeichnen. mein überdruß rührt dabei vor allem aus der hemmungslosen instrumentalisierung der realen - vergangenen und aktuellen - opfer her, die sich sowohl bei allen direkt beteiligten seiten als auch bei denen finden lässt, die sich - aus eigenen und durchaus fragwürdigen motiven, wie ich finde - in diesen konflikten gerade in d-land unbedingt positionieren wollen.

ich kann in den folgenden beiträgen lediglich fragmente darstellen, die allerdings aus meiner sicht primäre bedeutung haben. nicht zuletzt geht es auch um den versuch, eine einigermaßen realistische wahrnehmung zu erlangen, die von den involvierten menschen und den sie bestimmenden psychophysischen zuständen ausgeht - und nicht von irgendwelchen relativ beliebigen und teils auch austauschbaren "politischen" bzw. ideologischen konstruktionen.

*

welche macht die im letzten beitrag angesprochene traumatische vergangenheit der shoa bis in die israelische gegenwart herein hat - und wie sie gleichzeitig, neben ihren realen psychophysischen folgen selbst noch bei den kindern der zweiten und dritten generation der überlebenden, für aktuelle zwecke instrumentalisiert wird - zeigt ein schon älterer artikel aus der taz, geschrieben von idith zertal - "...lebt als Historikerin und Publizistin in Tel Aviv. Sie unterrichtet Geschichte und Kulturwissenschaften am Interdisciplinary Centre Herzliya und der Hebräischen Universität Jerusalem."(...).

zertal argumentiert dabei ohne direkten rückgriff auf die heute vorliegenden verschiedenen modelle bzw. diagnostischen konstruktionen aus der psychotraumatologie, ist aber quasi durch die natur ihres gegenstands immer wieder gezwungen, sich mit den traumatischen folgen aus einer eher konventionellen historischen perspektive auseinanderzusetzen. daraus ergeben sich nach meinem verständnis einige lücken in ihrer beschreibung, die aber nichtsdestotrotz sehr lesenswert ist - auszüge:

(...)"Die Shoah und ihre Millionen Toten sind in Israel vom Tag der Gründung an allgegenwärtig gewesen, und die Verbindung dieser zwei Ereignisse bleibt unauflöslich. Die Shoah war dabei in der Sprache der israelischen Gesellschaft ebenso präsent wie in ihrem Schweigen, im Leben und in den Albträumen von Hunderttausenden von Überlebenden, die sich in Israel niedergelassen haben, ebenso wie in der himmelschreienden Abwesenheit der Opfer; in Gesetzgebung, Reden, Feierlichkeiten, Gerichtssälen, Schulen, in der Presse, in der Dichtung, auf Grabsteinen, Monumenten, Gedenkbüchern.

Die israelische Gesellschaft hat sich im Lauf der Jahre in einem dialektischen Prozess von Aneignung und Ausschluss, von Erinnern und Vergessen in ihrer Beziehung zur Shoah definiert: Sie vertrat zugleich das Erbe und die Anklage der Opfer, stand für ihre Sünden und Verfehlungen ein und sühnte ihren Tod. Die metaphorische Erteilung der Staatsbürgerschaft an die sechs Millionen ermordeten Juden in den Anfangstagen des Staates und ihre symbolische Integration in den politischen Korpus Israels zeigte diese historische, materielle und psychologische Gegenwart in der israelischen Gemeinschaft.

Die Opfer der Shoah wurden, den Umständen von Ort und Zeit entsprechend, wieder und wieder ins Leben zurückgerufen und zu einer zentralen Größe in der politischen Debatte in Israel, speziell im Zusammenhang mit dem israelisch-arabischen Konflikt und besonders in Momenten der Krise und des politischen Flächenbrands, genauer gesagt in Kriegszeiten. Es hat von 1948 bis zum aktuellen Gewaltausbruch, der im Oktober 2000 begann, keinen Krieg in Israel gegeben, der nicht unter Bezug auf die Shoah wahrgenommen, definiert und konzeptualisiert worden wäre.

Diese Maßnahme, die ursprünglich, vor mehr als einem halben Jahrhundert, relativ entschlossen und auf das Ziel konzentriert war, Macht und Machtbewusstsein Israels aus der totalen jüdischen Machtlosigkeit zu erschaffen, wurde im Laufe der Zeit, als die historische Situation Israels sich durch Zeit und Umstände zunehmend von der Shoah entfernte, zu einem vollständig entwerteten Klischee. Auschwitz als die Verkörperung des absoluten, ultimativen Bösen wurde und wird immer noch in allen Militär- und Sicherheitsangelegenheiten sowie politischen Zwangslagen beschworen, die die israelische Gesellschaft nicht in Angriff zu nehmen, zu lösen und zu bezahlen bereit ist, wodurch sich Israel in eine ahistorische und apolitische Grauzone verwandelt hat, in der Auschwitz nicht ein vergangenes Ereignis ist, sondern drohende Gegenwart und ständige Möglichkeit."(...)


besonders im letzten satz sind - wie gesagt, ohne das es die autorin so explizit geäußert hätte, wie´s eigentlich nötig wäre - ganz deutlich einige der typischen eigenschaften skizziert, wie sie individuell bei diagnostiziertem ptbs beobachtet werden können, aber eben auch in kollektiven strukturell vorhanden sind. das "ahistorische" verweist auf die erwähnte traumatypische veränderte zeitwahrnehmung, in der das eigentliche traumatische erlebnis bereits jahrzehnte zurückliegen kann, aber quasi "eingefroren" - und zwar im moment der entstehung - in sowohl "aktueller" als auch abgespaltener form vorliegt (in modifizierter form kann das übrigens auch bei den kindern der betroffenen der fall sein - in solchen fällen wird heute von tradierten bzw. intergenerationellen traumata gesprochen, und derartiges wurde imo tatsächlich zuerst an den kindern aus familien von überlebenden der shoa registriert.)

und u.a. genau aus letzteren eigenschaften heraus kann ein trauma bzw. das auslösende ereignis in der vergangenheit deshalb sowohl "drohende Gegenwart und ständige Möglichkeit" sein. nicht viel anders als bspw. bei vergewaltigten frauen, bei denen es - wenn denn die gewalttat aus der normalen erinnerungsverarbeitung abgespalten ist bzw. aus was für günden auch immer nicht bearbeitet werden konnte/sollte/durfte - im extremfall nur eines vielleicht ganz unscheinbaren triggers bedarf, um sie quasi wie in einem zeitsprung in die ursprügliche situation der vergewaltigung zu versetzen. das kann ein geruch bewirken, ein bestimmtes kleidungsstück, vielleicht auch eine sprechweise - einfach alles, was an die traumatische situation bzw. den täter erinnert, kann potenziell die "verkapselten" neuronalen netzwerke, in denen die entsprechende erinnerung gespeichert ist, aktivieren - mit dem ergebnis des gefürchteten flashbacks. das muss sich nicht bei allen traumabetroffenen so abspielen, ist jedoch bereits so oft beobachtet und untersucht worden, dass mittlerweile auch die beteiligten neurophysiologischen prozesse zumindest grob skizziert werden können.

nun lassen sich individuelle strukturen nicht eins zu eins auf kollektive übertragen - diesen einwand teile ich weitgehend. wenn aber innerhalb eines kollektives genügend individuen mit ähnlichen erfahrungen vorhanden sind - und im falle von psychotraumata müssen i.d.r. auch die sozialen netzwerke und umfelder der opfer als in gewisser weise ebenfalls betroffen angesehen werden, weil es u.a. zu komplexen kommunikativen interaktionen mit stark verzerrten inhalten kommen kann -, dann darf davon ausgegangen werden, dass die traumaspezifische erfahrung in verschiedenen und nicht immer auf anhieb erkennbaren formen beginnt, das leben und das selbstverständnis des gesamten kollektivs zu beeinflussen, wenn nicht gar zu prägen - und das natürlich meistens negativ.

"Die Übertragung der Situation, in der die Shoah stattfand, auf die Realität im Nahen Osten, welche - so rau und feindselig sie auch war - eine vollkommen andere war, hat nicht nur ein fälschliches Gefühl einer bevorstehenden und stets präsenten Gefahr der Massenvernichtung erzeugt. Sie hat auch das Bild der Shoah erheblich verzerrt, das Ausmaß der von den Nazis begangenen Gräueltaten verharmlost, das beispiellose Leiden der Opfer und der Überlebenden trivialisiert und die Araber und ihre Anführer vollkommen dämonisiert. Darüber hinaus ist Israel, während es zu Recht auf dem singulären Charakter der Shoah in einer Epoche des Genozids und der großen menschlichen Katastrophen bestanden hat, wegen seiner alltäglichen und kontextlosen Verwendung der Shoah zu einem erstrangigen Beispiel für die Entwertung der Bedeutung und der Ungeheuerlichkeit der Shoah geworden - ein Phänomen, das Elemente einer anderen, paradoxen und tragischen Art der Holocaustleugnung enthält."(...)

jein. hier finde ich einige beispiele für die oben erwähnten lücken, die sich aus dem mangelndem verständnis der autorin für die eigenarten einer traumabeeinflussten wahrnehmung ergeben. das "fälschliche Gefühl" ist in der selbstwahrnehmung der betroffenen eben nicht fälschlich, sondern beruht u.a. auf der ständigen unterbewußten - und in einem gewissen sinne realen - präsenz der drohenden gefahr. die in dieser form der wahrnehmung keinesfalls gebannt ist, und auch nicht "realistisch" - nach "objektiven" normen - eingeschätzt werden kann. das ist das eine. zum anderen, wenn ich mal in der traumaperspektive bleibe, sind etliche offizielle äußerungen - von den kriegerischen bzw. terroristischen handlungen gar nicht zu reden - der jeweiligen gegner israels in der arabischen welt als monströseste trigger anzusehen, wie zb. die mehr oder weniger offene drohung, den staat israel (sinngemäß) von der landkarte zu löschen.

solche und ähnliche drohungen gegenüber einem kollektiv, welches in seinem selbstverständnis massiv von einem der traumatischten ereignisse der menschlichen geschichte geprägt ist, und von dem eine nicht unbeträchtliche zahl seiner mitglieder dergestalt beeinflusst worden ist, alles zu tun, um nie wieder opfer zu werden - vergleichen Sie das einmal mit dem individuell bezogenen beispiel einer vergewaltigten frau, der gegenüber ein ignoranter (aus welchen gründen auch immer) mann massiv in wort und tat übergriffig wird - im extremfall kann das für den mann tödlich enden. und das wäre eine dynamik, die zumindest ich ein ganzes stück weit verstehen kann - ohne das ich sie akzeptieren muss. wer in diesem blog regelmäßig liest, wird sich sicher die vielen inzwischen angesammelten prozeßberichte vor augen rufen können, in denen es in deprimierender regelmäßigkeit zur feststellung massiver persönlichkeitsstörungen und/oder traumatisierender einflüsse in der biographie der täter kommt - und genau diese art von verständnis einer belegbaren täter-opfer-dialektik ist imo unverzichtbar, um nicht nur die konflikte im nahen/mittleren osten zu begreifen.

und dieses begreifen wäre auch für die israelische gesellschaft in vielfältiger hinsicht wichtig. denn auch die bevölkerung vieler islamischer länder ist massiv traumatisierenden bedingungen ausgesetzt, deren folgen im falle derjenigen, die direkt in den konflikt mit israel involviert sind, zusammen mit der gerade skizzierten innerisraelischen dynamik zu unglaublich destruktiven aktionen führen können - und bekanntlich auch führen.

zu diesem aspekt mehr im nächsten beitrag dieser reihe, der allerdings vermutlich erst am wochenende zu lesen sein wird.

*

mehr zum thema trauma, gerade im kontext "krieg", auch z.b. hier und hier.

Sonntag, 9. Juli 2006

assoziation: "Wir brauchen einen Rausch" - wm-spezial (update)

"Es reicht langsam. Es gibt ein ukrainisches Sprichwort, das heißt: `Wenn die Fahnen fliegen, ist der Verstand in der Trompete.' Wir haben den Zustand, dass uns der Verstand verloren geht, bald erreicht.(...)"

(das stammt - erstaunlicherweise - von heiner geißler )

“Die Weltmeisterschaft ist von der Sorte Partydroge, die sich herrschende Koksnasen am liebsten einwerfen. In der Schnee- und Schampussphäre dröhnt man sich besonders gern völlig zu, glaubt man die Bevölkerung in betäubten Zustand gebracht.“

(quelle)

***
so. da den unerfreulichen begleiterscheinungen eines sportlichen events in form von täglich anschwellendem und teils strunzdummen massenmedialem geblöke alá “wir-sind-jetzt-alle-deutschland-und-fühlen-uns-so-wahnsinnig-geil-dabei-und-wer-dabei-nicht-mitmacht-ist-ein-miesmacher“ sowie den symptomen einer größere bevölkerungsteile befallenen trance in form einer us-amerikanische ausmaße erreichenden optischen verschandelung des öffentlichen raumes mittels sog. nationalfarben nicht zu entgehen ist, gibt es nun doch ein wm-special - und ich werde mich bemühen, den beitrag so zu gestalten, das vielleicht auch diejenigen zum lesen animiert werden, die ansonsten auch außerhalb von wm-zeiten mit fußball nichts anfangen können - bei einem derart in der sozialen realität präsenten phänomen lohnt sich das genaue hinschauen.

aus der perspektive dieses blogs sind dabei zwei seiten besonders interessant: einmal die wiederspiegelung allgemein verobjektivierender / verdinglichender tendenzen im durchkapitalisierten profifußball, zum anderen der sog. "patriotismus" als begleiterscheinung der wm. dementsprechend wird es zwei teile geben, sonst wird es einfach zu lang. ich fange an mit dem geschäft fußball.

***

1.
ich hatte es ja schon anklingen lassen, dass ich selbst durchaus ein gutes match zu schätzen weiß, mit vergnügen guten offensiv- und one-touch-fußball betrachte (wie er in den letzten jahren v.a. von werder bremen gespielt wird), und bspw. bei einem zinedine zidane in seinen besten zeiten durchaus künstlerische und ästhetische qualitäten wahrgenommen habe. als junge habe ich eine zeit selbst in einem verein gekickt, und es gab damals und auch noch in späteren jahren durchaus eine art fantum im klassischen sinne für mich, einerseits für den lokalen kleinstadtverein mit regelmäßigen stadionbesuchen, andererseits für einen lieblingsbundesligisten. im laufe der jahre veränderten sich die prioritäten, und fußball wurde phasenweise völlig unwichtig - auch bedingt durch eine intensive beschäftigung mit dem thema „mann(sein)“, welches für eine größere emotionale distanz zu den „klassischen“ begleiterscheinungen dieses in der vergangenheit eindeutig „männlich“ codierten sports sorgte (diese eindeutige codierung besteht imo heute nicht mehr in der form wie bspw. noch vor zwanzig jahren, zu diesem punkt später mehr).

2.
fußball kann in seinen besten momenten eine art von entertainment darstellen, die ich persönlich nutzen kann, um bspw. meinen kopf wieder freizubekommen - eine art auszeit, wenn die zumutungen dieser welt - besser: vieler ihrer menschen - mal wieder bis an den rand des erträglichen gegangen sind. eine spielerisch geregelte und körperbetonte form des auslebens von aggressivität, deren wichtigste funktion in der aktuellen realität u.a. darin besteht, eine art von emotionalem mehrwert zu schaffen - das gilt zwar auch für die spieler, aber auf eine etwas andere art und weise primär für das publikum.

damit ist die zwiespältigkeit des fußballs auch schon benannt: er dient einerseits zur ablenkung und kompensation, ist damit systemstabilisierend - und andererseits lässt sich ebenso eine art zivilisierende komponente - unter und mittels kapitalistischer bedingungen - finden, die klaus theweleit in seinem buch schön beschrieben hat:

theweleit

“Fußball ist Krieg“ ist ein Satz, der Rinus Michels (ehemaliger trainer, anmerk. mo) zugeschrieben wird; zu Recht oder zu Unrecht. Als Autor der `Männerphantasien´, der sich zum „Körper des soldatischen Mannes“ geäußert hat, bin ich oft gefragt worden, ob Fußball als im Kern reiner Männersport, als Männerkampfsport, nicht unterm Gesichtspunkt „Körperertüchtigung (verdeckt) soldatischer Männer“ betrachtet werden muss; als eine Art Militärersatz also, dessen unausgesprochenes Ziel immer auch die fortdauernde Militarisierung der Gesellschaft sei, zumindest auf der Ebene fortdauernden Konkurrenz- und Hahnenkampfgehabes . Die Antwort, die in der Regel von mir erwartet wurde, sollte lauten: „Ja, so ist es“. Um zur Bestätigung „Hab ich doch immer gesagt“ zu führen.

Ganz auszuschließen ist ein solcher Anteil am konkurrierenden Bolzgehabe in der Tat nicht. Die „gewünschte Antwort“ habe ich dennoch eher verweigert. Zwar hat es Trainer gegeben, die Fußball genau unter solchen Gesichtspunkten betrieben haben. (...) Ein militärischer oder zumindest martialischer Überhang besonders im „Fußball alter Schule“ war zweifellos gegeben. Und nicht nur im deutschen Fußball. Der Torhüter Lars Leese („ronald reng“, anmerk. mo), der eine Weile in England gespielt hat, beschreibt in
Der Traumhüter die Situation „Kabine“ nach einem Wochenendsieg mit den Worten: „Fußball ist eine Macho-Welt. Montagmorgens bei uns in der Umkleidekabine hättest du das Guinness-Buch der Rekorde neu schreiben können: Jeder war der Größte, jeder hatte am Wochenende 125 Bier getrunken und 99 Frauen weggehauen.“
Das ist sicher eine Form von Krieg; aber eine Form, die heute nicht mehr an erster Stelle gefördert wird, wenn ich mir die Spiel- und Lebensbedingungen in den Fußballinternaten heitiger Profivereine anschaue.

Es gibt andere Tendenzen und Entwicklungen auf den „artistischeren“ Seiten des Spiels, die es nahe legen, Fußball nicht als „Krieg“ zu sehen. Um dies zu beschreiben, braucht man nicht einmal unbedingt die Selbstverständlichkeiten anzuführen, die Kriege von Spielen unterscheiden: den überwachten Kanon des Fair Play, die Anwesenheit von Schiedsrichtern, während der Terror des Krieges prinzipiell schiedsrichterlos läuft. Was tut Fußball? Er organisiert einen Kampf; Kämpfe um die Herrschaft über ein bestimmtes Stückchen Erde - also genau das, worum Staaten Kriege führen. Er gibt dazu allerdings beiden Parteien
ein und dasselbe Spielgerät in die Arena, den Ball. Dieses Spielgerät darf nicht zerstört werden. Sonst wird das Spiel unterbrochen oder abgebrochen. Dies ist der entscheidende Schritt zur unkriegerischen Lösung des angesagten Kampfes. Beide Mannschaften kämpfen auch - ob ihnen dies bewusst ist oder nicht - für die Unversehrtheit des Balles. Am Grunde des Spiels liegt für alle ihre Liebe zum Ball. Theo Stemmler schreibt in seiner „Kleinen Geschichte des Fußballspiels“ über „Kemari“, die japanische frühe Variante des Fußballs: „Es wird in spielerischem Ritual versucht, den Ball (= die Sonne) vor dem Herabfallen (= dem Untergehen) zu bewahren.“ Das hat van Gogh ähnlich gesehen, wenn er Sterne klar als rollende Bälle malt. Spiritualisierte Feuerbälle, die man rotierend in der Luft halten muss. Und: Man ist auf die gegnerische Mannschaft angewiesen, sonst gibt es kein Spiel. Krieg dagegen führen Staaten auch ganz gern gegen nicht vorhandene Gegentruppen.

Wenn so die einen sagen, Fußball militarisiere, kann mit gleichem Recht geantwortet werden, Fußball zivilisiere kriegerische Potenziale. Als Kampfsport ist er in genau dieser Weise ambivalent und kann in seiner Ausübung sowohl in die eine wie in die andere Richtung angelegt werden. Von einem Standpunkt aus, der absolut pazifiertes Körperverhalten als Voraussetzung der Zivilisiertheit ansieht, ist Fußball „brutal“: 22 durchtrainierte Körper ochsen full power aufeinander los, um sich dieses Ding abzujagen. Wenn das zufällig fünf Minuten lang elegant aussieht, reden großspurige Fußball-Ideologen gleich von Tanz und „Ballett“.

So kann man - abschätzig - sprechen. Wer andererseits einen bestimmten Pegel körperlicher Gewalt in der Gesellschaft als gegeben annimmt, der seinen Ausdruck und seine Betätigungsfelder sucht, kann Fußball geradezu als eins der bedeutensten Mittel benennen, an der Zivilisierung dieser Gewaltpotenziale mitzuwirken. Exakter gesagt: 95% der Zuschauer in den Stadien bekämpfen Wochenende für Wochenende erfolgreich den eigenen Hooliganismus. Als Möglichkeit liegt er in ihnen wie in den manifesten Hooligans auch. Aber mit Hilfe von Zivilisierungsformeln wie: „Die andern können auch Fußball spielen“..“Es kann nicht zwei Sieger geben“...“Es geht nicht immer gerecht zu auf der Welt, aber meistens gleicht sich das aus“ (naja, anmerk. mo) wird das Kriegerische in Spielern wie Zuschauern ständig heruntergefahren. Während „Krieg“ ja heißt, so lange auf den Feind einzuschlagen oder einzuwirken, bis er sich nicht mehr rührt. (...)

(klaus theweleit, „tor zur welt. fußball als realitätsmodell“; kiepenheuer & witsch; köln 2004; isbn 3-462-03393-X; s. 94 - 96)


im weiteren verlauf argumentiert theweleit u.a. auch mit dem interesse der vereine, ihr - und hier passt dieser scheußliche begriff besonders, darum führe ich ihn an - humankapital in form besonders teurer spieler vor verletzungen schützen zu wollen. vermutlich sehe nicht nur ich an dieser stelle einen z.zt. nicht auflösbaren widerspruch: der effekt dieses interesses besteht zwar in einer erhöhten fürsorge für die spieler - nicht umsonst werden schiedsrichter seit einigen jahren mehr dazu aufgefordert, allgemein die gesundheit der spieler, besonders aber die der „superstars“ zu schützen -, aber er entspringt eben nicht primär einer besonders humanen motivation, sondern einem profitinteresse: „verletztes kapital“, welches nur auf der bank sitzt oder sich im reha-zentrum aufhält, ist quasi totes kapital - und das können sich die proficlubs schlicht nicht leisten.

3.
der profifußball ist zu einem milliardengeschäft geworden, und in dieser hinsicht ein durchaus realitätstreues abbild und auch bestandteil der kapitalistischen globalisierung - vereine wie bspw. manchester united sind keine vereine mehr, sondern börsennotierte unternehmen, die eine weltweite "fan"schar

"Manchester United hat dieses Potential als erster Verein erkannt. Heute kommen von geschätzten 75 Millionen ManU-Anhängern weltweit allein 40 Millionen aus Asien und Australien. In 90 asiatischen Städten kaufen sie in MU-Megastores ein oder verfolgen in Red Cafés die Spiele ihres Vereins.(...)"

* (zur quelle dieses und folgender mit dem sternchen markierter zitate siehe das ende dieses beitrags)


mit dem produkt fußball plus merchandising, starkult und allem sonstigen drum und dran unterhalten müssen, wenn sie denn den primär wichtigen ökonomischen erfolg erreichen wollen. da sich aber im fußball eigentlich erfolge aufgrund des spielcharakters mit seiner potenziell impliziten unvorhersagbarkeit nicht so ohne weiteres planen lassen, boomt u.a. der markt für individuell hochklassige spieler, die zwar auch keinen sportlichen erfolg garantieren, aber doch die wahrscheinlichkeit dafür um einiges steigern können.

die suche (scouting) nach solchen spielern führt gerade in südamerika, afrika und auch osteuropa zu zahlreichen sog. "auswüchsen" (die in der realität natürlich systemimmanent produziert und bis auf die größten und offensichtlichsten exzesse auch toleriert werden):

"Der Fußballmarkt hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren enorm globalisiert. Aufstrebende Ligen, wie die japanische, fordern genauso „Spielermaterial“ wie der europäische Markt. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Luxusmigration von internationalen Top-Stars. In Deutschland sind heute selbst Dritt- und Viertligavereine international besetzt.

Auf der anderen Seite steht ein Heer von Fußballern aus Ländern der Zweiten und Dritten Welt. Ausgebildet auf einer der zahlreichen Fußballakademien in Afrika oder Südamerika, warten sie auf den internationalen Durchbruch. Allein in Brasilien, auf dem größten Fußballermarkt der Welt, sind es 30.000. In den letzten vier Jahren hat Brasilien 3087 Profifußballer in alle Welt exportiert.(...)"

*


in einer ausgabe der welt vom mai letzten jahres war folgendes zu lesen (auszüge):

(...)"José Ferreirinha hatte eine andere Reaktion erwartet. Im Auftrag von Jose Mourinho, Trainer von Chelsea London, war er im März in das kleine Touristenstädtchen Santa Catarina an der portugiesischen Algarve-Küste gereist. Der Talentspäher sollte vor Ort die Familie Ponde dazu bewegen, daß ihm ihr zehn Jahre alter Sohn Cristian Ponde in die englische Hauptstadt folgt, um dort sein außergewöhnliches fußballerisches Talent weiter zu entwickeln. Doch der Filius des rumänischen Immigranten-Paares brach in Tränen aus, als man ihn über das Ansinnen des Besuchers unterrichtete. "Ich will aber für Sporting spielen", schluchzte Cristian.
Schließlich bekam Cristian seinen Willen. Das zehnjährige Talent darf künftig für seinen Lieblingsverein in Lissabon kicken. José Ferreirinha reiste unverrichteter Dinge ab - ein seltenes Erlebnis für den Scout des derzeitigen Krösus im europäischen Fußball.

Ob in Lissabon, Barcelona oder London - die Jagd auf die jüngsten Fußballtalente läuft aggressiv wie nie. Woche für Woche werden neue "Wunderkinder" entdeckt, sie und ihre Familien in Versuchung geführt und schließlich von Großvereinen unter Vertrag genommen und so oft entwurzelt.

Vor wenigen Tagen verpflichtete der FC Valencia den elfjährigen Nikon Jevtic, der von seinem Berater Karl-Heinz Förster auch dem VfB Stuttgart angeboten worden war. Der FC Barcelona angelte sich den zwölfjährigen Argentinier Erik Lamela, den auch Arsenal London und AC Mailand umworben hatten. Das jüngste Objekt der Begierde auf dem internationalen Kinder-Fußballmarkt ist Jean Carlos Chera, ein neunjähriger Fußballer aus Südbrasilien. Manchester United und der FC Porto hatten die Fühler nach dem Knirps ausgestreckt, die Eltern entschieden sich schließlich für den heimischen FC Santos.

"Wir leben in einem neuen Zeitalter", sagt der sportliche Leiter von Bayer Leverkusen, Michael Reschke. "Der Markt ist aggressiver geworden." Im vergangenen Jahr war das zwölfjährige Talent Dennis Krol von Leverkusen nach Barcelona gewechselt. Wenige Wochen später sprachen die Scouts der Katalanen bei einem Turnier in Spanien weitere Spieler an. Künftig verzichtet der Werksklub auf Reisen der Nachwuchsteams nach Spanien."(...)

"Das ist doch Piraterie", klagte Jose Maria Aguilar, Präsident von River Plate Buenos Aires, die erfolgreichen Abwerbungsversuche des FC Barcelona im Fall Lamela an. Der katalanische Spitzenklub lockte die Eltern des argentinischen "Jahrhunderttalents" mit der Aussicht auf gutdotierte Jobs und die Geschwister mit Studienplätzen über den Atlantik. Darüber hinaus erhält der 41 Kilogramm leichte Maradona-Fan ein Jahresgehalt in Höhe von 120 000 Euro. Das spanische Sportblatt "As" geht in Zusammenhang noch einen Schritt weiter und beschrieb solche Transfers als eine "Art von fußballerischer Pädophilie".

Das Seelenheil der Kinder spielt dabei auch für die Eltern oft nur eine Nebenrolle. So versuchte ein Taxifahrer aus Frankfurt vor kurzem den FC Bayern mit dem Talent seines 15 Jahre alten Jungen zu erpressen. Er wollte seinen Sohn nur ziehen lassen, wenn ihm der deutsche Rekordmeister eine gutbezahlte Stellung besorgen würde. Bayern München lehnte mit einem Hinweis auf die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland ab und wünschte Vater und Sohn viel Glück.

Ein noch bedenklicherer Auswuchs der neuen Entwicklung ist bei Nikon Jevtic zu beobachten. Der Knirps wurde an den Bedürfnissen des Marktes geformt. Vor sechs Jahren entdeckte Vater Jevtic, ein wohlhabender Immobilienkaufmann aus Serbien mit Wohnsitz in Großbritannien, das Talent seines Sohnes und entschied, den Jungen zum Fußballstar zu machen. Der ältere Bruder übernahm das Fußballtraining, zwei Mal täglich, die Schwester unterrichtete ihn - eine Schule besucht Nikon bis heute nicht. Vor zwei Jahren zog die Familie nach Österreich, der Vater brachte seinen Sohn in der Fußballakademie von Austria Wien unter. Wie einst Brasiliens Fußballegende Pelé soll Nikon mit 16, so der Wunsch des Vaters, sein Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft geben - pünktlich zur Europameisterschaft im eigenen Land. Mit dem Wechsel nach Valencia sind diese Pläne vorerst vom Tisch. Die Vermarktung des Sohnes hat Vorrang. Statt des sperrigen Jevtics firmiert der Clan ab sofort unter dem Namen "El Maestro".

"Er ist wie ein Fußballer, der im Labor gezüchtet wird. Dies ist ein Experiment, das für die Entwicklung des Jungen große Risiken birgt", kritisiert der spanische Sportpsychologe José Carrascosa die Verpflichtung Nikon Jevtics. Auch der deutsche Sportsoziologe Jürgen Buschmann von der Deutschen Sporthochschule in Köln ist skeptisch. "Das eigentliche Leistungstraining beginnt erst mit 15 Jahren." Die Entwicklung davor sei für die spätere Entwicklung weniger ausschlaggebend. "Am Ende entscheidet sogar weniger das Talent als die Persönlichkeit über den Erfolg eines Spielers", so Buschmann. "Ich kann nur warnen, für die Kinder zu viel Geld zu investieren."(...)


unter dem vielversprechenden titel "dem kinderhandel den kampf ansagen" wurden seitens des weltfußballverbandes fifa neue transferregeln eingeführt, die sich jedoch bei genauer ansicht als papiertiger entpuppen:

(...)"Der Status der Spieler wird neu definiert als Amateur oder Berufsspieler (bisher: Nicht-Amateur). Mit dem neuen Reglement sagt die FIFA dem "Kinderhandel" im Fußball den Kampf an, "Kidsnapping", wie es ein FIFA-Funktionär nannte, soll unterbunden werden. Grundsätzlich dürfen Spieler künftig erst ab dem 18. Lebensjahr international transferiert werden. Es gibt aber drei Ausnahmen, die Umgehungen befürchten lassen.

Spieler unter 18 Jahren können international den Verein wechseln, wenn "die Eltern des Spielers aus Gründen, die nichts mit dem Fußballsport zu tun haben, Wohnsitz im Land des neuen Vereins nehmen". Innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) dürfen Spieler schon ab dem 16. Lebensjahr wechseln, wenn der Verein unter anderem eine schulische Ausbildung garantiert oder der Spieler höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze entfernt wohnt und der Verein des benachbarten Verbandes höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze ansässig ist."(...)

(aus einem artikel des kicker vom april 2005)


kurz: wie bei anderen massenwirksamen (tv-)sportarten auch finden sich hier alle erscheinungen wieder, die auf einen tiefgreifenden einfluß verobjektivierender wahrnehmung hindeuten - und zwar bei allen beteiligten: funktionäre, spieler, zuschauerInnen.

4.
weitere aspekte der kapitalisierung seien hier nur kurz angerissen:

wie schon oben erwähnt, sind die großen clubs heute von ihrem selbstverständnis her profitorientierte unternehmen, die sich mit den besonderen unwägbarkeiten des fußballsports herumschlagen. das hindert jedoch millionen- und milliardenschwere unternehmer nicht daran, in der hoffnung auf neue profitquellen ins geschäft einzusteigen - der us-amerikaner malcolm glazer bei manchester united bspw.:

(...)"Bei jedem Heimspiel im ehrwürdigen Stadion am Old Trafford wird der pausbäckige Unternehmer mit dem roten Bart von den Fans verflucht. Glazer-Puppen am Galgen gehören fast schon zum Standardrepertoire. Doch unbeirrt von den Protesten der United-Fans hat Glazer beharrlich an der Übernahme des börsennotierten Klubs gearbeitet.
Seit März 2003 erkaufte sich Glazer einen Anteil von 28 Prozent der Aktien. Nach langem Tauziehen sicherte sich der Milliardär am Donnerstag weitere 29 Prozent, die er den irischen Unternehmern John Magnier und John Paul MacManus abkaufte. Damit hält er die Mehrheit und bietet für die übrigen Aktien. Der Gesamtwert seiner Offerte: 790 Mio. £.

Die Anhänger des mehrfachen englischen Meisters und Europapokalsiegers fürchten jedoch, dass Glazer sie ausbeuten wird. Wie das geht, hat er in Florida gezeigt. Glazer kaufte die abgetakelte American-Football-Mannschaft Tampa Bay Buccaneers. Zur Finanzierung des Deals wurden die Kartenpreise drastisch erhöht und das Merchandising-Potenzial ausgeschlachtet."(...)


oder aber beim fc chelsea (london):

(...)"Roman Abramowitsch begann seine Karriere 1987 mit dem Verkauf von Gummienten. Bald wandte er
sich einem lukrativeren Geschäftsfeld zu: dem Öl. Heute wird sein Vermögen auf 18,2 Milliarden Dollar geschätzt. Wie vielen russischen Neureichen haftet Abramowitsch der Ruch dubioser Geschäftsgebaren an. Seine guten Beziehungen zum Kreml und sein Gouverneursamt in der russischen Provinz Tschukotka sicherten ihm freie Hand in der Wirtschaft. Doch die Gefahr, letztendlich so zu enden wie Michael Chodorchowski, schien groß. Nach und nach verkaufte Abramowitsch seine Beteiligungen in Russland, im Herbst 2005 schließlich auch seine Firma Sibneft. Käufer war der halbstaatliche Konzern Gazprom. Mittlerweile hat er sich als Unternehmer de facto aus Russland zurückgezogen. Der Abschied war lange vorbereitet. Sein Faustpfand für eine Aufenthaltsgenehmigung in England war der FC Chelsea.

Wie bei seinen anderen Unternehmungen bleiben auch die Umstände seines finanziellen Fußballengagements im Dunkeln. „Sind es Waffen? Sind es Drogen? Ist es Öl aus dem Meer?“ lautet ein Schlachtruf der Chelsea-Fans. Und sie geben auch gleich die Antwort: „Stellt keine Fragen!“ 2003 erwarb Abramowitsch die Aktienmehrheit des kurz vor dem Bankrott stehenden Klubs. 215 Millionen Euro kostete ihn das. 158 Millionen Euro investierte er noch im selben Jahr in international hochkarätige Spieler. „FC Chelski“ nannten Spötter fortan den Verein. Und der dient seinem Besitzer als Lebensversicherung. Durch sein Engagement baute er England peu a peu zu seinem sicheren Rückzugsgebiet aus.(...)"

*


oder aber ein bekanntes beispiel aus österreich:

(...)"Nachdem Red Bull Chef Didi Mateschitz den österreichischen Bundesligisten SV Austria Salzburg übernahm, wurde aus einem Abstiegskandidaten schnell ein Favorit auf den Meistertitel. Mateschitz holte neue Topspieler wie Lokvenc oder Zickler, Kurt Jara als Trainer und baute das Stadion aus. Somit sollten in Salzburg doch alle zufrieden sein, oder etwa nicht?

Eher nicht. Denn Mateschitz machte noch viel mehr als das. Als erstes änderte er den Klubnamen in Red Bull Salzburg. Das wäre aber nicht das größte Problem gewesen. In einem seiner ersten Interviews nach der Übernahme meinte Mateschitz, dass er auf Tradition großen Wert lege und dass die Klubfarben (violett-weiß) nicht geändert werden. Dies wurde auch bei der ersten Generalversammlung bestätigt.

Bei der Präsentation der neuen Dressen erlebten die Fans der violetten Austria ihr blaues Wunder. Das neue Heimdress war rot-weiß, das Auswärtsdress blau-weiß! Nichts mehr übrig von dem Versprechen, die Klubfarben beizubehalten."(...)


wie schon in manchester kam es auch in salzburg zu einem - aus einer äußeren perspektive her - eigenartigen konflikt zwischen einem teil der fanszene, die sich als traditionalisten bezeichnen lässt, und der jeweiligen neuen clubführung: die umwandlung von klassischen fußballspielen in events, die der alten fanszene greulichen verachtung jeglicher vereinstradition (in salzburg auf die konsequente spitze mit neuem namen und neuen farben - denen von "red bull" - getrieben), die erhöhung der eintrittspreise und die umwandlung von steh- in sitzplätzen führte in manchester gar dazu, dass tausende von "traditionalistischen" fans nach dem scheitern aller abwehrversuche gegen glazer (die teils sogar einen militanten charakter bekamen), einen eigenen club gründeten, den fc united of manchester.

das bemerkenswerte engagement tausender von menschen für ihre freizeitbeschäftigung ist in meinen augen an einer völlig falschen stelle verschwendet - gerade, wenn man(n) sich die allgemeine sonstige gesellschaftliche apathie im angesicht des objektivistischen wahns (von dem die kapitalisierung von allem und jeden einen hauptteil darstellt) anschaut. aber die frage, was hier eigentlich so mobilisierend wirkt, ist durchaus nicht uninteressant - dazu mehr im zweiten teil zum "patriotismus", bei dem sich diese frage ebenfalls verschärft stellt.

- die erwähnten risiken des fußballs führten in den letzten jahren zu einer häufung sog. "skandale", deren kern regelmäßig in diversen manipulationsversuchen an den spielen besteht - großflächig gerade zu bestaunen in der höchsten italienischen spielklasse, der "seria a", bei der verschiedene funktionäre von sog. topclubs wie z.b. juventus turin offensichtlich mit erfolg die meisterschaft nicht nur eines jahres beeinflusst haben - im "vereinsinteresse", was sogar stimmt - weil das vereinsinteresse hier gleichzusetzen ist mit dem profit- und erfolgsinteresse. und hier ist dann auch eine schnittstelle gegeben, die auch in anderen wirtschaftszweigen mehr oder weniger offen zu sehen ist: hin zur organisierten kriminalität, die sich bei florierenden ökonomischen bereichen mit ermüdender penetranz mindestens als struktureller hintergrund finden lässt.

"Die Wettskandale, die 2005 und 2006 die Bundesliga erschütterten, haben der breiten Öffentlichkeit einen alternativen Nutzen des Volkssportes Fußball vor Augen geführt: Mit Fußballwetten lässt sich trefflich Geld verdienen – vor allem, wenn man das Spielergebnis schon vorher kennt. Hatte die Hoyzer-Affäre noch weitgehend lokalen Charakter, gibt es längst ein globales Wettphänomen. So hat die chinesische Wettmafia mittlerweile auch den europäischen Fußball für sich entdeckt. Spiele werden nicht mehr nur auf europäischen Fußballfeldern gewonnen, sondern auch in den Wettbüros in Hongkong und Macao. 2005 wurden in Asien unverhältnismäßig hohe Wetteinsätze auf Fußballspiele in Belgien beobachtet – nicht selten auf Spiele mit sehr eigenwilliger Auslegung der Abseitsregel, fulminanten Eigentoren, lustigen Fehlgriffen der Torhüter oder absolut unberechtigten Elfmetern.

Offiziell verdiente Zheyun Ye sein Geld im Textilgeschäft, aber in Wirklichkeit kaufte er Fußballspiele. Besonders gerne tat er das in Belgien, denn dort hatte er relativ leichtes Spiel. Zwei Vereine standen auf der Gehaltsliste von Herrn Ye: La Louvière und Lierse SK. In zwei weiteren investierte er 375.000 Euro. Die Spieler verloren bei bestimmten Spielen offensichtlich mit so vielen Toren Unterschied, wie Herr Ye es von ihnen verlangte. Einige Spieler und der Trainer haben mittlerweile eingeräumt, von Ye gekauft worden zu sein. Nach Presseberichten wiesen 18 Spiele in Belgien Indizien von Schiebung auf. Auch beim Spiel von Vantaan Allianssi gegen Haka Valkeakoski in Finnland hatte Herr Ye seine Finger im Spiel. Für jeden eingesetzten Euro gab es bei einem richtigen Tipp 8700 Euro Gewinn.(...)"

*


- das boomende geschäft mit sport- und besonders fußballwetten (auf das der deutsche staat momentan gerade seine hände legen möchte, um den hauptteil zu kassieren) manifestiert sich hier in der stadt z.b. in einer vielzahl innerhalb der letzten beiden jahre öffnenden privaten wettbüros, bei denen ich irgendwann mit dem zählen nicht mehr hinterherkam. alleine in der straße, in der ich mich gerade befinde, gibt es davon mittlerweile fünf. und trotzdem lässt sich dieses business nicht vergleichen mit den wirklichen global playern, die nicht nur im fußball tätig sind, und deren "legale geschäfte" alleine bereits in vielfältigen teilen als organisierte kriminalität zu begreifen sind.

das fängt bei den hauptsponsoren der wm, "coca-cola"

"Verfolgung von Gewerkschaften mit „Todesschwadronen“ in Abfüllfirmen, Ausbeutung und Kinderarbeit in der Orangenernte, rassistische Diskriminierung"

(hinzuzufügen wären noch ökologische verwüstungen in indien sowie etliche versuche politischer einflußnahmen in der vergangenheit, von der rolle im nationalsozialismus mal ganz abgesehen) und "mc donalds" an

"Kinderarbeit in England und in chinesischen Zulieferbetrieben, Ausbeutung und katastrophale Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben, exzessiver Fleischverbrauch mit negativen ökologischen und sozialen Folgen"

und hört bei den sportartikelherstellern wie "adidas" oder "nike"

"Ausbeutung, Kinderarbeit, sexuelle Belästigung und andere Missstände in Zulieferbetrieben"

noch lange nicht auf (die obigen zitate sind alle der seite markenfirmen.com entnommen - einfach mal auf die logos klicken).

"Im Prinzip sind die Produkte von Nike, Adidas oder Puma austauschbar: Sportbekleidung, die teilweise parallel in den gleichen Dritte-Welt-Sweatshops kostengünstig gefertigt wird. Doch auf dem Weg in die Sportläden der Welt erfahren die Produkte eine magische Wertsteigerung. Denn es geht nicht um einen Schuh oder eine schnöde Turnhose – es geht darum, diese Turnhose mit Persönlichkeit aufzuladen, der Marke also ein bestimmtes Image zu geben. Oft genug liefert die sogenannte Zweite oder Dritte Welt mittlerweile nicht mehr nur das eigentliche Produkt, sondern auch gleich noch das passende Image dazu.

So sicherte sich Nike 1996 bei seinem Einstieg in den Fußballmarkt für einen Preis von 200 Millionen Dollar für zehn Jahre gleich das attraktivste Image: Brasilien. Das steht für barfuss kickende Künstler von der Copa Cabana, das steht für spielerischen, ästhetischen, begeisternden Fußball – eben das Gegenteil des unterkühlten, taktischen europäischen Fußballs. Das ist zwar ein überholtes Klischee – aber die Marke Brasilien funktioniert weltweit. Genauso wie die Marke Kamerun."(...)

Im gleichen Jahr, in dem Nike Brasilien unter Vertrag nahm, kam es auch zu einer einzigartigen Symbiose der Tierwelt, und zwar zwischen Puma und den „unzähmbaren Löwen“ aus Kamerun. Die auf Lifestyle fokussierte Firma profitiert seitdem vom lebensfrohen Image Kameruns. Puma schneiderte den Spielern spezielle, feuchtigkeitsregulierende und schweißabsorbierende Trikots auf den Leib, wegen der afrikanischen Hitze. Diese Trikots kann man seitdem für 68 Euro im frostigen Deutschland erwerben, in Kamerun aber leider nicht, weil das durchschnittliche Monatseinkommen nur 35 Euro beträgt. Deshalb soll im Mutterland des Kamerun-Gefühls eine nichtfeuchtigkeitsregulierende, aber dafür billigere Baumwollvariante angeboten werden.

Zwar hat sich Kamerun nicht für die WM 2006 qualifiziert, aber Puma erweckt mittlerweile den Eindruck, Ausstatter eines ganzen Kontinents zu sein: „Proud supplier of African Football“ lautet der Werbespruch, und tatsächlich tragen vier der fünf teilnehmenden afrikanischen Teams bei der WM 2006 den Puma auf der Brust. Etablierte Mannschaften, wie zum Beispiel Italien oder Tschechien, spielen in der Werbestrategie kaum eine Rolle. Puma setzt bewusst auf das Außenseiter-Image Afrikas, denn das entspricht genau dem Firmencredo. Puma sieht sich selbst als revolutionärer Herausforderer der etablierten Marken Nike und Adidas."(...)

*


hier wird sehr schön eine durchaus perverse entwicklung deutlich, die auch in anderen ökonomischen bereichen zu beobachten ist: produktmarken, also bezeichnungen für dinge, werden mehr und mehr durch ihre koppelung mit menschlichen emotionen, sozialen zuständen und images (= konstruierten individuellen und kollektiven identitäten mit mehr oder weniger großem bezug zur realität) beworben und verkäuflich. da die manager der objektivierung durchaus nicht unintelligent sind, haben sie das entsprechende potenzial, welches gerade eine hoch emotionalisierte sportart wie der fußball diesbezgl. bietet, erkannt - und das bleibt natürlich nicht ohne die entsprechenden destruktiven folgen, die in diesem beitrag bereits grob skizziert wurden.


buford

5.
über den hooliganismus - in und rund um den profifußball ein auslaufmodell, nicht hingegen in etlichen unterklassigen ligen - will ich nicht viele worte verlieren. das thema ist durchaus interessant, sollte jedoch nicht unbedingt im fußballkontext gesehen werden. eine der besten soziologischen reportagen, die ich jemals gelesen habe, macht das ganz gut deutlich. wie auch die tatsache, dass zwar etliche klischees über hooligans zutreffend sind, etliche andere wiederum nicht - so ist es z.b. kein "unterklassenphänomen", sondern es finden sich dabei auch akademiker (als extrem wäre die geschichte der festnahme eines mathematikers vor ein paar jahren zu nennen), ärzte, anwälte, polizisten...alles männer. und dieses klischee trifft nicht nur zu, sondern ist eine korrekte aussage über die entsprechende realität: hooliganismus ist ein explizit "männliches" phänomen. dazu eines mit suchtpotential. wie gesagt: wenn Sie einmal eine wirklich erstaunliche parallelwelt kennenlernen wollen, dann lesen Sie buford (und lassen Sie sich nicht vom zugegebenermaßen ziemlich bescheuerten titel abhalten) - er war in der ersten hälfte der 1980er jahre bis ca. 1990 hauptsächlich mit den damals sehr gefürchteten hools von manchester united unterwegs und hat aus den teils drastischen erlebnissen auch ein lesebuch zum thema massenpsychologie gemacht - ein thema, welches bis heute auffällig unterbelichtet ist (gustave le bon und andere "klassiker" in diesem bereich, auch elias canettis "masse und macht", sind imo eher als mehr oder weniger unterhaltsame intellektuelle essays zu verstehen (canetti) oder aber als ziemlich reaktionäres und elitäres geschwafel über "die massen" (le bon, nicht zufällig ein glühender bewunderer von mussolini). realistische analyseversuche der prozesse, die in (gewalttätigen) menschengruppen und -massen vor sich gehen, sind mir jedoch kaum bekannt (und buford versucht leider, seine teils sehr deutlichen und eindrucksvollen subjektiven erfahrungen in verhaltenspsychologischen ansätzen zu begreifen - meiner meinung nach ein fehler. aber das entwertet seine subjektiven beschreibungen keinesfalls).

6.
ein paar worte zum primär sportlichen aspekt der wm will ich mir nicht verkneifen. das beste spiel (von meinen ganz persönlichen eindrücken her) war für mich in der vorrunde: argentinien - elfenbeinküste. brilliante technik, schöne spielzüge, und eine in den entscheidenden momenten abgeklärte argentinische mannschaft. danach kommt erstmal eine weile lang gar nix, und das ist bezeichnend für diese wm - kein vergleich mit den spielen bei der europameisterschaft 2000, dort besonders von frankreich, portugal und den niederlanden. kein vergleich mit wm-klassikern wie dem spiel zwischen brasilien und frankreich 1986 (für mich eines der besten spiele aller zeiten). kurz: im großen und ganzen enttäuschend (besonders brasilien).

die hiesige mannschaft lässt mich dabei ziemlich kalt (nicht die unschönen begleitumstände, aber das ist ein anderes thema). eine der leichtesten vorrundengruppen (costa rica = fußballzwerg; eine im spiel dezimierte und bereits vor der wm zerstittene polnische mannschaft sowie ein b-team von ecuador) zu bestehen, ist imo keine besondere kunst. gegen argentinien und auch italien war sehr deutlich zu sehen, dass dieses team deutliche grenzen hat. und leider spielt portugal faktisch ohne sturm, sonst wären diese grenzen auch gestern wieder zu sehen gewesen.

ich hätte gern einen ronaldinho im anderen zustand gesehen, fühle mich aber durch die renaissance eines zidane durchaus entschädigt - ich würde mir sehr wünschen, dass einer der drei größten spieler aller zeiten heute abend sein letztes spiel angemessen krönen kann - nicht nur wg. seiner teils galaktischen spielweise, sondern auch deshalb, weil er ein sehr uneitler star ist - und dazu einen sehr begrüßenswerten umgang mit vereinnahmungsversuchen und nationalgedöns pflegt :

"So lieb und nett Zidane ist, weiß er seinen Standpunkt durchaus deutlich zu vertreten. Als Frankreichs Rechtsextremist Le Pen, Anführer des Front National (FN), die Auswahlspieler anging, vor Länderspielen gefälligst die "Marseillaise" mitzusingen, konterte Zidane, das er das mit Sicherheit nicht täte, nur um irgendjemandem einen Gefallen zu tun."

was er vermutlich auch heute abend nicht tun wird :-) und dazu ist seitens der französischen mannschaft auch noch einiges andere erwähnenswert - etwa die deutliche absage an den berüchtigten innenminister sarkozy:

"Dieser ist zwar der einzige wirkliche Fußballfan der Regierung, aber seinen Besuch lehnte die multikulturelle Nationalmannschaft ab. Spieler wie Thuram haben Sarkozy nicht verziehen, daß er angesichts der brennenden Autos die Banlieues mit einem Hochdruckreiniger der Marke „Kärcher“ säubern wollte."

undenkbar ein solcher schritt - bspw. schäuble vor die tür zu setzen - von all den "klinsis", "poldis" und "schweinis" (konsequente infantile regression übrigens - was für namen!).

***

alles zum "patriotismus" (und seinen wirkungen bzw. nutznießern) dann im zweiten teil - u.a. mit einem kleinen quiz: welche nachrichten der letzten fünf wochen haben Sie nicht mitbekommen? - und einigen anmerkungen zum bedenklichen revival des begriffs "miesmacher", der in diesem land eine längere tradition besitzt...

(* da es aus mir unerklärlichen gründen schwierigkeiten gibt, links mit der .pdf-endung zu setzen, trage ich also die quelle vieler obiger zitate hier nach: https://www.bpb.de/files/BFAEAD.pdf )

*

edit am 06.10.: eigentlich könnte ich den ganzen beitrag umbenennen und laufend updates veranstalten - in vielen ländern gibt es derzeit sog. skandale und informationen über genau die strukturen, die ich damals zur wm schon angesprochen hatte. die spektakulärsten entwicklungen finden z.zt. gerade in england statt:

(...)"Schnell bemerkte er, dass es nicht immer sauber zugeht in der Multimillionenbranche. "Manche Machenschaften haben mich an modernen Sklavenhandel erinnert", sagt auf dem Berge, "ich habe die schmutzige Seite des Geschäfts gesehen."(...)

aber auch in polen lässt sich nur allzu bekanntes beobachten:

(...)"Jedes Kind in Polen weiß, dass der Fußball hier korrupt ist", sagt Redakteur Tuzimek. Besonders in dieser Saison habe es verdächtig viele Fehlentscheidungen gegeben."(...)

und ein leider nur in der printausgabe der zeitschrift 11Freunde enthaltener artikel beschäftigt sich mit ähnlichen verhältnissen in griechenland.

zusätzlich ist nicht nur in d-land verschärft das thema rassismus beim fußball in den focus gerückt.

alles in allem verschärfen sich die zustände, die es mehr und mehr unerfreulicher machen, sich dem profifußball unkritisch und in der - naiven - hoffnung auf schöne und unbeschwerte spiele mit zeit und aufmerksamkeit zu widmen. die aktuellste meldung in diesem zusammenhang: der russische energiekonzern gasprom will sich medienmeldungen zufolge beim bundesligisten schalke 04 als hauptsponsor betätigen...

"Jürgen Roth, Experte für Wirtschaftskriminalität, nennt Gasprom ein "Selbstbereicherungssystem" mit "kriminellen Strukturen".(...)

tja. that´s business, so kann hier nur die zynische anerkennung der realität lauten. wobei das nicht auf akzeptanz hinauslaufen sollte und darf.

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den angekündigten zweiten teil des beitrags mit dem schwerpunkt "wm-patriotismus" möchte ich hiermit absagen. das thema wird aber zukünftig im allgemeinen kontext hier immer mal wieder behandelt werden.

Sonntag, 28. Mai 2006

assoziation: von "vernünftigen" motivationen in einer ver-rückten kultur

im vorläufig aktuellsten kommentar hier (ganz unten) wurde von loellie etwas angesprochen, was ich für enorm wichtig halte - scheint mir hier doch eine art mißverständnis vorzuliegen, welches ich aus der welt räumen möchte:

"bestenfalls koennte ich mahnen es sich nicht zu einfach zu machen, soziokulturelle und politische entwicklungen ueber wahn, ueber geisteskrankheit zu erklaeren. dafuer schreibst du aber wiederum zu differenziert."

nun, wenn du nicht noch den letzten satz angefügt hättest, hätte ich zum leicht ärgerlichen ratschlag gezwungen gesehen, dann doch nochmal etliche beiträge hier genau zu lesen ;-)

aber so bietet mir das eine vorlage, die ich umgehend verwandeln möchte, um zusammenfassend meine jetzigen positionen zu der obengenannten frage darzustellen:

1. ich habe zwar noch nicht explizit genau zu der frage hier geschrieben, es jedoch in vielen beiträgen immer wieder thematisiert bzw. umrissen: aus meiner perspektive deuten sehr viele und auch sehr überzeugende indizien darauf hin, dass das verständnis von wahnsinn (im weitesten sinne), für dessen definition quasi ein monopol der westlichen psychiatrie/psychologie existiert, hoffnunglos unterkomplex ist in dem sinne, dass aufgrund der herkunft dieser disziplinen aus der tradition der westlichen wissenschaft, welche u.a. von descartes und newton (ich erinnere mal kurz an den entsprechenden beitrag) tiefgreifend geprägt wurde, bestimmte strukturelle grenzen, wahrnehmungsverzerrungen und blinde flecken, die innerhalb des newtonisch-cartesianischen weltbildes zu finden sind, unreflektiert und im schlechtesten sinne bewusstlos übernommen worden sind (das es nicht so widerspruchsfrei und ausnahmslos geschehen ist und geschieht, ist mir schon klar, ebenso wie die tatsache, dass es auch in den benannten disziplinen einige gegenentwürfe gibt. für den mainstream jedoch - einerseits in gestalt der primär biologistisch orientierten psychiatrie, andererseits in den formen von verhaltens- und tiefenpsychologie (letztere mit starken bezügen zur psychoanalyse) - trifft diese "diagnose" imo durchaus zu).

es lässt sich mit einigem recht von einer stark fragmentierten - dissoziativen - , beziehungsfeindlichen und objektorientierten theorie und praxis in allen bereichen der westlichen kultur (europa, usa und mit einigen abstrichen in neuerer zeit auch speziell japan) sprechen, von der faktisch ausnahmslos alle bewohnerInnen der entsprechenden länder direkt und indirekt betroffen sind. was schwer zu erkennen ist, da diese spezielle art der objektivistischen weltwahrnehmung für uns quasi die normalität darstellt - und an dieser stelle führe ich immer wieder gerne die metapher vom wasser an, welches unter garantie nicht zuerst von einem fisch entdeckt worden ist...

aufgrund der eigenart der menschlichen wahrnehmungsoptionen gehört das, was die als solche wahrgenommene - und so definierte - normalität strukturiert und prägt, zu den am schwersten zu erkennenden strukturen überhaupt. es braucht dafür meiner erfahrung nach einen bestimmten inneren und äußeren abstand/distanz, mithin also ironischerweise eine art pseudoautistischer position, um die strukturell autistischen elemente des westlichen welt- und v.a. menschenbildes zu ahnen.

um es nicht völlig ausufern zu lassen: bezgl. westlicher psychiatrie/psychologie (und auch der medizin allgemein) hat das bis heute immer noch zur folge, als krank wahrgenommene bzw. definierte menschen aus ihrem jeweiligen kontext heraus zu lösen und sie quasi wie ein beliebiges, einzelnes objekt zu betrachten und zu behandeln - und das ist nichts anderes als dissoziierte wahrnehmung! das mag auf den ersten blick zu hart und auch zu pauschal klingen - aber wer einmal einen blick auf den kern der mainstreambestimmenden entsprechenden theoriegebäude wirft, kann die ideologische basis schon erkennen, die in sowohl ausdruck als auch trigger dieser wahrnehmungsposition ist (auch hierzu empfehle ich einmal mehr den herrn mertz, der diese arbeit hinsichtlich der verhaltenspsychologie und orthodoxer psychoanalyse ansatzweise bereits geleistet hat).

und von "ideologischer basis" schreibe ich deshalb, weil es genau darum geht: die oben skizzierte "wissenschaftliche" herangehensweise basiert imo auf einer realitätswidrigen fiktion, einem produkt - besser: einer phantasie - des wahrnehmungsmodus, der hier schon oft als objektivistisches bewußtsein benannt worden ist.

realitätswidrig deshalb, weil die authentische und faktisch unzerstörbare menschliche realität eine beziehungsrealität ist, war, und auch immer sein wird. kein mensch kann in einem sozialen vakuum existieren, ja überhaupt leben - und das beweisen in aller schärfe gerade die realitäten von pränataler existenz und kindheit, in der wir ausnahmslos alle überhaupt erst durch elementare beziehungen sowohl alle nötigen grundlagen für unser soziales leben als auch überhaupt für unsere physikalische existenz erhalten. mertz hat in einem ähnlichen zusammenhang sinngemäß mal geschrieben: "das ist so, ob es einem nun passt oder nicht - darüber lässt sich nicht diskutieren". ich stimme zu und füge die notwendige ergänzung an, dass es sich um eine ebenso elementar körperlich-sinnlich-materielle realität handelt

bestimmte ansätze der sog. humanistischen psychologie, therapeutische strömungen wie die systemische familientherapie oder auch körpertherapeutische ansätze, wie auch die vor ein paar tagen erwähnte relationale psychoanalyse versuchen im wesentlichen, die obige wahrnehmungsposition zu berücksichtigen und darauf basierend ein realistischeres modell des menschlichen lebens zu entwickeln - und darüber werden dann auch ganz zwangsweise die definitionen von gesundheit/krankheit eine neubewertung erfahren müssen (wobei ich z.zt. ebenfalls zur ansicht von mertz tendiere, dass derlei ansätze zwar grundsätzlich hoffnungsvoll, aber noch zu wenig radikal in dem sinne sind, dass sie die ganze mögliche dimension der dissoziativen theorie und praxis noch nicht erfassen bzw. noch zu stark selbst entsprechende elemente aufweisen - die systemische familientherapie focussiert bspw. berechtigterweise auf die entsprechenden beziehungskonstallationen ihrer klienten, weist dabei aber in ihrer systemischen ausrichtung einen unangenehmen mechanistischen touch auf und berücksichtigt ebenso wie die meisten psychologischen gegenentwürfe nicht die körperliche basis des sozialen. während die körpertherapeutischen richtungen v.a. in der tradition von wilhelm reich genau dies tun, dafür aber wiederum meist ungenügend das soziale feld berücksichtigen (was reich übrigens durchaus nicht praktiziert hat) - ausnahmen bestätigen die regel, und meine besten erfahrungen habe ich mit einer körpertherapeutin gemacht, die sowohl das eine als auch das andere unverzichtbar fand - ohne sich groß um theorien zu kümmern - eine in diesem fall lebendige frau/lebendiger mensch braucht vermutlich eh nur ein gesundes gleichgewicht im sinne einer primär sinnlich fundierten und vollentwickelten (selbst-)wahrnehmung (u.a. mit intuition und empathie) und dem funktional nachgeordneten objektivistischen werkzeug, welches dann auch als werkzeug "korrekt" be- und genutzt werden kann - und zwar nur da, wo es auch wirklich angebracht ist ).

in dieser kleinen und natürlich unvollständigen darstellung wird vielleicht schon deutlich, warum ich zu der anfangs erwähnten wertung "hoffnungslos unterkomplex" bzgl. des verständnisses von wahnsinn komme - wenn die theorien der konzepte und behandlungsverfahren von "verrückheiten" in einer gesellschaft nämlich genau aus den quellen entstammen und mit den gleichen methoden entwickelt werden, aufgrund derer menschen überhaupt erst ver-rückt werden - dann ergibt das ein hübsches, wenngleich fatales paradox mit unabsehbaren konsequenzen!

die arbeiten von deMause, die darauf hinauslaufen, dass er eine fast schon totalitär zu nennende dominanz von traumatischen strukturen (auch im sinne von post-trauma-folgen bzw. strukturen) in fast allen menschlichen kulturen herausarbeitet, haben mir da ein ganzes stück weitergeholfen, v.a. hinsichtlich von beobachtungen und fragen, die mir schon seit jahren durch den kopf gingen:

warum wird in dieser (westlichen, ich beschränke mich hier mal auf diese, obwohl die fraglichen probleme nicht einzig sie betreffen) kultur traditionell dem "geistigen/mentalen/spirituellen" bereich so eine aufmerksamkeit geschenkt bzw. das quasi als das einzig "wirklich menschliche" angesehen?

aus welcher quelle stammt die mit dem obigen dahergehende und ebenso traditionelle körperfeindschaft, wie sie durch religion, philosophie etc. bis heute vermittelt wird? (wieder: die brüche in dieser wahrnehmung sind mir teils bekannt, aber durchaus kein mainstream - der sog. "körperkult" heute ist keine wirklich andere wahrnehmung, sondern beruht auf der (selbst-)wahrnehmung des eigenen körpers als eines instrumentes, welches zwecks weiterführung des konkurrenzkampfes innerhalb der sog. "leistungsgesellschaft" halt "in schuß" gehalten bzw. gebracht werden muss - die dominanz des objektivistischen modus ist in dieser konstellation keinesfalls aufgehoben, sondern lediglich den aktuellen realitäten angepasst worden).

warum diese verherrlichung von "objektivität" (eine unmögliche position in der realität), bei gleichzeitiger abwertung alles subjektiven und tiefem misstrauen gegen alles "emotionale"? (welches teils tatsächlich berechtigt erscheint - aber auch hier die frage, warum gefühle bei heutigen menschen teils so extrem und negativ-irrational erscheinen können? auch dafür sind gründe vorhanden). warum diese starken tendenzen zur vereinzelung (die ideologisch als "individualität" imo völlig falsch bezeichnet wird), der allgegenwärtige pessimismus über die angebliche schlechtigkeit der "menschlichen natur" (siehe z.b. hier und auch hier)? und warum auch die existenz von "geistigen" strömungen wie dem sog. transhumanismus oder auch der früher bereits vorgestellten richtung des sog. objektivismus, die beide auf eine un-menschliche zukunft hinarbeiten in dem sinne, dass sie die eigentlich wesentlichen menschlichen züge faktisch als zu überwindende "defekte" deklarieren?

solche kulturellen auffälligkeiten hatte ich früher schon mal unter dem titel cyborgs oder der dringende wunsch, den eigenen körper verlassen zu wollen kurz umrissen: woher stammen die auffälligen fiktionen und wünsche nach der eigenen "transzendenz", hin zum "geistigen", weg vom körperlichen, für die nicht nur das mir sehr liebe sci-fi-genre immer wieder teils ausgefeilteste konstruktionen liefert, sondern die auch einen tragenden bestandteil ganz anderer kultureller bereiche darstellen, auch historisch belegbar? ich hatte damals u.a. geschrieben:

"warum aber sollte jemand, der/die sich in sich und seiner/ihrer körperlichkeit sicher und wohl fühlt, den wunsch entwickeln, sich eben von dieser körperlichkeit und den damit untrennbar verbundenen vielfältigen beschränkungen und grenzen "befreien" zu wollen, sich eine neue identität verschaffen zu wollen? es macht, egal aus welcher perspektive betrachtet, keinen sinn - es macht aber dann einen sinn, wenn die ureigene menschliche körperlichkeit eben nicht mehr oder nur noch fragmentarisch als eigenes selbst empfunden wird bzw. werden kann - die bewegung hin zu fiktiven sphären, in denen die heimat ebenso fiktiver selbstentwürfe oder der konstruktion von mächtigen wesen zu suchen ist, stellt sich aus dieser perspektive als eine determinierte, also unfreie und defensive reaktion auf tatsächlich unerträgliche realitäten dar."

und genau an dieser stelle liefert die psychohistorische betrachtungsweise genauso wie die aktuellen forschungen aus den bereichen der psychotraumatologie hinsichtlich dissoziativer zustände vielleicht ganz entscheidende hinweise - einerseits mit der darstellung der tatsächlich vorhandenen sozialen gewalt gerade gegen kinder (deMause, wobei er für mein verständnis zuwenig die traumatisierungen erwachsener menschen und ihre konsequenzen untersucht), andererseits mit einem fortschreitenden verständnis des phänomens der dissoziation - auszüge aus einem sehr empfehlenswerten text:

"Die schwere Traumatisierung wird von dem Kind als lebensbedrohlich und unausweichlich erlebt, so daß für ein hoch dissoziationsfähiges Kind die Möglichkeit besteht, das Geschehen mit Hilfe des zur Verfügung stehenden frühen Abwehrmechanismen der Dissoziation "unschädlich" zu machen (Sachs et al. 1988). Dabei blendet es in der Traumatisierung selbst seinen normalen Bewußtseinszustand völlig aus und geht in eine Art tiefer Trance, mit deren Hilfe das Geschehen hinter eine amnestische Barriere "gebannt" wird. Dieses abgespaltene Fragment bewahrt das traumatische Erinnerungsmaterial. Gerät das Kind immer wieder in eine ähnliche Traumasituation, kann das abgespaltene Fragment durch entsprechende (mit der ursprünglichen Situation verbundenen) Auslöser (trigger) stets auf’s Neue ins Bewußtsein geschwemmt werden. Es ruft den veränderten Bewußtseinszustand hervor und läßt zunächst alternierende Bewußtseinszustände (dissociative states) entstehen, aus denen unter Umständen dissoziierte Persönlichkeitszustände werden (dissociative fragments). Im Extremfall, das heißt bei fortgesetzter langjähriger Traumatisierung, dissoziative Alternativ-Ichs als "eigenständige Persönlichkeiten" (dissociative alters). In diesem Sinne ist die Dissoziative Identitätsstörung eine hochkomplexe und differenzierte Anpassungsleistung der Person (bereits als Kind).

„Man kann sich also die Dissoziation so vorstellen, daß ein massiver Affektdruck in einer unerträglichen Situation, insbesondere bei regelhafter Wiederholung solcher Situationen, zu einer Kanalisierung und Automatisierung des Erlebens auf mehreren ‘Bahnen’ führt, die dann zu abgrenzbaren Gedächtnissen, Emotionen und Verhaltensweisen - bis hin zu Persönlichkeiten- sich ausbilden ... Was dann in der Situation bleibt, ist gewissermaßen nicht mehr er selbst; er hat sich entzogen und im bildlichen und wörtlichen Sinne nur seinen Körper zurückgelassen" (Hoffmann 1994, S.22).

Da der dissoziative Vorgang der Abspaltung die (dringend benötigte) emotionale Erleichterung verschafft, wird er, wie jede andere erlernte erfolgreiche Strategie, in verschiedenen Streßsituationen häufiger und zunehmend einfacher angewandt. Dabei steht der Zeitpunkt der ersten Spaltung in engem Zusammenhang mit dem Beginn der Traumatisierung (Putnam et al. 1986), danach entstehende Identitäten können nicht nur "Traumaanteile" tragen, sondern auch dem "unauffälligen Weiterfunktionieren" dienen zum Beispiel als Innere Selbsthelfer-, Beobachter- oder Beschützer-Anteile.
Neben den dissoziativen Fähigkeiten und den Traumatisierungen in der Kindheit durch einen oder beide Elternteile lassen sich in Untersuchungen überdurchschnittlich viele Berichte und Diagnosen von psychiatrischen Auffälligkeiten, Krankheiten oder dissoziativen Störungen in der Ursprungsfamilie von PatientInnen mit einer dissoziativen Identitätsstörung finden (Kluft et al. 1984; Braun 1984, 1985). Diese "Familienpathologie" scheint auf eine familiär erhöhte Vulnerabilität der Störung hinzuweisen, und zwar nicht (nur) aufgrund einer möglichen biologischen Basis, sondern vor allem wegen des dysfunktionalen und traumatisierenden Familiensystems."


"Was dann in der Situation bleibt, ist gewissermaßen nicht mehr er selbst; er hat sich entzogen und im bildlichen und wörtlichen Sinne nur seinen Körper zurückgelassen" - wenn Sie sich bereits einmal mit berichten von kz- und folterüberlebenden oder auch misshandelten kindern beschäftigt haben, werden Sie sich vielleicht selbst an viele berichte erinnern können, in denen diese extreme wahrnehmungsposition von de-realisierung und dissoziation eine rolle spielt - "es passiert gar nicht mir, ich betrachte das ganze (gewalt-)geschehen als *beobachter von außen*" - eine im wahrsten sinne des wortes unmögliche position in der realität, die n u r fiktional herstellbar ist, mittels extremer wahrnehmungsreduktion - und unter maßgeblicher beteiligung vom dem teil unserer psychophysischen grundausstattung, der hier im blog als objektivistischer modus bezeichnet wird? das fragezeichen deshalb, weil dafür in meiner sicht zwar einige hinweise vorliegen (u.a. die tatsache, dass trance- und dissoziationszustände auch beim klassischen autismus eine starke rolle zu spielen scheinen, der wiederum bspw. nach dem ansatz von mertz eine geradezu paradigmatische erscheinungsform - besser wäre vielleicht: entgleisungsform, weil er in einer monopolposition die gesamte wahrnehmung dominiert - des objektivistischen modus und dem, was als "psychose" bekannt ist überhaupt darstellt), das ganze feld jedoch noch einen zu verwirrenden eindruck macht, der sich aber sehr langsam zu klären scheint.

mir selbst sind jedenfalls dissoziative zustände in "milderer" form durchaus nichts unbekanntes, und wenn ich in alten tagebüchern von mir blättere, dann kann ich in vergangenen krisenzeiten diese phasen durchaus kennzeichnen - wenn "der kopf" in einer art und weise dominiert, dass die "restliche" wahrnehmung wie ausgeschaltet erscheint, und eben dadruch alles "wie auf sand gebaut" erscheint, gerade und besonders beziehungen zu anderen - alles wird unsicher, diffus und bekommt auch einen bedrohlichen touch.

ich behaupte übrigens, dass auch die meisten von Ihnen mit dissoziativen zuständen bekanntschaft haben dürften - die sog. multiple persönlichkeit stellt "nur" die extremform eines spektrums dar, welches auf der milderen seite zb. auch durch tagträume und kurze "abwesenheiten" gekennzeichnet ist - für die meisten von uns eine "normalität", die dringend einer genaueren betrachtung bedarf.

steigen wir mal kurz verschärft in den objektivistischen modus ein und veranstalten ein fiktionales gedankenexperiment - stellen Sie sich einmal die westliche kultur als einzelnen menschen vor, der die oben erwähnten kulturellen auffälligkeiten als persönlichkeitszüge aufweist:
  • lebt "im kopf" (verherrlichung der "objektiven" position)
  • misstraut den eigenen (und fremden) gefühlen (abwertung "nur subjektiver" zustände)
  • besitzt keinen bzw. hauptsächlich negativen bezug zum eigenen körper (entfremdung gegenüber der natürlichen umwelt)
  • entwickelt dauernd strategien zur überwindung/kontrolle der eigenen körperlichkeit (extrem: gentechnologie; aber auch viele philosophische richtungen)
  • zeigt einen allgemeinen mangel an empathie für sich selbst und andere (totalitäre bzw. allgemein antisoziale gesellschaftliche entwicklungen, im extrem: kriege)
  • wertet sich selbst einerseits ständig ab, zeigt andererseits deutliche tendenzen richtung dominanz und größenwahn (kultureller pessimismus einerseits, imperialismus und auch rassismus andererseits - interessant übrigens, dass gerade in d-land, einem land mit mehrfach traumatischer geschichte sowohl in täter- als auch opferhinsicht gerade diese art der kollektiven selbstwahrnehmung recht ausgeprägt erscheint)
  • erscheint extrem interessiert und orientiert am besitz von dingen/objekten (vergötzung von "geld und eigentum" - beides sind rein mentale konstruktionen, die nur mittels permanenter gewaltandrohung in der sozialen realität existieren können)
  • lebt zu einem großen teil in halluzinierten realitäten ( staaten, nationen, religionen - bei all dem handelt es sich deutlich ebenfalls um mentale konstruktionen, die ebenso mittels verschiedenster arten von zwängen und auch gewalt als kollektivwahrnehmungen durchgesetzt werden)
  • ...
nun, welche diagnose(n) würden Sie stellen?

aus meiner sicht jedenfalls zeichnet sich recht deutlich eine art von verschiebung ab: ganze kulturen bzw. gesellschaften können offensichtlich aufgrund verbreiteter sozialer gewalt (in allen varianten) im wahrsten sinne des wortes ver-rückt werden - einfach dann, wenn die mehrheit der sie bildenden menschen über generationen hinweg am eigenen leib verschiedensten gewaltformen ausgesetzt ist, die nun mal in der menschlichen psychophysischen struktur bestimmte und vermutlich auch in einem gewissen sinne gesetzmäßige folgen hinterlässt. genau diesen ganz entscheidenden punkt aber begreifen zu können stellt sich deshalb als schweres problem dar, weil eine der folgen dieser gewalt eben auch in einer allgemeinen wahrnehmungsreduktion liegen kann, die sich bis hin zur offensichtlichen realitätsleugnung, verschiedensten "mentalen" tricks und strategien (das "als-ob" gehört imo auch hierzu) und zu kollektiven halluzinationen zwecks abwehr der unerträglich scheinenden einsichten über den eigenen zustand - verbunden mit (todes-)ängsten, demütigungen, schmerzen - zu entwickeln vermag. in einem solchen fall wird dann der eigentlich verrückte zustand zur kollektiven, individuellen und alltäglichen realität, die sich als "normalität" maskiert.

und so nehmen wir mehr oder weniger gleichmütig und tatsächlich wie in trance selbst die offensichtlichsten und größten verbrechen an unseren mitmenschen hin, von "eliten" konzipiert, die wir mehrheitlich selbst in ihre positionen bringen bzw. dort tolerieren bzw. als quasidelegierte beauftragen, und als deren bereitwillige instrumente wir uns bei durchführung dieser verbrechen immer wieder erweisen - d-land im nationalsozialismus ist dafür nur das deutlichste beispiel. wie, Sie betrachten sich als unschuldig? sorry, aber wir als mehrheitlich weiße bewohnerInnen der sog. zivilisierten welt leben auf einem wahren knochengebirge und sind von meeren aus blut umgeben - ich wette, ich kann nicht nur bei mir bspw. ganz harmlose alltägliche konsumobjekte in der wohnung finden, die Sie von eindeutig antisozial handelnden produzenten erworben haben, die historisch und aktuell in ihrem handeln nur noch mit der klassischen mafia zu vergleichen sind - zu der womöglich der einzige unterschied darin liegt, dass die "geschäftszweige" von letzterer formal (noch) illegalisiert sind. weitere beispiele spare ich mir hier; ich vermute dass die meisten leserInnen hier selbst darüber genügend bescheid wissen. jedenfalls macht uns diese freiwillig-unfreiwillige involviertheit mehr oder weniger alle zu komplizen der antisozialen strukturen, was einerseits sowohl die täter-opfer-dialektik nochmals unterstreicht, andererseits für alle projekte von befreiung und emanzipation fragen aufwirft, die in ihrer ganzen komplexität und wichtigkeit überhaupt ersteinmal zu begreifen sind, was imo wiederum nicht ohne möglichst detaillierte kenntnis der menschlichen struktur gelingen kann - und dazu gehören die uns zur verfügung stehenden wahrnehmungsoptionen, ihre grundlagen und möglichen defekte, untrennbar hinzu. und damit steht dann wie von selbst auch das thema "was begreifen wir warum als wahnsinn?" zur debatte.

*

2. um nochmals direkt zur anmerkung von loellie ganz oben zu kommen: es sollte bis hierher nochmals deutlich geworden sein, dass die klassischen assoziationen bzw. bilder wie auch die bisher etablierten wissenschaftlichen definitionen zu den begriffen "wahnsinn" und "geisteskrankheit" in ihrer überwältigenden mehrheit völlig an den phänomenen vorbeigehen, die eigentlich mit guten gründen dazugerechnet werden müssen - einige eher in unseren allgemeinen kulturellen verhältnissen liegende ursachen habe ich versucht zu skizzieren.

aber schlimmer noch: es ist durchaus vorstellbar und wahrscheinlich, dass die entsprechenden definitionen einer verrückten kultur geradezu auf dem kopf stehen könnten, will sagen: das sie möglicherweise eindeutig authentisch-menschliches soziales verhalten in all seinen möglichen facetten als pathologisch definieren. einige hinweise darauf gibt es hinsichtlich der möglichen heilungspotenziale und ganz subjektiv wichtigen erkenntnisse für die betroffenen, die in den sog. schizophrenen psychosen verborgen liegen könnten - wohlgemerkt, damit will ich diese art von psychosen keinesfalls glorifizieren.

gerade aber diese als "wirklich" verrückt - weil offensichtlich gegen die aktuell herrschenden normen von "objektivität" verstoßend, die in einer mindestens teilweise verrückten kultur imo nicht besonders ernst genommen werden sollten - geltende form der psychose ist sehr wahrscheinlich als paradigma für den tatsächlich vorhandenen wahnsinn völlig ungeeignet - wenn die psychotiker des strukturell autistischen typs, wie sie hier bspw. in gestalt des sozio-/psychopathen und der "als-ob-persönlichkeit" thematisiert wurden, einigermaßen ausgebildete simulationsfähigkeiten besitzen und dazu mittels ihrer teils extrem ausgeprägten und wegen der oben skizzierten allgemein-kulturellen verschiebung ins "verrückte" als "normal" angesehene art von kalkulierender und objektivistischer intelligenz es schaffen, ihre dadurch entstehenden manipulativen potenziale erfolgreich auszuspielen, so gelingt es dem wahnsinn am ende, in strukturell wichtige und dominante positionen und funktionen der verschiedenen gesellschaften vorzustoßen. mit der folge, das immer breitere und größere gesellschaftliche bereiche in den strudel der destruktion gerissen werden.

und ganz entsprechend sieht dann auch das bild aus, welches die aktuelle "politik" und erst recht unsere außer rand und band geratenen ökonomischen strukturen bieten - und zwar meistens ganz unabhängig von irgendwelchen "politischen" ideologien, ganz und gar nicht unabhängig aber von der ideologie des objektivistischen wahns (die übrigens auch in religiös-"spirituellen" formen erscheinen kann).

das zerrbild des vor sich hin sabbernden psychotikers mit dämonisch blitzenden augen, der sich in der zwangsjacke in seiner zelle hin und her wirft, ist jedenfalls deutlich eine fiktion und stellte real historisch und erst recht aktuell eine absolute ausnahme dar; ebenso wie das nicht begründbare vorurteil, dass wahnsinn immer mit deutlichen einschränkungen der "instrumentellen vernunft" / des objektivistischen bewußtseins einhergehen müsse. auch das betrifft eher nur eine minderheit von tatsächlich wahnsinnigen menschen. eher ist bei den verbreitesten formen des wahnsinns genau das gegenteil der fall: wo die objektive position dominant vorherrscht, kann der wahn erst zu seinen schlimmsten blüten wachsen.

und wie sind nun vor dem hintergrund die konventionellen erklärungen zu betrachten, wie sie bspw. für die ökonomisch-destruktiven antisozialen aktivitäten der sog. eliten herumgeistern? erklärt ein wort wie "profitgier" wirklich etwas? oder sollten wir das nicht eher als eine simulation, eine "als-ob-erklärung" begreifen?

tilmann moser (dessen arbeiten ich im übrigen sehr schätze) hat in einer rezension von deMauses "das emotionale leben der nationen", überwältigt von der fülle an quellen und belegen, die deMause für seine thesen heranzieht, sinngemäß den einwand gebracht, ob es nicht auch manchmal sein könnte, dass "ganz rationale" ökonomische interessen bspw. an irgendwelchen ressourcen wie öl entscheidend an den entscheidungen über krieg und frieden beteiligt sein könnten, relativ unabhängig von den psychophysischen strukturen und determinierungen der beteiligten akteure.

es scheint auf den ersten blick möglich zu sein - aber genau dieser eindruck ist meiner persönlichen meinung nach bereits auf dem dissoziativen mist unserer allgemein verkorksten wahrnehmungsfähigkeiten gewachsen.

erstens ist es bereits völlig unmöglich, einen menschen als "gesund" zu betrachten, der eine anscheinend nüchtern-kalkulierende strategie entwirft, ausdrücklich mit der option auf gewalttätigkeiten anderen menschen ressourcen zu entreißen, die er dringend benötigt - oder aber meint, benötigen zu müssen, was sich imo bspw. im falle des öls zum größten teil so verhält - lebensnotwendig im eigentlichen sinne sind die meisten produkte, die auf erdöl basieren (das sind mehr, als Sie sich vermutlich denken) nämlich nicht. bei einer tatsächlich rationalen (auch emotional-rationalen) betrachtungsweise würde dazu herauskommen, dass wahrscheinlich einige produkte ganz gut durch andere ersetzbar sind, während andere schlicht überflüssig, als verzichtbar und sogar als schädlich erscheinen.

all das stellt bereits eine einschränkung dar, die direkt zur frage führt, warum jemand bestimmte und eventuell sogar exzessive selbstschädigende bedürfnisse entwickelt bzw. jede möglichkeit eines gedankens an die einschränkung eigener konsummöglichkeiten panisch als unakzeptable zumutung ablehnt - etwas modifiziert dürfen bzw. müssen wir diese frage auch an unsere kultur stellen, wie ich finde.

dazu kommt aber noch ein wesentlich wichtigerer grund: wenn der kühl kalkulierte zugriff auf ressourcen (ich bleibe mal bei diesem beispiel) ganz selbstverständlich mit der wahrnehmung gekoppelt ist, die diesem zugriff anscheinend oder tatsächlich "im wege stehenden" menschen lediglich als störende objekte, die beseitigt werden müssen, zu betrachten, dann ist diese position zwingend! ein ausdruck für eine wahrnehmungsreduktion, die entweder funktionell-aktuell oder aber strukturell und chronisch existiert - beide varianten sind mit guten gründen bereits jenseits der grenze zum wahnsinn des antisozialen typs anzusiedeln, weil hier sowohl rücksichtslose grenzüberschreitungen wie auch extreme empathiereduktion bzw. sogar -unfähigkeit konstatiert werden müssen - und das gilt sowohl für das bewußtsein der jeweiligen "eliten" als auch für das bewußtsein derjenigen, die diese grenzüberschreitungen und empathielosigkeit in vorhaben wie kriegen dann umsetzen sollen - ohne ganz entscheidende bewußtseinsveränderungen bzw. psychophysische zustände defektartiger natur sind derlei projekte schlicht nicht zu realisieren. und genau darin liegt der irrtum, dem moser imo unterliegt - er fragmentiert hinsichtliche der fragen nach den motiven menschlichen handelns die ursachen zu sehr, d.h., er spaltet ab und erzeugt dadurch die illusion eines handelns, welches anscheinend durch "pure rationalität" motiviert erscheint - etwas, was wir vermutlich ebenfalls alle gewohnheitsmäßig tun. vergessen tun wir dabei nur, dass die position "pure - objektive - rationalität" erstens als daueroption nur bei echten soziopathen und möglicherweise einigen anderen beziehungskrankheiten denkbar ist, zweitens in einer monopolstellung ein zwingendes indiz für einen schwer gestörten psychophysischen zustand darstellt und drittens in einem gesunden menschen diese position ein absolutes ding der unmöglichkeit darstellt - eine solche position kann immer nur fiktiv sein, auf fiktionen aufbauen und mit fiktionen arbeiten, weil sie nur innerhalb einer weitgehenden beziehungslosigkeit existieren kann. die ebenfalls nur fiktiv möglich ist, denn selbst kanner-autistische schwer behinderte menschen sind nur in diversen untrennbaren weltbezügen existent - sie können diese "lediglich" nicht wahrnehmen.

dann: wieviel geld kann jemand tatsächlich ausgeben, um den eigenen zustand zu verbessern bzw. sich damit "glücklich" machen? selbst, wenn wir eine sogar krankhaft extrem vergrößerte und quasi suchtartige struktur annehmen, die den besitz von möglichst vielen dingen als "notwendig" erscheinen lässt - selbst dann gibt es grenzen dabei, millionen oder sogar milliarden auszugeben. ich teile die ansicht, geld auch und vor allem als synonym für macht anzusehen - und bei der frage, warum jemand macht anstrebt, landen wir ganz selbstverständlich wieder bei der frage nach der jeweiligen psychophysischen struktur - nochmal der herr mertz, ein zitat aus dem basisartikel borderline hier im blog:

"Gesellschaftliche Macht, egal in welcher Form (Geld, Prominenz, `Erfolg´ usw.) scheint als anonyme "Ersatzwährung" für interpersonale Authentizität (Beziehung) zu fungieren: Je mehr Macht, desto geringer die authentischen Anforderungen der Mitwelt."

that´s it. genau auf den (total kranken) punkt gebracht. von dieser perspektive aus betrachtet, wird sowohl das treiben unserer "eliten" als auch unser alltägliches handeln (zumindest in teilen) schlagartig als das sichtbar, was es vermutlich tatsächlich ist: beharrliche und mit ungeheurer energie vorgetragene kompensationsversuche, mittels derer unsere mehr oder weniger geschädigte psychophysis versucht, eine art von homöostase wieder herzustellen - in individuell ganz unterschiedlichen variationen, mindestens z.t. bestimmt von art und ausmaß der jeweiligen schädigung. in diesem sinne ist geld lediglich ein mittel zum zweck.

*

ich hoffe, es ist jetzt etwas deutlicher geworden, wie ich über die von loellie direkt aufgeworfene thematik denke - auch wenn ich finde, dass ich zu dieser frage eigentlich früher schon eindeutig position bezogen habe. aber vielleicht ist es auch nötig und wichtig, einmal möglichst klar eine art zusammenfassung zu geben.

für eventuelle redundanz im text bitte ich um verständnis - ich schreibe an einem öffentlichen ort und habe nicht die nötige ruhe, um alles nochmal komplett durchzugehen und eventuell zusammenzustreichen.

Dienstag, 25. April 2006

assoziation: nachträge zur "als-ob-persönlichkeit"

beim wiederholten lesen der letzten beiden beiträge geht es mir so, dass mir selbst viele fragen, ergänzungen und weitergehende gedanken in den kopf kommen - die sollen hier unsortiert gesammelt werden.

*

zunächst ein paar interessante links: ich hatte u.a. geschrieben, dass es innerhalb der klassifikationen der orthodoxen psychiatrie keine diagnose mit dem namen "als-ob" gibt - aber es scheint augenscheinlich zumindest psychiatrisch tätige zu geben, die das modell der simulativen persönlichkeit trotzdem nutzen, wie ich der folgenden, bereits etwas älteren prozeßreportage entnehme:

"Zu den Indizien passt die Persönlichkeit des Angeklagten. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigt ihm eine »Als-ob-Persönlichkeit«, die immense Unsicherheiten und Ängste mit der Fassade des Machers, des Herrn-im-Haus kaschiere.
Kontrolle über die Umgebung sei Crantz das Wichtigste, mit Reichtum und Statussymbolen versuche er sein schwaches Ego zu stabilisieren. Gerate sein glanzvolles Selbstbild aber in Konflikt mit der Realität, so täte er »vieles, wenn nicht gar alles dafür«, die schöne Illusion zu retten."


erinnert doch irgendwie an unseren mr. ripley, oder? der begriff "schwaches ego" hingegen lässt sich imo höchstens in metaphorischer bedeutung verwenden.

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unter dem titel "Die Als-Ob-Strategie - Hochstapeln für Anfänger und Schüchterne" findet sich ein beispiel dafür, wie mittels simulationen im berufsleben getrickst und getäuscht wird (ironischerweise spielt dieses geschichte auch noch innerhalb einer versammlung von professionell psychologisch tätigen). ich halte das beschriebene inhaltlich nicht von vorneherein für völlig fragwürdig - schließlich nutzen wir alle in bestimmten situationen simulative zustände - ,aber bemerkenswert und bezeichnend finde ich, dass bereits in der überschrift völlig ungeniert der - ja, bewußte betrug an den mitmenschen als quasi-erfolgsstrategie propagiert wird. auch an solchen beispielen wird sehr gut deutlich, dass die grenzen zwischen als "legal" und "illegal" betrachteten ökonomischen aktivitäten eine sehr fließende ist.

und gerade die am ende des artikles genannten sechs bausteine erfordern eine gründliche betrachtung und machen die versteckten gefahren deutlich, die im völlig unkritischen und geradezu begeisterten hantieren mit simulationen innerhalb sozialer zusammenhänge lauern:

"Niemand kann Ihnen von außen ansehen, wie kompetent sie sind. Jedes Urteil über Sie wird allein aufgrund Ihres Aussehens und Ihres sichtbaren Verhaltens gefällt. Wenn Sie auftreten, als ob Sie kompetent sind, dann gelten Sie für die Zuschauer auch als kompetent. Aus dem Schein wird Sein."

das ist leider eine oft zutreffende beobachtung - aber woran liegt das? ich würde hier sagen, dass ein derartiger zustand ganz zwangsläufig auf mehr oder weniger verbreitete wahrnehmungsdefekte hindeutet - wie jemand gestylt ist, ob jemand seriös wirkt oder gar mittels einer uniform wirkung erzielt (kennen Sie eigentlich den hauptmann von köpenick?) - all diese äußerlichkeiten lassen keinesfalls automatisch rückschlüsse auf die reale persönlichkeit zu - aber das gilt in alle richtungen (das als anmerkung für diejenigen, die sich z.b. darüber aufregen, dass bestimmte eher "linke" vorurteile mit uniformen und yuppie-klamotten automatisch immer negatives assoziieren - ich halte solche vorurteile real meistens für zutreffender als die umgedrehten varianten, in denen abschätzig über "schmuddelige" aller art geurteilt wird.

all das deutet auf wahrnehmungs- und in der folge auch kommunikationsstörungen hin. vorurteile sind bilder des objektivistischen bewußtseins, bei denen es mehr oder weniger zufällig bleibt, ob sie mit der realität übereinstimmen oder nicht. eine als-ob-strategie wie die hier beschriebene macht sich derartige bilder von gesellschaftlich verbreiteter relevanz zu nutze und konstruiert daraus ein eigenes schein-bild. entscheidend ist aber, dass derlei nicht klappen kann ohne die (un-)freiwillige mithilfe derjenigen, die in die irre geführt werden sollen. ob also aus dem schein immer das sein werden kann, liegt auch an uns allen, bzw. an der qualität unserer wahrnehmungsfähigkeiten.

"Oft zitiert und doch immer wieder wichtig: Ihre Wirkung beruht zu 55 Prozent auf Körpersprache, zu 38 Prozent auf der Stimme und nur zu 7 Prozent auf dem Inhalt des Gesagten. Den Auftritt zu proben ist daher wichtiger als das sorgfältig ausgearbeitete Manuskript. Allerdings: wo nur heiße Luft verströmt wird, nutzt auch der beste Auftritt nichts."

die wichtigkeit der körperlichen präsenz - wenn sie denn real vorhanden ist, was z.b. bei videokonferenzen schon nur noch eingeschränkt der fall ist - kann die als-ob-strategie zwar bis zu einem gewissen punkt berücksichtigen - aber eben nicht total, weil es mehrere ebenen von körpersprache gibt, von denen wenigstens eine völlig am objektivistischen bewusstsein vorbeigeht - die kommunikation von körper zu körper (nein, sex ist hier nicht gemeint) funktioniert auf mindestens einer ebene unterhalb jeder bewussten wahrnehmungsschwelle (einzelheiten werde ich jetzt aus zeitgründen nicht anführen, aber mir sind entsprechende forschungen bekannt), und aus dieser ebene stammen aller wahrscheinlichkeit nach auch die in den gestrigen beiträgen erwähnten möglichen irritationen von authentisch kommunizierenden in der konfrontation mit simulativer kommunikation.
was bedeutet das jetzt vor dem hintergrund des obigen? wenn als-ob-strategien erfolgreich täuschen sollen, müssen sie entweder die wahrnehmung der gerade erwähnten ebene beim wahrnehmenden irritieren oder aber in irgendeiner art und weise für irrelevant erklären. auch diese vorhaben funktionieren umso besser, je mehr die wahrnehmungsfähigkeiten bereits geschädigt sind und simulationen eine gewisse art von normalität darstellen.


"Feilen Sie an Ihrem Auftreten, kopieren Sie aber nicht bis aufs I-Tüpfelchen irgendein berühmtes Vorbild, sondern überlegen Sie: Wie würden Sie auftreten, wenn Sie so locker, selbstsicher usw. wie Ihr Vorbild wären. Aufgesetzte Forschheit wirkt unecht, Ihr Auftreten muß also zu Ihnen passen. Am sichersten fahren Sie, wenn Sie ihre Wirkung ein paar mal im stillen Kämmerlein erproben und dann guten Freunden vorführen, mit der Bitte um kritische Hinweise."

im prinzip nichts weiter als bewährte leitlinien für erfolgreiche schauspieler. ist im theaterkontext auch nichts gegen einzuwenden - aber innerhalb realer sozialer zusammenhänge?

"Vor Ihrem Auftritt sollten Sie keinesfalls grübeln „Oh Gott, wenn nun alles schief geht“. Gehen Sie die Sache vielmehr spielerisch an. Sie sind Schauspieler(in) und spielen sich selbst. Sie gehen in einer Rolle auf und die Reaktionen der anderen - egal, ob freundlich, mißmutig oder gar empört - gehören dazu. Sie ziehen Ihren Auftritt durch und werden sich von den Leuten nicht aus dem Konzept bringen lassen. Es ist natürlich gut, wenn Sie für unterschiedliche Reaktionen Ihres Publikums passende Varianten Ihres Verhaltens vorbereitet haben. Auf keinen Fall werden Sie aber zwischendurch die Sache hinschmeißen, wenn es nicht so laufen sollte, wie Sie gedacht haben. Solange Sie Selbstsicherheit zeigen - so bin ich, ich kann nicht anders - werden die Leute Sie respektieren. Nur wer aus der Rolle fällt, fällt beim Publikum durch."

wie gesagt, innerhalb von theater und film - wo alle wissen (sollten), dass es hier um die produktion von möglichst überzeugenden fiktionen geht, und das publikum dafür bezahlt, sich mit simulierten realitäten die zeit zu vertreiben - ist gegen derartige ratschläge nichts einzuwenden. warum sollte aber jemand bspw. in beruf und arbeitswelt (wo sich ja, wenn auch mit glücklicherweise abnehmender tendenz, für viele menschen immer noch ein haupteil des sozialen lebens abspielt) dazu gezwungen sein, in unterschiedlich großem maße rollenspiele zu veranstalten? das lässt u.a. eigentlich nur den schluß zu, dass die authentische menschlichkeit mit all ihrer "unperfektheit" und ihren "schwächen" an bestimmten orten nicht nur nicht erwünscht ist, sondern sogar als störend angesehen wird. wir haben uns an diese zweiteilung zwischen den wechselnden identitäten "beruflich" und "privat" schon derart gewöhnt, dass die sich darin eigentlich ausdrückende zumutung - nicht nur die arbeitskraft, sondern auch potenziell erfüllt sein könnende authentische menschliche lebenszeit wird verkauft, zum bloßen materiellen überleben - nicht (mehr) als solche wahrnehmen. die kapitalistische ökonomie (auch in ihrer "staatssozialistischen", bereits gescheiterten variante) ist ein vampiristisches system. und als-ob-simulationen sind davon sowohl ausdruck als auch mittel zum zweck.

den nächsten punkt überspringe ich, da nicht grundsätzlich verschieden zum obigen. und dann:

"Was den Inhalt Ihres Auftritts betrifft: Bereiten Sie rund zwanzig Prozent mehr Inhalt vor, als Sie benötigen. Es wirkt besonders souverän, wenn Sie bei passender Gelegenheit (zum Beispiel einer Diskussionsfrage) zeigen können, daß Sie noch weitere Kenntnisse abrufbereit im Hinterkopf haben. Daraus schließen die Zuhörer, daß nicht nur Ihr Auftritt, sondern ihre ganze Person auf Kompetenz beruht."

wie täusche ich meine mitmenschen am besten? vielleicht war ich gestern mit meinen überlegungen zur moral doch etwas voreilig - selbst als verhaltenskrücke wäre mir eine moral, die derartiges verhalten sanktioniert, durchaus willkommen.
der eigentliche hammer jedoch kommt ganz zum schluß:

"Die Als-ob-Strategie eignet sich nicht nur für öffentliche Reden. Mit der gleichen Methode können Sie auch andere ungewohnte Situationen meistern, zum Beispiel Bewerbungsgespräche, Telefonate mit wichtigen Personen, Verhandlungen, Verkaufsgespräche, aber auch Flirts, Liebeserklärungen und Heiratsanträge."

es ist eine sache, die existenz und offensichtlich breite anwendung von simulationen aller art in der sog. öffentlichen sphäre von ökonomie, politik und auch medien zu propagieren und zu tolerieren - ich selbst bin mir durchaus darüber klar, dass sich in der momentanen situation dieser zustand nicht von heute auf morgen ändern kann, und als-ob-strategien für menschen in diesen strukturen in bestimmten umständen womöglich existenziell wichtig sein können, nicht im sinne von karriereerfolgen, sondern zur bewahrung letzter reste von selbstachtung und würde. bei der gefährlichkeit dieser strukturen wünsche ich ihnen jedoch ein möglichst baldiges ende, und jegliche gesellschaftlichen alternativmodelle werden sich im verhältnis von authentizität und simulation im menschlichen leben grundlegend von der heutigen situation unterscheiden müssen, in denen simulationen auch mehr und mehr bereiche erfassen oder gar beginnen zu dominieren, in denen sie in dieser position absolut nichts zu suchen haben!

so eben auch in den zonen sozialer zwischenmenschlicher beziehungen, die hier unter "Flirts, Liebeserklärungen und Heiratsanträgen" umschrieben werden. hallo?!? ich habe mir echt die augen gerieben beim lesen - hier wird offen auch zum betrug innerhalb von partner- und freundschaften geraten, die strategien aus der kapitalistischen arbeitswelt umstandslos in gerade die sphären übertragen, in denen derlei simulationen bei dominanz nun zwangsläufig für ernste schwierigkeiten sorgen müssen. das macht eigentlich nur sinn für solche menschen, bei denen die authentischen fähigkeiten bereits eh geschädigt sind. und damit beißt sich die katze in ihren virtuellen schwanz.

mehr wahrscheinlich demnächst - das, was sich hinter dem modell der "als-ob-persönlichkeit" alles so verbirgt, stellt meiner meinung nach die größte gefahr für das menschliche leben - in den formen, die wir zumindest bis jetzt noch als lebenswert betrachten - dar, die überhaupt vorstellbar ist - oder wie finden Sie die aussicht darauf, als entkernte puppe ein bereitwilliges rädchen im getriebe zu sein? eine maske, die sich mit einem virtuellen surrogatleben abspeisen lässt?

edit am 30.04.: unregelmäßig schaue ich auf vielen der in der sidebar verlinkten seiten vorbei, und manchmal gibt es da so interessantes zu entdecken wie diesen thread im öffentlich zugänglichen forenteil der borderline-community: "Woher weiss ich, dass ich eine Identität habe?" eine sehr berechtigte und nötige frage, die direkt auf all jenes verweist, was in den beiträgen zur "als-ob-persönlichkeit" thematisiert wurde. bezeichnend finde ich dabei, dass - bisher - niemand der diskutierenden den körper als notwendige basis jeder - authentischen - identität angesprochen hat (nein, ich bin dort nicht (mehr) registriert und habe bisher auch nicht die absicht, mich im thread zu beteiligen).

Mittwoch, 5. April 2006

assoziation: von kaputten menschen und dem (stellvertretenden) versagen der justiz

eine geschichte, die in ihren grundmustern durchaus nicht nur in diesem land eine grausige alltäglichkeit aufweisen dürfte, findet sich in dieser prozeßreportage (und zu meiner einschätzung komme ich auch deswegen, weil ich selbst schon eine keinesfalls vollständige sammlung ähnlicher prozeßberichte aus den letzten jahren zusammengetragen habe, in denen v.a. die bl-diagnose, seltener auch die narzisstische ps eine rolle spielen).

"Weil sie auf Grund ihrer Krankheiten, vor allem des Borderline-Syndroms, nur vermindert schuldfähig ist, kam die 25-jährige Lore E. aus Oyten gestern mit einer Haftstrafe von fünf Jahren für den Giftmordversuch an íhrem Stiefvater Hans E. davon.(...)

Dass sie das schnell zum Tode führende Nervengift in der Absicht, sich selbst umzubringen, beschafft hatte, nahm ihr die Kammer unter Vorsitz der Richterin Britta Raßweiler wegen bereits vorausgegangener Suizidversuche zwar ab, nicht aber, dass sie diese Absicht noch hatte, als sie das Gift in das Essen mischte. Da sei die Entscheidung "ich oder er" schon gefallen gewesen.(...)"


so weit, so schlecht. juristisch ist die sache klar: "Damit sei der Tatbestand des heimtückischen Mordversuches erfüllt." dem gesetz wurde allem anschein nach genüge getan, auch mit folgendem:

"Dass die Strafe nicht so hoch ausfiel, lag vor allem an den psychologischen Gutachten, die der Angeklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung bescheinigten. Die habe möglicherweise auch zur Tatzeit ihre Steuerungsfähigkeit stark eingeschränkt. Borderline-Patienten neigen zu spontanen Aggressionsausbrüchen, die in der Regel allerdings gegen sich selbst gerichtet sind."

und hier geht´s dann schon mit meinen irritationen los, die im verlaufe des berichtes immer stärker geworden sind - der letzte satz stimmt so pauschal schon mal überhaupt nicht, vor allem nicht für männer mit dieser diagnose. wie sich die borderlinetypischen aggressionen äußern, hat nicht zuletzt auch etwas mit den in dieser gesellschaft üblichen geschlechterstereotypen zu tun, die immer noch eine recht große macht besitzen - auch, wenn es im zuge der allmählichen auflösung davon mehr und mehr phänomene wie männer mit essstörungen und prügelnde mädchen zu registrieren gibt.

"Lore E. hatte sich denn in der Vergangenheit auch häufig selbst verletzt. Gelegentlich, so eines der Gutachten, richte sich diese Aggression aber auch gegen einen anderen."(...)

wie im basisbeitrag "borderline" schon erwähnt, ist mit dem wort "selbstverletzung" bzw. den damit assoziierten vorstellungen vorsichtig umzugehen. auch dann, wenn sich in einer biographie indizien für ein traumatisches geschehen finden lassen:

"Den hatte die Angeklagte beschuldigt, sie über Jahre körperlich und seelisch misshandelt und auch sexuell missbraucht zu haben. Richterin Britta Raßweiler erklärte, diese Vorwürfe seien zwar nicht widerlegbar, aber auch nicht beweisbar. Ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs der Stieftochter ist eingestellt worden."

erstens: es gibt dokumentierte fälle von nachweislich falschen beschuldigungen bezgl. sexualisierter gewalt, oft genug von frauen mit bl-diagnose. die motive dafür können vielfältig sein und sind imo keineswegs generell als indiz für eine durch und durch bösartige persönlichkeit zu werten. wobei: auch letzteres existiert.

zweitens: es gibt noch mehr dokumentierte fälle von zutreffenden anklagen in der selben sache, in denen traumatisierten frauen/kindern oft genug durch unglauben und ignoranz neues unrecht geschieht. auch hier sind häufig frauen mit bl-diagnosen vertreten.

drittens: was für eine aussage steckt im satz von den vorwürfen, die zwar "nicht widerlegbar, aber auch nicht beweisbar" seien? ein eingestelltes ermittlungsverfahren sagt zunächst mal überhaupt nichts aus - "beweise" im juristischen sinne sind nicht unbedingt mit dem gleichzusetzen, was den meisten von uns unter "beweisen" vorschwebt. und gerade sexualisierte gewalt innerhalb der sog. privatsphäre, innerhalb von familien, ist durch die eigenart der situation oft genug nicht juristisch verfolgbar - keine oder eingeschüchterte oder aus "loyalität" schweigende zeugInnen, dazu die traumaspezifischen prozesse von abspaltung und verdrängung. diese logik ist von der justiz bis heute immer noch nicht in ihren konsequenzen begriffen (ausnahmen bestätigen die regel).

im folgenden wird aber auch noch einiges mehr über das opfer des attentates bekannt:

"Dass das Verhältnis zwischen Stiefvater und Tochter kein gutes war, und Hans E. durch seine extreme Strenge und emotionale Kälte dazu erheblich beigetragen hatte, stellte die Vorsitzende Richterin deutlich fest.
(...)
Seine außergewöhnlichen Erziehungsmethoden waren auch in seiner Zeugenaussage deutlich geworden. Im Zorn drohe er mit jedem Gegenstand, den er gerade in die Hand bekomme, hatte er bestätigt."


das ganze szenario, von dem jetzt ein paar vermutlich recht kleine teile sichtbar geworden sind, ist wie üblich bei derlei "familiendramen" ein durch und durch trostloses - geprägt von einem fast tödlich eskalierenden kampf zwischen (stief-)tochter und (stief-)vater, die augenscheinlich beide ihre jeweiligen persönlichen schädigungen bzw. beziehungskrankheiten gegeneinander ausagiert haben. das die junge frau jetzt für fünf jahre im knast verschwindet - nachweislich ein milieu, in dem sich menschen unmöglich zum positiveren hin verändern können -, mag einem abstrakten "rechtsempfinden" befriedigung verschaffen. tatsächlich sehe ich in solchen urteilen eine bankrotterklärung einer gesellschaft, die sich mehr und mehr darauf beschränkt, das von ihr produzierte soziale elend nur noch zu verwalten und repressiv zu sanktionieren. ich möchte nicht mißverstanden werden: auch wenn ich mir durchaus situationen vorstellen bzw. entsprechende dynamiken verstehen kann, in denen für ein sich selbst unterlegen und als opfer begreifenden menschen die tötung des vermeintlichen oder tatsächlichen verursachers des eigenen leidens als einzig noch mögliche option erscheint, so halte ich doch eine akzeptanz solchen verhaltens in der regel für einen schweren fehler (ausnahmen, wie morde an historischen tyrannen/diktatoren, die massenhaft leid produzieren, bestätigen diese regel). es geht hier imo schlicht um elementare grenzen, existenziell wichtige stoppschilder.

ich sehe aber auch eine gesellschaft, die derlei stoppschilder aus berechtigten gründen aufstellt, in der pflicht, alles nur menschenmögliche zu tun, damit situationen wie die oben dargestellte sich erst gar nicht entwickeln können - und an diesem punkt versagen wir bisher alle mehr oder weniger kollektiv, und die justizielle "lösung" des problems stellt nur den deutlichsten ausdruck dieses versagens dar. vieles kommt zusammen: eine falsche anthropologie im sinne eines absurden welt- und menschenbildes, weitgehende unkenntnis über die menschliche struktur und die notwendigen bedingungen für ihre positiv-soziale entwicklung, die weitverbreitete und unbegriffene existenz und wirkung traumatisierender bzw. trauma-folge-strukturen in fast allen gesellschaftlichen bereichen, unwissenheit und ignoranz gegnüber dem phänomen der menschlichen simulationsfähigkeiten, daraus folgend mangelhafte psychiatrische/psychologische modelle von beziehungskrankheiten usw. usf.

vor diesem hintergrund ist das ergebnis (nicht nur) dieses prozesses logisch: eine schein-/als-ob-lösung, streng nach abstrakten und objektivistischen kriterien als platzhalter für ein vorgehen, welches nicht primär den straf- und schuldgedanken, sondern das individuelle und kollektive wohlergehen möglichst aller menschen in ihrem einzigen leben im blick haben müsste. das ausmaß der in dieser ganzen geschichte zutage tretenden wahrnehmungsverzerrungen bzw. -reduktionen ist schlicht deprimierend, passt aber natürlich in diese zeit.
und viel harte arbeit wird nötig sein, um diese trostlosen zustände endlich hinter uns zu lassen, das erscheint nur jenen - ja, idioten völlig utopisch, die sowieso von einer "angeborenen grundsätzlichen bösartigkeit" des menschlichen wesens an sich ausgehen. nichts könnte - und wer das wissen will, kann es wissen! - falscher sein als dieses womöglich bösartigste und destruktivste vorurteil aller zeiten. und bösartig v.a. auch deswegen, weil es sich hier aller wahrscheinlichkeit nach um eine selbsterfüllende prophezeiung handelt - will sagen: erst durch derlei vorstellungen kann es womöglich passieren, dass bereits pränatal beschädigte menschen tatsächlich "von geburt an" bösartig sind. aber auch das ist kein metaphysisches "schicksal", sondern ausdruck der allgemeinen missachtung elementarer psychophysischer gesetzmäßigkeiten, denen wir als menschen wie alles lebendige überhaupt unterworfen sind.

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